Wer zum Mega-Buzzword Design Thinking recherchiert, stellt schnell fest, dass es hier ein riesiges Angebot von Workshops, Beratungen und Kursen gibt, und dass es wichtiger Teil dieser Angebote ist, den Adressaten erstmal zu erklären, was das überhaupt ist,Design Thinking. Wer diese Erklärungen dann liest, ist oft auch nicht klüger als vorher.
Grund genug für die Redaktion, in unserem Gespräch mit Christoph Meinel, Professor für Internet-Technologien und -Systeme am Hasso-Plattner-Institut (HPI) in Potsdam, mit der Definition zu beginnen. "Design Thinking dreht sich im Kern um mehr als nur um Design", so Christoph Meinel, "es geht um einen Prozess, der Innovationen möglich macht und vorantreibt.
Mit solchen Prozessen beschäftigt sich das HPI schon seit Jahren. 2007 entstand die "School of Design Thinking", ein Zusatzstudiengang, in dem es darum geht, in multidisziplinären Teams benutzerfreundliche Produkte und Dienstleistungen für alle Lebensbereiche zu entwickeln.
Mit Design Thinking neue Ideen evaluieren
Christoph Meinel betrachtet Design Thinking insbesondere aus dem Blickwinkel derIT-Technologieentwicklung. Dabei gehe es vor allem "um die Frage, wie man Ideen entwickeln, deren Bedeutung bestimmen und die Implementierung evaluieren, wie man feststellen kann, welche Ideen etwas taugen und welche nicht."
Klingt erstmal easy. Und Ideen haben ist auch leicht, solange man sie nicht mit irgendwelcher Zweckhaftigkeit belastet. Kinder sind beim Spielen auch deshalb so kreativ und einfallsreich, weil das Ersonnene nichts leisten muss - außer hübsch zu sein und Spaß zu bringen oder beides.
Unternehmen wollen nicht spielen, sondern Produkte entwickeln, die sich verkaufen lassen. Am besten gelingt das, wenn diese Produkte möglichst nah dran sind an den Wünschen der potentiellen Kunden. Dass dies bisher sehr häufig nicht der Fall ist, weiß zum Beispiel jeder, der privat oder beruflich mit Software zu tun hat: Wir benutzen vieles, weil es keine Alternative dazu gibt und ärgern uns währenddessen rituell über Schwächen wie mangelnde Nutzerfreundlichkeit.
Einen wichtigen Grund für die Unzulänglichkeiten sieht Christoph Meinel im Ablauf von Entwicklungsprozessen in der IT und in der Zusammensetzung der Teams.
Design Thinking setzt genau an diesen Schwächen an, indem es die Prozesse radikal verändert. Drei Punkte sind dabei aus Sicht von Meinel von zentraler Bedeutung.
Erstens: interdisziplinäre Teams
"Für einen erfolgreichen Innovationsprozess braucht man Menschen mit ganz unterschiedlichem Hintergrund", so Meinel, "Entwickler, Manager, Verkäufer und viele andere. In solchen Teams muss Autorität immer wieder neu gewonnen und verhindert werden, dass eine etablierte Figur den ganzen Prozess bestimmt."
Problematisch wird das seiner Meinung nach mit Menschen, die ihren Job schon seit zwanzig Jahren in der immer gleichen Weise machen. "Solche Mitarbeiter dazu zu bringen, Dinge auch mal anders anzugehen, ist eine große Herausforderung für die HR."
In Deutschland, findet Meinel, denken wir bei Innovationen immer sehr stark technologisch, fokussierten uns also auf das technische Ziel. Und das bedeutet nichts anderes, als das die Blickrichtung vom Entwickler zum Anwender geht und nicht umgekehrt, das nicht als erstes die Frage gestellt wird, was der spätere Nutzer überhaupt von einem Produkt erwartet, wie genau er es benutzen will.
Zweitens: ein Bein vor das andere setzen
Der nächste Punkt, der Christoph Meinel in diesem Zusammenhang wichtig ist, hängt eng mit dem zuletzt Beschriebenen zusammen: der iterative Zugang. Wobei schrittweises Vorgehen im Design Thinking eigentlich bedeutet, rückwärts zu laufen.
Beim klassischen Entwicklungsansatz geht es um die zwingende Realisierung bestimmter Funktionen, bestimmter Fähigkeiten einer Software. Die Frage, ob der Anwender hinterher damit auch umgehen kann, ist bisher oft zweitrangig.
Empathie für die Problemlösung entwickeln
Design Thinking geht den umgekehrten Weg: Zunächst beschreibt das Team ein potenzielles Problem, das es zu lösen gilt, stellt sich also einen konkreten Job vor, den ein Anwender mit einem Stück Software oder irgendeinem Gerät erledigen will. Dann erschafft es quasi den dazu passenden Menschen, verdichtet das Problem also zu einer "Persona". Diese Vermenschlichung des Prozesses diene auch dazu, so Christoph Meinel, "Empathie zu wecken für die Problemlösung".
Es geht um die Frage, was diese - vorgestellte - Person sich wünscht, welche Kenntnisse und Fähigkeiten sie vielleicht mitbringt. Erst nachdem das geklärt ist, beginnt die eigentliche Entwicklungs- und Programmierarbeit.
Die Analyse des Verhaltens der Software wird also von der Programmierung bestimmter Funktionen getrennt. Mit dieser Vorgehensweise trägt Design Thinking der Tatsache Rechnung, dass dem User die Technologie, die hinter einer Anwendung steckt, in der Regel völlig egal ist.
Design Thinking Team untersucht Verhaltensweisen
Im nächsten Schritt untersucht das Team dann die Verhaltensweisen - und zwar sowohl die der Software als auch die des Users - mit Hilfe von Prototypen, zum Beispiel aus Papier. Es geht darum, die Bedienung der Software zu modellieren und das Design anschließend so zu gestalten, das die fertige Anwendung auch mit unerwarteten Herangehensweisen von Usern zurechtkommen kann.
Schrittweises Vorgehen, Offenheit für Unerwartetes - all das funktioniert nur mit ganz viel Feedback. Doch in konventionellen Entwicklungsprozessen ist das schwierig, weiß HPI-Professor Christoph Meinel: "Wenn die Architektur im Vordergrund steht, sind Zwischenstände schwer darstellbar und rückkoppelbar. In konventionellen IT-Projekten gibt es in der Regel lange Phasen ganz ohne Feedback."
Mit der Folge, dass die Beteiligten erst relativ spät merken, dass etwas aus dem Ruder läuft. Schwierig findet Meinel in diesem Zusammenhang auch manchmal die Kommunikationstechnik von IT-lern. "Viele Programmierer hören oft nur kurz zu. Wenn sie das Gefühl haben, jene Infos, die sie für ihren Entwicklungsauftrag brauchen, erhalten zu haben, sagen sie ‚Ok, ich habe verstanden’ und gehen zurück an ihren Rechner. Weil sie lieber programmieren als kommunizieren wollen."
Drittens: offene Räume nutzen
Solche Routinen gilt es aufzubrechen, und dabei helfen auch Äußerlichkeiten. Christoph Meinel: "Die räumlichen Gegebenheiten haben viel Einfluss darauf, was passiert. Ein Hörsaal eignet sich zum Beispiel nicht dafür, in kleinen Teams zu diskutieren." Stattdessen könne man mit beweglichen Whiteboards, die immer wieder neu positioniert werden, für unterschiedliche Gruppengrößen die jeweils passende Atmosphäre schaffen.
CIOs sollten als erstes selbst an einem Design Thinking Workshop teilnehmen
Was das alles für CIOs und andere Führungskräfte bedeutet?"Sie sollten wissen, was mit Design Thinking möglich ist und entsprechendes Know-how aufbauen, geeignete Teams bilden. Es geht darum, möglichst viele mit der Denke von Design Thinking vertraut zu machen."
Und natürlich auch sich selbst. Deshalb sollten CIOs als ersten Schritt zunächst selbst an Workshops anderer teilnehmen, um die Atmosphäre zu spüren und die Innovationsattitüde von Design Thinking. Christoph Meinel: "Es geht um Kreativitätstechniken, die ansonsten an Kunsthochschulen gelehrt werden."