Brillen, mit denen man bequem vom eigenen Gesicht aus mit künstlicher Intelligenz (KI) interagieren kann, werden der Überraschungshit dieses Jahres sein. Tatsächlich hat der Rummel, ausgelöst vom Marktführer Meta, bereits begonnen. Die im September 2023 angekündigte und einen Monat später ausgelieferte Ray-Ban Meta-Brille wurde zunächst mit kollektivem Achselzucken aufgenommen. Man nahm an, es handele sich um eine Videobrille wie die Snap Spectacles oder um eine Brille für virtuelle Assistenten wie die Echo Frames von Amazon. Oder es sei nur ein kleines Upgrade des Meta-Vorgängers Ray-Ban Stories. All diesen Devices ist jedoch gemein, dass sie die Gadget-begeisterte Öffentlichkeit nicht begeistern konnten.
Es dauerte eine Weile, bis begriffen wurde, dass die Ray-Ban Meta-Brille, die ab 359 Euro zu haben ist, um Größenordnungen besser und leistungsfähiger ist als diese Gadgets: Sie bietet eine viel bessere Kamera, eine hohe Audioqualität, die Möglichkeit, Live-Streams in soziale Netzwerke zu senden, und verfügt über einen unglaublich guten KI-Assistenten.
Dass die Ray-Ban Meta-Brille trotz des glanzlosen Starts im Dezember online zu einem Verkaufsschlager in den USA wurde, liegt an drei Dingen:
1. Meta kündigte eine Art geschlossene Beta der "multimodalen" Funktion an. Während die Nutzer/innen den Meta-Assistenten jederzeit mit dem Befehl "Hey, Meta" herbeirufen können, fügt die "multimodale" Funktion einen "Look"-Befehl hinzu, der ein mit der integrierten Kamera aufgenommenes Bild zur Verarbeitung und Analyse an den Meta-Assistenten sendet. Man kann der Brille also zum Beispiel sagen, dass sie auf einen Tisch voller Zutaten und Gewürze schauen und ein Rezept für die Verwendung dieser Gegenstände geben soll - ganz ohne Hände. Die Kombination aus gesprochener und visueller Interaktion mit der leistungsstarken KI von Meta überzeugt.
2. Tech-Journalisten sind sich einig, dass die Ray-Ban Meta-Brille tatsächlich etwas Neues ist.
Kimberly Gedeon von Mashable sagte: "Die Ray-Ban Meta Smart Glasses haben mich schockiert, auf eine positive Art und Weise."
Filipe Espósito von 9to5Mac betitelte seinen Testbericht: "Die Ray-Ban Meta-Brille hat mich davon überzeugt, an Smart Glasses zu glauben."
Und Scott Stein von Cnet kommentierte die "multimodale" Funktion folgendermaßen: "Die Demo hat mich beeindruckt, weil ich so etwas noch nie gesehen habe."
3. Ray-Ban Meta-Videos wurden auf TikTok und anderen sozialen Netzwerken veröffentlicht (auch wenn die Live-Streaming-Funktion der Brille nur Facebook und Instagram unterstützt).
Ein Markt existiert bereits
Mehrere KI-Brillen sind bereits auf dem Markt. Zum Beispiel wurde im August die Lucyd Lyte Smart Eyewear Powered with ChatGPT angekündigt. Die Brille ist preiswert, aber laut Kritikern von fatal schlechter Qualität. Vor allem die Tonqualität wird bemängelt.
Ein anderes Produkt, die Solos AirGo 3, bietet ebenfalls einen Zugang zu ChatGPT via Brille. Sie hat tendenziell positivere Bewertungen als das Lucyd-Lyte-Produkt erhalten.
Und natürlich hat Amazon vor kurzem ein Update der dritten Generation seiner Echo Frames herausgebracht. Diese besitzen zwar keine Kamera, kosten aber trotzdem nur 30 Dollar weniger als die Ray-Ban Meta-Brille. Außerdem kann man mit ihnen nur auf Amazon Alexa zugreifen, wobei der Assistent keine wirklich LLM-basierte generative KI ist.
Andere KI-Wearables sind bereits auf dem Markt oder werden noch auf den Markt kommen. Schon jetzt ist es ziemlich einfach, mit KI über Ohrhörer zu chatten. Das Problem dabei ist, dass niemand sie den ganzen Tag über trägt - im Gegensatz zu Brillen.
Smart Watches sind ein weiterer Weg, um auf KI zuzugreifen. Mit einer App können Nutzer über die Uhr mit der KI sprechen und eine Antwort erhalten. Der Schwachpunkt dabei ist, dass die Lautstärke der Uhren in der Regel zu leise für den Nutzer und zu laut für andere in der Nähe ist.
Humane hat seinen AI Pin vorgestellt, ein 55 Gramm schweres magnetisches Gerät, das an der Kleidung befestigt wird. Es nutzt eine Kamera und ein Mikrofon für die Eingabe und einen Lautsprecher und einen Laserstrahl für die Ausgabe. Die Kühnheit einer völlig neuen Wearable-Plattform ist erfrischend. Aber die Öffentlichkeit aufzufordern, etwas an ihre Kleidung zu heften - was in vielen Fällen weder möglich noch ratsam ist - ist eine zu große Herausforderung. Der Humane AI Pin hat keine Chance, sich auf dem Markt durchzusetzen.
Der Formfaktor entscheidet
Der Grund dafür, dass sich all diese Wearables nicht als KI-Schnittstellen durchsetzen werden, ist, dass der Formfaktor der Brille ihnen eindeutig überlegen ist. Der Bügel oder das Gestänge dieser Brillen ist perfekt positioniert, um hochwertige Audiosignale in die Ohren zu leiten, die sich für den Träger gut anhören und für andere in der Nähe nahezu lautlos sind. Und sie sind groß genug, um Batterien, Antennen und andere elektronische Komponenten aufzunehmen.
Und wie die Ray-Ban Meta-Brille beweist, kann eine Brille nicht nur stylisch aussehen, sondern auch eine hochwertige Kamera und ein Licht aufnehmen, um anderen zu zeigen, dass man Bilder oder Videos aufnimmt.
Natürlich tragen viele Menschen schon jetzt jeden Tag eine Brille. Bei Ray-Ban kann man sie mit Gleitsichtgläsern (Sonnenbrille in der Sonne, klare Gläser in Innenräumen) oder mit Korrekturgläsern oder beidem bestellen. Ich kenne Leute, die nur wegen der Ray-Ban Meta-Brille angefangen haben, in Innenräumen eine klare Brille zu tragen. Aber für Menschen, die bereits eine Brille tragen, ist die Entscheidung für AI Glasses natürlich leichter.
Noch beherrscht die Ray-Ban Meta-Brille den jungen Markt für AI Glasses. Sie weist eine viel höhere Qualität auf als die Konkurrenz und wird zu einem Preis angeboten, der von Meta subventioniert werden muss. Tatsächlich sind Dutzende von Ray-Ban Brillen ohne jegliche Elektronik teurer als die Ray-Ban Meta-Brillen.
Aber genau wie bei der Einführung des Echo durch Amazon werden schnell namhafte Konkurrenten auftauchen. Wir können davon ausgehen, dass Konkurrenten wie Google, Microsoft, OpenAI und andere - darunter vielleicht sogar Apple - in den nächsten ein bis zwei Jahren in den Markt für AI Glasses einsteigen werden.
Konkurrenz in den Startlöchern
So hat Google fast keine andere Wahl, als Smartglasses (wahrscheinlich unter der Marke Pixel) anzubieten, denn die KI-Brille wird für die meisten Menschen die Suche ersetzen.
Und auch Amazon wird mit ziemlicher Sicherheit eine KI-Brille (wahrscheinlich unter der Marke Fire) auf den Markt bringen, nachdem es von Meta mit einem Produkt übertrumpft wurde, das die Echo Frames in den Schatten stellt. Amazon will alle Daten von allen Menschen sammeln, und die Amazon-Fire-Brille (nach dem Vorbild der Ray-Ban Meta-Brille) würde perfekt dazu passen.
Schlussendlich wird sich auch Apple gezwungen sehen, früher oder später mit einer eigenen Plattform (wahrscheinlich unter dem Namen iGlasses) in das Thema KI-Brille einzusteigen. Brillen, wie auch Smartwatches, verbinden Technik und Mode und verlangen eine hohe Benutzerfreundlichkeit. Das wird ein unwiderstehlicher Markt für Apple sein.
Ich gehe zudem davon aus, dass eine KI-Brille das erste Hardwareprodukt von OpenAI sein wird. Unabhängig davon wird das Jahr 2024 alle überraschen, denn KI-Brillen werden sich zur wichtigsten Gadget-Kategorie in der Tech-Branche entwickeln. (mb)
Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag der US-Schwesterpublikation Computerworld.