Wir haben zehn Vertreter unterschiedlichster IT-Unternehmen gebeten, uns ihre persönlichen HR-Trends für das Jahr 2023 zu verraten.
10 HR-Trends für 2023
Annika von Mutius, Co-Founder & Managing Director von Empion
"Keine Fachgruppe interessiert sich mehr für Unternehmenskultur als ITler. Deshalb ist es wichtig, dass man als Arbeitgeber die eigene Unternehmenskultur nutzt, um Talente für sich zu gewinnen. Wenn man passende Bewerber einstellt, ist der Schritt danach, sie also auch zu halten, deutlich weniger aufwendig. Es geht also darum, nicht erst im Nachhinein festzustellen, ob der Kandidat passt, sondern bereits im Voraus eine exzellente Vorselektion zu treffen. Deshalb dreht sich alles rund um die Einstellung der passenden Kandidaten.
Wir haben gerade im IT-Markt einen wahnsinnigen Trend zur Remote-Arbeit. Das ist toll und erweitert den Sourcing-Bereich, hat aber auf der anderen Seite den Nachteil, dass die Bindung über die Distanz schwieriger wird. Trotzdem setzte sich im IT-Markt eine beeindruckende Vernetzung über Kontinente hinweg durch und das ist eine große Möglichkeit. Gerade für die Berufe, in denen Bewerber besonders picky sein können, wird Gehalt immer mehr zum Hygiene-Faktor und Unternehmenskultur beziehungsweise Unternehmenswerte zum Differenzierungskriterium. Das so genannte Cultural Match, sprich, die Werte, werden künftig das einzig relevante Kriterium für die potenziellen Bewerber darstellen."
Donald Knight, Chief People Officer bei Greenhouse
"Ein Thema wird im kommenden Jahr mehr Aufmerksamkeit denn je erhalten: 2023 wird das Jahr des dezentralen Unternehmens sein. Wir werden mehr Menschen sehen, die über Länder und Kontinente hinweg arbeiten als je zuvor. Insbesondere im Technologiesektor werden Mitarbeitende trotz des wirtschaftlichen Gegenwinds von verschiedenen Standorten aus arbeiten. Bis zum Sommer könnten wir eine positive wirtschaftliche Trendwende erleben.
Unternehmen, bei denen der Mensch im Mittelpunkt steht, und die bei der Einstellung von Mitarbeitenden einen flexibleren und grenzenloseren Ansatz verfolgen, werden es wahrscheinlich leichter haben, die Rezession zu überwinden. Wir werden eine zunehmende Abwanderung in Deutschland erleben, wobei mehr Menschen aufs Land ziehen oder ihren Lebensmittelpunkt in andere europäische Länder verlagern, um ihr Gehalt und ihren Lebensstandard zu halten und bezahlbaren Wohnraum zu finden. In Zukunft werden Talente eher nach Zeitzonen als nach Standorten rekrutiert."
Julian Jost, CEO & Co-Founder von Spacebase
"Unternehmen werden im kommenden Jahr ihre Bürokultur genauer unter die Lupe nehmen und Strategien für hybride und Remote-Arbeitsplätze entwickeln, und zwar aus drei Gründen: Kosteneffizienz, Nachhaltigkeit und Flexibilität. Arbeitnehmende, insbesondere junge IT-Fachkräfte, werden auch 2023 großen Wert auf eine flexible, agile und dezentrale Arbeitskultur legen. Daher muss die Planung von Büroflächen deutlich flexibler werden, denn die aktuelle wirtschaftliche Lage erfordert mehr Spontaneität, um schneller agieren zu können.
Führungskräfte täten gut daran, sich Gedanken über den Mehrwert ihrer Büroräume für die Mitarbeitenden zu machen. Es geht nicht mehr nur darum, jedem Mitarbeiter einen physischen Arbeitsplatz in einem Büro zur Verfügung zu stellen. Vielmehr sollten Unternehmen die unterschiedlichen Bedürfnisse der Mitarbeitenden in den Fokus dieser Entscheidung rücken. Dazu gehört auch das Einbeziehen verschiedener Arbeitsformen, Teamkonstellationen und Rollenverteilungen.
Moderne Arbeitsplatz-Strategien berücksichtigen nicht nur die Bedürfnisse der Mitarbeitenden, sondern ermöglichen gleichzeitig eine Umverteilung der Büronutzung zugunsten der Nachhaltigkeit und zur Kostenminimierung. Denn Leerstand ist weder kosteneffizient noch nachhaltig. Unternehmen, die ihre Ressourcen optimal planen und einsetzen, dabei ihren Mitarbeitenden die nötige Flexibilität gewähren, können bei Young Professionals als attraktiver Arbeitgeber punkten."
Aylin Karabulut, Chief Business Development Officer bei Employers for Equality
"Im kommenden Jahr wird der Fachkräftemangel - auch in der IT-Branche - noch weiter zunehmen. Daher wird das Employer Branding für viele Unternehmen eine immer wichtigere Grundbedingung für den eigenen Erfolg darstellen. Dazu gehört auch, eine starke, inklusive und wertschätzende Unternehmenskultur zu entwickeln, mit der sich Fachkräfte identifizieren können. 2023 wird es eine zentrale Aufgabe von HR-Verantwortlichen sein, diese Kultur zu etablieren und auszubauen, sodass vielfältige Teams ihr volles Potenzial entfalten können.
Entsprechend muss Diversity, Equity and Inclusion von Recruitern und HR-Verantwortlichen nachhaltig gelebt werden. Dies zahlt auch auf den zweiten großen HR-Trend für 2023 ein: die weitere Internationalisierung. In der IT-Branche können es sich Unternehmen nicht mehr leisten, geeignetes Personal nur innerhalb der eigenen Landesgrenzen zu suchen. Diese vielfältigen Teams bringen große Chancen mit sich, wenn Unternehmen ihr Diversity-Management gezielt umsetzen und insbesondere für internationale Teams inklusive, virtuelle Begegnungsräume schaffen."
Patrick Löffler, CEO und Co-Founder von givve
"Die ungewisse wirtschaftliche Lage gepaart mit dem akuten Fachkräftemangel werden uns im kommenden Jahr weiterhin beschäftigen. Hier sehe ich eine klare Herausforderung für 2023: Zum einen steht bei vielen Unternehmen das profitable Wirtschaften ganz oben auf der Agenda, zum anderen wird es weiterhin schwierig bleiben, Fachkräfte zu rekrutieren und diese nachhaltig an Arbeitgeber zu binden. Mein Kredo: Zeigt euren Mitarbeitenden, dass Ihr sie wertschätzt. Die Frage sollte nicht nur lauten: Wie finde ich gute Fachkräfte? Genauso wichtig wird die Frage bleiben: Wie halte ich gute Fachkräfte und binde sie an mein Unternehmen? Every little helps: Obwohl es bereits viele Methoden und Incentives gibt, sehe ich hier einen großen Nachholbedarf."
Dustin Müller, Director People & Culture bei Turbine Kreuzberg
"Der Markt für IT-Fachkräfte unterscheidet sich fundamental von anderen Branchen. Während Arbeitnehmer vielerorts aufgrund der eingetrübten wirtschaftlichen Lage an bestehenden Jobs festhalten, haben IT-Experten die freie Wahl. Das bedeutet auch, dass für Tech-Jobs andere Incentives geschaffen werden müssen. Geld spielt in der Branche eine zweitrangige Rolle, denn die Vergütung ist insgesamt hoch.
Wichtiger wird 2023 die Perspektive sein, die ein Unternehmen bieten kann. Dazu zählen Freiräume, die Möglichkeit, etwas Neues zu lernen und sich geistig weiterzuentwickeln, sowie individuelle Wachstumschancen abseits von der Beschränkung auf öde Titel und den dazu passenden Aufgaben. Arbeitgeber und ihre HR-Verantwortliche müssen endlich anfangen, nicht mehr in starren Positionen beziehungsweise Rollenbildern zu denken und stattdessen Offenheit für den Rollentausch innerhalb des Unternehmens zeigen.
Gerade im IT-Sektor sind es oftmals die technologischen Herausforderungen, die Entwickler reizen. Das bedeutet aber auch, dass Abgang und "Quiet Quitting" dann entstehen, wenn Projekte nicht fordernd sind. Hier gilt es, nicht nur mit State-of-the-Art-Technologien zu arbeiten, sondern gleichzeitig die Rahmenbedingungen zu schaffen, die es den Talenten ermöglicht, ihre Qualitäten auch in einer anderen Rolle einzusetzen: Warum sollten etwa Frontend-Entwickler nicht auch als Product Owner taugen? Nur, weil sie keinen BWL-Abschluss haben? Wer solche veralteten Sichtweisen nicht schleunigst ablegt, wird sich im Wettbewerb um die besten Talente nicht durchsetzen. Für Unternehmen ist es deshalb wichtig, unkonventionell und über den Tellerrand hinaus zu denken."
Karim Gharsallah, Head of Talent bei Recruitee
"Unternehmen müssen kreativer werden, um Talente zu gewinnen und zu halten. Ich beobachte aktuell zum Beispiel, dass der klassische Lebenslauf in vielen Unternehmen an Bedeutung verliert. Wir kommen aus einer Zeit, in der viele Arbeitgeber quasi nur basierend auf Abschlüssen und Bildung Mitarbeiter eingestellt haben. Dieser Status Quo ändert sich langsam und fachfremde Kompetenzen und Fähigkeiten, die nicht direkt mit einem Studium oder einer Ausbildung zusammenhängen, rücken im Recruiting in den Fokus."
André Schindler, General Manager EMEA bei NinjaOne
"Wir erkennen schon jetzt den Trend, dass bei der Wahl der Kandidaten in IT-Berufen neue Ansätze zum Einsatz kommen, die über die reine Betrachtung der üblichen Hard Skills und Abschlüsse im Lebenslauf hinausgehen. Gerade für Unternehmen, die weiterhin stark auf Remote Work setzen und auf Wachstumskurs sind, sticht eine ungeahnte Zielgruppe hervor: Gamer. Studien zeigen nicht nur, dass gemeinsames Spielen in Teams die Produktivität steigert. Wer hobbymäßig teambasierte Games online spielt, übt sich damit viel in Kommunikation über digitale Kanäle, in kreativer Problemlösung, und letztendlich in zielorientierter Zusammenarbeit. Diesen Transfer von Soft Skills aus dem Hobbybereich an den Arbeitsplatz wissen wir schon lange zu schätzen und sind uns sicher, dass dieser Trend in der Zukunft nur zunehmen wird."
Nicole Bachmann, Head of People and Culture bei Skaylink
"Wir sehen in Unternehmen derzeit ein sich veränderndes Verständnis für den Begriff Hybrid Work. Während Hybrid Work bisher häufig als ein Nebeneinander von Büroarbeit und Remote gelebt wurde, versuchen immer mehr Unternehmen die beiden Welten übereinander zu legen. Dieser Trend ist wichtig, um Menschen team- und standortübergreifend in Projekten zusammenzubringen und so gleichwertig an der Entwicklung des Unternehmens teilhaben zu lassen.
Dies gilt besonders für Unternehmen, die Fachkräfte auf der ganzen Welt beschäftigen. Hybrid Work ist ein Transformationsprozess, der mit neuen Anforderungen an Führungskräfte und Mitarbeitende einhergeht. Unternehmen sollten bereit sein, hier zu investieren und die Organisation in der Nutzung hybride Arbeitsformen zu befähigen. Ziel ist es die Motivation und die Performance der Mitarbeitenden langfristig zu fördern sowie Selbstführung und Unternehmensfortschritt zu steigern."
Sead Ahmetovic, CEO und Co-Gründer von WeAreDevelopers
"Immer mehr Unternehmen verfolgen eine globale Recruiting-Strategie, um die besten Talente für sich zu gewinnen und strategisches Employer Branding wird dabei immer wichtiger. Wer früh anfängt, ist hier klar im Vorteil - und früh heißt am besten gestern. Ein weiterer wichtiger Schlüsselfaktor ist ein kompetitives Gehalt, das allerdings immer mehr Unternehmen fähig und bereit sind, zu zahlen.
Daher rücken Faktoren wie Unternehmenskultur, klare Perspektiven und flexible Arbeitsmodelle immer mehr in den Fokus potenzieller Bewerber. In Zeiten immer flexiblerer Arbeitswelten müssen Unternehmen zusätzlich neue Methoden entwickeln, um den Gedankenaustausch im Unternehmen aktiv zu fördern. Sie müssen sich fragen, wie sie in einer dezentralen Arbeitswelt eine positive Unternehmenskultur schaffen können. Ein Obstkorb alleine reicht schon lange nicht mehr aus - vor allem dann nicht, wenn man ohnehin zu Hause sitzt." (pg/fm)