Das IoT ist einer der heißesten IT-Trends, konstatierte kürzlich Gartner-Vice-President Jim Tully: "Wir haben rund 100 Analysten an dem Thema, obwohl die Umsetzung noch ganz am Anfang steht." Für 2020 kalkulieren die Marktbeobachter mit IoT-bezogenen Services im Wert von 263 Milliarden Dollar weltweit.
Spätestens in sechs Jahren werden rund 25 Milliarden dedizierte physische Objekte über Embedded Technology im Internet miteinander verbunden sein und präzise Datenanalysen ermöglichen, so die Gartner-Prognose. Was heute vor allem die Rohstoff- und Fertigungsindustrie betrifft, interessiert morgen auch die Versicherungen.
Versicherungen? Geht es beim IoT nicht vor allem um Connected Cars und Sensorik? Tatsächlich ist die installierte Basis in der Automotive-Branche beachtlich. Sie liegt bei 200 Millionen Einheiten. Andererseits tragen die Autobauer doch nur einen kleinen Teil zu den 3,7 Milliarden Dingen bei, die heute schon Daten an das Internet abgeben, damit daraus woanders brauchbare Informationen werden.
Laut Gartner ist die IoT-affinste Branche derzeit die Versorgungswirtschaft - mit 778 Millionen installierten Devices, die vor allem aus den Smart-Metering-Initiativen resultieren. Den Versorgern sind Unternehmen aus dem Fertigungs- und Rohstoffsektor mit 526 Millionen vernetzten Gegenständen auf den Fersen.
Individuelle Tarife für Autofahrer?
Auch die öffentliche Hand trägt zur Verbreitung der Technik bei: Sie beobachtet Daten von 434 Millionen sendenden Einheiten, beispielsweise Straßenlaternen oder intelligenten Mülltonnen, die ihren Füllstand selbständig mitteilen. Die Stadt Philadelphia spare eine Million Dollar im Jahr, weil sie die Tonnen nach Bedarf und damit viel seltener leere, argumentiert Gartner.
Und was ist mit den Versicherungen? Die wären, so Tully, brennend daran interessiert, die Daten aus den Kraftfahrzeugen oder auch von den schon massenhaft getragenen "Activity-Tracker"-Armbändern zu bekommen, damit sie aufgrund der individuellen Fahrweise und/oder des Lebenswandels ihrer Kunden die Risiken besser bestimmen - und eventuell feinabgestimmte Tarife definieren - können, anstatt mit Durchschnittswerten und unsicheren Annahmen operieren zu müssen.
Der Wert liegt im Prozess
Der Vorteil, den die verbundenen Objekte den Nutzern verschaffen, kommt also nicht aus den Daten selbst. "Der Wert liegt vielmehr in ihrer Interpretation", sagt Tullys Kollege, der Gartner-Fellow Steve Prentice. Insofern müsse auch das im Zusammenhang mit IoT häufig diskutierte Sicherheitsthema differenzierter betrachtet werden: "Wer die Rohdaten abzieht, hat noch gar nichts davon." Es sei gar nicht nötig, die Daten am Objekt selbst zu verschlüsseln. Wichtiger sei es, den Netzverkehr zu sichern.
Dessen ungeachtet wird im Zusammenhang mit IoT häufig die Frage gestellt, wem die erzeugten Daten eigentlich gehören. Wenn beispielsweise auf einer Baustelle die Kräne mit Windsensoren ausgerüstet sind, könnten der Hersteller der Sensoren, der Kranproduzent oder auch der Bauherr Ansprüche anmelden.
Aber von derartigen Fragen sind die meisten Unternehmen ohnehin weit entfernt. Sie müssen sich zunächst einmal darüber klar werden, was ihnen das IoT eingentlich bringen kann. Und gesetzt den Fall, die Überlegungen führen zu einem erkennbaren Nutzen, werden sie sich fragen: Was müssen wir tun, um uns dem Thema anzunähern? Welche Technik, welche Lieferanten, welche Infrastruktur brauchen wir? Und wo fangen wir an?
Antworten auf diese Fragen hat Vice President und Gartner-Fellow Hung LeHong. Der ehemalige Ingenieur bei General Electric ist einer der von Tully erwähnten 100 Analysten, die sich mit dem IoT beschäftigen. Aus seiner praktischen Erfahrung hat LeHong quasi ein Kochbuch für Unternehmen entworfen, die nach einem IoT-Rezept suchen. Das Inhaltsverzeichnis enthält fünf Kapitel:
- Finden Sie das Wertversprechen.
- Experimentieren Sie.
- Finden Sie die richtige Architektur.
- Investieren Sie in Technik und Partner.
- Lösen Sie das Wertversprechen ein.
Die "Schlüsselfragen", die sich daraus ergeben:
Wo ist der konkrete Nutzen?
Darüber, wie sich die Informationen aus den vernetzten und eingebetteten Dingen gewinnbringend nutzen lassen, ist weiter oben schon einiges gesagt. LeHong nennt ein zusätzliches Beispiel: Die Aufzug-Sparte des ThyssenKrupp-Konzerns verwendet die vom Produkt selbst gesammelten Daten, um mögliche Ausfälle vorhersagen oder sogar verhindern zu können. "Jetzt sind die Aufzüge in der Lage, den Technikern zu sagen, wie sie sie reparieren sollen", zitiert der Gartner-Analyst den Vorsitzenden des Bereichsvorstands von ThyssenKrupp Elevator, Andreas Schierenbeck.
Generell lässt sich Business-Nutzen in vier Bereichen erzielen, fasst LeHong zusammen. Das Thyssen-Krupp-Beispiel fällt in die Unterkategorie "Predictive Maintenance", mithin in den Bereich "Optimierung". Dazu gehören auch Themen wie Kundenverkehrs-Management oder das Steuern von Geräten. Zu einem zweiten Bereich zählen Bezahlvorgänge wie "Pay as you use" oder tageszeitabhängige Tarife. Auch die Umwandlung von Produkten in Services ist ihm zuzurechnen.
Der Bereich "Operate" umfasst alles, was mit dem täglichen Betrieb von Maschinen und anderen Installationen zu tun hat. Neben Fernbedienungen sowie Zugangskontrollen zählen dazu auch Einrichtungen der Telemedizin und Gesundheitsvorsorge, beispielsweise die schon erwähnten Activity-Tracker.
Der vierte Bereich ("Extend") weist bereits in die Zukunft des IoT. Hier geht es darum, den Informationsfluss umzudrehen und digitalen Content an die Dinge zu senden. SoftwareUpgrades sind ein einfaches Beispiel dafür.
Billige Experimentierbaukästen
Niemand muss teures Equiment kaufen, um mit dem IoT zu experimentieren. Wer ein bisschen sucht, findet Entwickler-Kits um die 100 Dollar, sagt LeHong. Als Möglichkeit für einen kostengünstigen Einstieg in die Technik führt er beispielsweise die höchstens zehn mal zehn Zentimeter großen "Twine"-Quadrate an (www.supermechanical.com/twine), die als drahtlose Sensoren fungieren und sich mit einer App anzapfen lassen. Laut LeHong verbaut Hitachi derartige Produkte sogar in seinen Magnetresonanzgeräten, um deren empfindliche Magnete vor Überhitzung zu schützen.
Die richtige Architektur
Große Bedeutung hat die Entscheidung für die richtige IoT-Architektur. Sie setzt sich in jedem Fall aus fünf verschiedenen Komponenten zusammen: dem "Ding", dem Gateway und dem mobilen Endgerät ("Smartphone"), der Cloud (beziehungsweise Internet-Nutzung) und dem Unternehmen selbst ("on premise"). Die Unterschiede liegen in den Anworten auf drei Fragen: Wo sollen die Daten liegen? Wie und wo wird die Applikationslogik ausgeführt? Und an welcher Stelle geschieht die Analyse der Daten? Aus den Antworten ergibt sich dann das jeweilige Architekturmodell. LeHong unterscheidet deren fünf - je nachdem, welche Komponente im Zentrum steht.
Die erste dieser Architekturen ist die "Ding-zentrierte". Wie der Name schon sagt, stellt sie im Internet of Things den vernetzten Gegenstand in den Mittelpunkt des Modells. Daten, Anwendungslogik und Analyse befinden sich möglichst nah am Sender und werden dann quasi unverändert weitergereicht.
Bei der "Gateway-zentrierten" Architektur steht die Netzverbindung im Mittelpunkt des Geschehens. Am Gegenstand selbst ist nur ein Teil der Anwendungslogik aktiv. Diese Architektur weist eine gewisse Verwandschaft mit der "Smartphone-zentrierten" Architektur auf. Hier ist ein großer Teil der Verarbeitungslogik, einschließlich der Datenanalyse, auf dem mobilen Endgerät untergebracht.
Die Cloud und das Intranet der Dinge
Ganz anders bei der "Cloud-zentrierten" Architektur. Dabei dient das Smartphone nur als Durchgangsstation in die Cloud. Folglich werden Daten, Anwendungslogik und Analysefunktionen größtenteils im Internet bereitgestellt. "Das ist das Modell der Zukunft", sagt LeHong. Allerdings erfordere es extrem stabile Verbindungen, die heute noch nicht überall gang und gäbe seien.
Auch deshalb ist für einige Anwendungsbereiche, allen voran für Krankenhäuser, die Architektur der Wahl heute eher das "Intranet der Dinge" oder die "On-Premise-Architektur". Hier geschieht alles Wesentliche im Unternehmen des Nutzers selbst.
Davon abgesehen, hängt die Architektur-Entscheidung von einer ganzen Reihe unterschiedlicher Faktoren ab: angefangen von den Kosten für Hardware, Software und Daten über die geografischen Distanzen und ähnliche Beschränkungen, die Geschwindigkeitsanforderungen (beispielsweise Echtzeit), den Grad der Integration, die Datenmengen, den Energiebedarf sowie Sicherheits- und Privacy-Bestimmungen bis hin zur Anwenderfreundlichkeit.
Die nächste Entscheidung, die getroffen werden muss, ist die der richtigen Plattform. Die hängt selbstverständlich von der Art der Anwendung ab. Geht es um Geschäftsprozess-Management, die Erweiterung eines ERPSystems für die automatisierte Regalbefüllung im Rahmen der Warenwirtschaft oder schlicht um ein operatives Kontrollsystem?
Ebenfalls zu klären ist: Welche Regeln, Alarmauslöser und andere Trigger sind zu definieren? Welche Anwendungsplattform kommt zum Einsatz? Wie wird das Device-Mangement geregelt? Welches System zur Datenspeicherung eignet sich am besten? Und welche Anbieter lassen sich eigentlich als strategische Partner ins Boot holen?
Sechs Bereiche, wo Partner helfen können
Hinsichtlich der letzten Frage unterscheidet LeHong sechs Kompetenzbereiche. Bei der Definition einer IoT-Strategie seien Unternehmensberatungen wie Gartner, aber auch Systemintegratoren wie IBM, Accenture oder Atos hilfreich. Letztere hätten eine niedrigere Flughöhe, dafür aber die nötige Integrationskompetenz zu bieten.
Diese Anbieter bringen meist auch Know-how in drei anderen Bereichen mit: Analytics, Plattform und Netzverbindung. Hier kann sich das Anwenderunternehmen aber auch an Netzspezialisten wie Cisco oder Plattformanbieter wie Microsoft ("Azure") wenden.
Konkurrenz aus dem Anwenderlager
Konkurrenz bekommen diese IT-Anbieter vor allem auf der Plattform- und Connection-Ebene von unerwarteter Seite, nämlich den traditionellen Anwenderunternehmen. Konzerne wie ABB, Siemens, General Electric oder Bosch haben mittlerweile gewaltige Softwarebereiche aufgebaut, die ihr Wissen in Sachen Industrie 4.0 und Internet der Dinge gewinnbringend dem Drittmarkt zur Verfügung stellen.
Diese Anwenderunternehmen kennen sich auch mit den Themen Sensoren und Digitalisierung der Systeme aus. Mit solchem Know-how können Kommunikationsexperten wie Vodafone, Inmarsat und Sigfox nicht per se dienen. Laut LeHong lohnt es sich aber, sie einzubeziehen, falls auf der Connection-Ebene mehr Kompetenz gefragt ist.
Hybride Skillsets gefragt
Sind die geeigneten Partner gefunden, steht einem erfolgreichen IoT-Aufbau und -Einsatz eigentlich nichts mehr im Wege. Abgesehen vom Fachleutemangel im eigenen Unternehmen. Hierzu rät LeHong: "Halten Sie Ausschau nach hybriden Skillsets." Darunter versteht der Gartner-Analyst eine Mischung aus (IT-)Projekt-Management-Fertigkeiten und Know-how im Engineering- oder operativen Bereich. Ebenfalls eine sinnvolle Ergänzung zu den üblichen Kompetenzen seien Erfahrungen in der jeweiligen vertikalen Industrie beziehungsweise in Produktdesign sowie Forschung und Entwicklung.