"Ich wette, dass in zehn Jahren dreimal so viele Vorstände in DAX-Unternehmen eine IT-Position in ihrem Lebenslauf haben als heute."
Wir alle kennen die seit Jahren vielfach - gerade aus IT-Kreisen heraus - formulierte Forderung "CIOs müssen in den Vorstand". Die Argumentationslinie für die Etablierung entsprechender Positionen im Vorstand ist stets dieselbe: "IT ist ein zentraler Erfolgsfaktor für das Kerngeschäft", und daher muss die IT in der Rolle des CIO im Vorstand vertreten sein.
Dennoch: Die Forderung steht seit Jahrzehnten im Raum. Kaum ein deutsches Unternehmen hat einen CIO im Vorstand – von einigen vereinzelten Ausnahmen oder IT-lastigen COOs einmal abgesehen. Ohne nun gleich als Pessimist in Verruf geraten zu wollen, vermute ich, dass sich hieran auch in den kommenden Jahren nicht viel ändern wird. Insofern wäre eine Wette, "dass wir in zehn Jahren in zehn DAX Unternehmen einen CIO im Vorstand haben" ein Unterfangen, das man mit großer Wahrscheinlichkeit schon heute verlieren müsste - und wer verliert schon gerne?
Die Wette
Deshalb möchte ich eine andere Wette anbieten: Ich wette, dass in zehn Jahren dreimal so viele Vorstände in DAX-Unternehmen eine IT-Position in ihrem Lebenslauf haben als heute. Anders formuliert: Wer schon einmal in einer IT-Abteilung gearbeitet hat, schafft es 2023 mit einer dreimal höheren Wahrscheinlichkeit in den Vorstand als heute - unabhängig davon, welche Rolle er dort einnimmt. Es ist eine Wette, die auf meiner tiefen Überzeugung aufbaut, dass die IT ein zentraler Erfolgsfaktor im Unternehmen ist und sich dieser Umstand im Idealfall durchgängig im Top-Management und in der Führungskräfte-Entwicklung widerspiegelt.
Die IT ist aus nahezu keiner Branche mehr wegzudenken. Sie stellt nicht nur einen erfolgskritischen Faktor da, wie das Beispiel der Finanzdienstleistungsbranche zeigt. Keine Bank und keine Versicherung wären heute in der Lage, einen Ausfall der IT-Systeme selbst über einen kürzeren Zeitraum wirtschaftlich durchzustehen. In modernen, unternehmensübergreifenden Produktionsketten in der Automobil- und Fertigungsindustrie bräche ohne IT ebenfalls das blanke Chaos aus. Bereits diese beiden einfachen Beispiele sollten die Bedeutung und Reichweite der IT in die Business- und Geschäftsprozesse hinein unterstreichen. Der Einfluss der IT auf die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen geht jedoch noch um einiges weiter.
Der Fortschritt in der Informationstechnologie kann eine Situation auslösen, die John Diebold vor gut 50 Jahren bereits dahingehend skizzierte, dass nicht nur einzelne Firmen, sondern komplette Industriezweige und Branchen durch den technologischen Fortschritt binnen kürzester Zeit ausradiert werden können. Bereits zu Beginn des vorherigen Jahrhunderts argumentierte der weltbekannte Ökonom Joseph Schumpeter aus theoretischer Sicht ähnlich, als er von "schöpferischer Zerstörung" sprach.
IT ist in diesem Sinne der Treiber und der Katalysator, aus Bestehendem "prinzipiell neue Kombinationen" zu schaffen, wie Schumpeter sein Verständnis von wirtschaftlicher Veränderung umschrieben hat. Auch hier reicht ein kurzer Blick in die Wirtschaftspresse, um zu sehen, dass dies keine Zukunftsprognose ist, sondern uns hier die - vor einigen Jahren prognostizierte - Zukunft bereits eingeholt hat.
Amazon zeigt die Bedeutung der IT
Das Unternehmen Amazon ist in zweifacher Hinsicht ein gutes Beispiel. Durch das radikale Überdenken der Vertriebskanäle definierte es die Spielregeln der Branche mehr oder weniger komplett neu und trug entscheidend dazu bei, dass der traditionelle Buchhandel wankt. Der Niedergang einstiger Branchengrößen wie Barnes & Noble darf als Indikator dafür gelten, mit welcher Radikalität neue, IT-getriebene Geschäftsmodelle bisherige Strukturen auf den Kopf stellen können.
Es geht dabei nicht nur um das Überdenken der Vertriebslogistik und der Vertriebskanäle. Über die Einführung des Kindle und damit die Etablierung des digitalen Buches im Massenmarkt geht Amazon noch einen Schritt weiter und stellt die komplette Wertschöpfungsarchitektur respektive das Eco-System von Autoren, Verlagen, Druckereien und Buchhändlern infrage beziehungsweise kombiniert es neu. Die Schlagzeile "Immer mehr Bücher erscheinen an den Verlagen vorbei" in der FAZ vom 13. Juli 2012 spricht insofern Bände.
IT gehört in den Handwerkskoffer von Top-Managern
Warum diese Beispiele? Sieht man als Grundaufgabe des Top-Managements - und damit insbesondere des Vorstands - die Sicherung und den langfristigen Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens, sollte das Wissen über die Wettbewerbswirkung von IT zum Skill-Set eines jeden Top-Managers gehören. Es reicht aus dieser Sichtweise eben nicht, einen CIO im Vorstand zu haben, "der sich um die ganzen IT-Dinge kümmert". Das entsprechende Know-how sollte künftig integraler Bestandteil im Handwerkskoffer von Top-Managern sein.
Fragt man sich, wie viele aktuelle DAX-Vorstände auf IT-Know-how zurückgreifen können, und wählt als Indikator hierfür eine IT-Tätigkeit im bisherigen Lebenslauf, fördert die entsprechende Analyse eine gute und eine schlechte Nachricht zutage. Die gute Nachricht vorab: Wir haben heute schon deutlich mehr DAX-Vorstände mit IT-Funktion im Lebenslauf als CIOs in DAX-Vorständen. Die weniger gute Nachricht: Auch diese Karrierepfade sind noch die Ausnahme.
IT noch Karriere-Sackgasse für Nachwuchsführungskräfte
Die Pflicht und der Wunsch, "im IT-Maschinenraum" gewesen zu sein, wie dies für die Produktion in der (Automobil-)Industrie oder für den Vertrieb in der Konsumgüterindustrie gilt, ist noch nicht gegeben. Im Gegenteil - und etwas überspitzt formuliert: Wer sich freiwillig in Konzernen auf die IT-Schiene begibt, kommt im Zweifel aus dieser Ecke nicht mehr heraus. Ein Personalverantwortlicher eines Konzerns sprach einmal sehr desillusioniert von "der internen IT als Karriere-Sackgasse für ambitionierte Nachwuchsführungskräfte".
Warum sollte sich das nun in den kommenden Jahren ändern? Die Antwort ist ganz einfach: Weil Sie als CIOs von heute die Möglichkeit haben, aktiv zu dieser Entwicklung beizutragen - im Gegensatz zur faktischen Unmöglichkeit, selbst eine Position im Vorstand zu etablieren. Oder wie ein britischer Physiker einst postulierte: "Man kann die Zukunft nur dann vorhersehen, wenn man sie selbst erfindet." Die Durchdringung der künftigen Vorstandslandschaft mit IT-affinen Führungspersönlichkeiten wird nicht von heute auf morgen passieren. Vier Leitlinien können jedoch helfen, zielgerichtet voranzugehen.
Der War for Talents 2.0
Bereits vor gut 20 Jahren wurde erstmals der "War for Talents" thematisiert, bei dem es damals primär um die Frage ging, wie man die Top-Talente unter den Berufseinsteigern für das eigene Unternehmen gewinnt. Heute kann man bereits von einem "War for Talents 2.0" sprechen, bei dem qualifizierte und motivierte Arbeitskräfte quer durch alle Altersstrukturen zum knappen Gut geworden sind. Talententwicklung ist daher zwangsläufig eine der wichtigsten Führungsaufgaben eines CIO.
Dies an die HR-Kollegen zu delegieren reicht nicht aus. Der CIO muss sich als oberster Talententwickler verstehen. Modernste Technologien allein machen nicht die Schlagkraft einer "High-Performance-IT" aus. Es sind die Menschen, die diese Technologien einführen, anpassen und betreiben, die dafür sorgen, dass ein Unternehmen im Wettbewerb die Nase weiter vorne hat.
Wenn in diesem Beitrag primär auf den Führungsnachwuchs fokussiert wird, soll dies nicht bedeuten, dass die Fachkarriere ein Modell zweiter Klasse ist und IT-Spezialisten weniger wert sind. Ganz im Gegenteil, es sind IT-Spezialisten, die das Fundament der internen IT ausmachen. Nur mit Führungskräften allein lässt sich kein Unternehmen erfolgreich betreiben. Mit Blick auf den demografischen Wandel und den sich abzeichnenden dramatischen Fachkräftemangel bedarf es künftig in deutlich verstärktem Maße der Schaffung neuer Entwicklungsmodelle auch für Fachkarrieren. Gerade in Zeiten knapper Talent-Pools mag sich nun die nachfolgende, zweite Empfehlung geradezu paradox anhören.
Angst vor dem Wegloben guter Führungskräfte
Warum sollte denn ein CIO - wenn es ihm selbst stets an guten Führungskräften mangelt - die besten Kandidaten "quasi wegloben"? Die Antwort ist relativ einfach: Weil die Erfahrung zeigt, dass die besten Leute mittelfristig ohnehin gehen werden. Sie werden gehen, weil die Positionen, die sie für interessant erachten, vielleicht bereits besetzt sind oder es diese (noch) gar nicht gibt. Sie werden gehen, weil sie attraktivere Angebote aus anderen Konzernen bekommen. Sie werden gehen, weil sie in der Regel einfach "noch mehr" sehen wollen, sei dies nun in Bezug auf internationale Erfahrung oder auf neue fachliche Erlebniswelten. Top-Talente haben keine Angst, den Schritt in ein unsicheres neues Feld zu machen.
Goethe wird ein Zitat zugeschrieben, das auch CIOs helfen kann, mit ihren "Kindern" - sprich jungen Talenten - umzugehen. Er sagte einst: "Zwei Dinge sollten Kinder von ihren Eltern bekommen: Wurzeln und Flügel. Wurzeln, damit sie wissen, wo sie herkommen, und die Flügel, um in ihre eigene Zukunft zu entfliegen." Öffnen Sie also für die "jungen Hüpfer" das Tor des Käfigs. Sofern Sie als CIO Ihren Kindern gute IT-Wurzeln mitgegeben haben, wird sich mit jedem Nachwuchs, den Sie aus dem Nest in das Business schubsen, Ihr Netzwerk vergrößern, oder anders formuliert: Sie werden auf einmal viele IT-Alumni in den verschiedenen Business Units sitzen haben, die als Botschafter und Netzwerkknoten für die IT fungieren.
Wie beim Fußball-Scouting
Wenn Sie der oben vorgestellten Leitlinie folgen, müssen Sie doppelt hart arbeiten, um Ihren Talent-Pool voll zu halten - allerdings eine Anstrengung, die es wert ist. Nicht nur bei Fußballvereinen hat sich mittlerweile gezeigt, wie wichtig es ist, möglichst früh durch Scouting nach Top-Talenten Ausschau zu halten. Je eher man Top-Talente erkennt, desto früher kann man beginnen, deren Potenzial gezielt zu entwickeln.
Sicherlich braucht ein CIO Mut und Vertrauen, junge Mitarbeiter bereits in einer frühen Phase mit herausfordernden Projekten zu betrauen - gerade dann, wenn es viele "dienstältere" gibt, die das sicherlich genauso gut könnten. In solchen Situationen ist ein gutes Mentoring vonnöten - vielleicht gerade durch solche "dienstälteren" Mitarbeiter -, um die jungen Talente nicht nur zu fordern, sondern auch zu fördern.
Jüngste Studien zeigen, dass die Kombination von jungen Nachwuchsführungskräften und erfahrenen Spezialisten in Projekten eine fruchtbare Erfahrung für beide Seiten sein kann. Neben entsprechenden früheren Erfahrungen "on the job" sollte den jungen Talenten zudem die Möglichkeit gegeben werden, das notwendige theoretische Handwerkszeug zu erlernen. Die so oft gescholtene Bologna-Reform hat hier Möglichkeiten zu berufsbegleitender Weiterbildung geschaffen, die vor einigen Jahren undenkbar gewesen wären.
CIO-Stiftung fördert junge Talente mit MBA-Stipendien
In eigener Sache sei hier auf den CIO Young Talent Award der CIO Stiftung hingewiesen. Die CIO Stiftung stellt für Top-Talente aus der internen IT Stipendien bereit, mit denen diese im Rahmen eines berufsbegleitenden MBA-Studiums an der WHU - Otto Beisheim School of Management insbesondere General-Management und Leadership-Skills entwickeln. Der enge Kontakt zu jungen Talenten aus anderen Ländern, Branchen und Unternehmensfunktionen ist ein positiver Nebeneffekt, der für eine breit orientierte Ausbildung nicht hoch genug bewertet werden kann.
Schließlich als letzte Empfehlung: "Tue Gutes und rede darüber". Haben Sie den Mut, hinter außergewöhnliche Leistungen "ein öffentliches Ausrufezeichen zu setzen", wie dies ein erfolgreicher CIO einmal formuliert hat. Feiern Sie Erfolge und belohnen Sie besondere Leistungen Ihrer Mitarbeiter durch Lob und durch Aufmerksamkeit. Dies mag sich trivial anhören. Gerade Lob und Aufmerksamkeit sind wichtige Maßnahmen, die sich ohne große Sonderbudgets oder von externen Beratern erstellte "Motivationskonzepte" umsetzen lassen, aber im Führungsalltag häufig viel zu wenig eingesetzt werden. Der besondere Charme liegt dabei gerade in einfachen und pragmatischen Lösungen.
In einem großen Konzern gelang es zum Beispiel dem CIO mit ein wenig Überzeugungsarbeit, zweimal pro Jahr ein Vorstandsmitglied für einen Mittags-Lunch mit Leistungsträgern aus der IT zu gewinnen. Der Kreis der Teilnehmer ist eine bunte Mischung aus allen Hierarchiestufen und Funktionsbereichen der IT. Dieser "Vorstandslunch" hat für den CIO in doppelter Hinsicht einen positiven Effekt erzeugt. Zum einen erhält die IT für die Vorstände auf einmal "viele spannende Gesichter". Zum anderen erfahren die Mitarbeiter wichtige direkte Aufmerksamkeit und Wertschätzung durch die oberste Unternehmensleitung.
Bemerkenswert ist die Tatsache, dass der CEO im Rahmen eines solchen Lunches auf ein junges Talent aus der IT aufmerksam wurde, das er kurz nachher als Vorstandsassistenten bei sich einstellte. Fünf Jahre später war dieses Talent durch sehr gute Leistung als Geschäftsführer einer der großen Landesgesellschaften des Unternehmens aufgestiegen. Auch wenn heute noch nicht gesagt werden kann, ob dieses junge Talent es in die oberste Vorstandsliga schafft, so hat besagter CIO über seine Talentförderung die Voraussetzungen dafür geschaffen. Wenn Sie dem Beispiel Ihres Kollegen folgen, habe ich gute Chancen, meine Wette zu gewinnen, und wir haben alle gemeinsam dafür gesorgt, dass die IT in stärkerem Maße Teil des Handwerkskoffers moderner Führungskräfte wird.
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