Schieflage am Arbeitsmarkt: Europäische Firmen suchen händeringend nach Fachpersonal. Gleichzeitig sind viele Hochqualifizierte immer noch ohne Job.
von Andreas Schaffry
Parallel zur Wirtschaftskrise gibt es seit 2009 eine noch nie dagewesene Arbeitsmarktkrise. Rund fünf Millionen Jobs gingen in Europa verloren. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen, die länger als ein Jahr ohne Arbeit sind, stieg seitdem rasant um 59 Prozent - von rund 6 Millionen auf knapp 9,7 Millionen.
Vor diesem Hintergrund haben die Accenture-Autoren Tim Cooper, Mark Purdy und Matthew Robinson in dem Marktbericht "Solving Europe’s human capital challenge" den europäischen Arbeitsmarkt analysiert. Demnach reduzieren viele Firmen ihren Personalstamm durch Entlassungen. Zugleich haben rund 43 Prozent die Anzahl der Stellenangebote gekürzt.
Gleichzeitig tun sich die Betriebe schwer damit, offene Stellen mit qualifizierten Mitarbeitern zu besetzen. Verantwortlich dafür ist eine Schieflage im Arbeitsmarkt: Die Bewerber, die im näheren Umkreis des Arbeitgebers wohnen, bringen nicht die für eine offene Position geforderten Skills mit. Die Stelle bleibt entweder unbesetzt oder wird an einen Mitarbeiter mit geringerer Qualifikation vergeben. Wie sich Arbeitssuchende und vorhandene Jobs zusammenbringen lassen, dafür haben die Accenture-Autoren drei "Imperative" formuliert.
Talentpools besser ausschöpfen
Erstens: Firmen müssen vorhandene "Talentpools" besser ausschöpfen. Dabei kommt es darauf an, die Ursachen für eine hohe Arbeitslosigkeit zu analysieren und zu verstehen. Zugleich gilt es, den "Human Capital Value", also die Wertschöpfung durch die Mitarbeiter, zu erhöhen. Dazu müssen Arbeitssuchende in vielen Fällen für ihren künftigen Job umgeschult werden.
In anderen Fällen bringen Menschen die benötigte Qualifikation schon mit, doch diese wird von HR-Managern nicht erkannt. Durch den Einsatz spezieller Lösungen für Business Analytics könnten Firmen in diesem Bereich mehr Transparenz gewinnen.
Ungenutzte Talente aktivieren
Zugleich sollten sie für Erwerbslose eigene Programme aufbauen, in denen diese ihre Kenntnisse auffrischen und neue Motivation ziehen können. Ein großes Reservoir an ungenutzten Talenten schlummert insbesondere in den rund 15 Millionen demotivierten Arbeitern. Diese Gruppe setzt sich im Wesentlichen aus Hausfrauen sowie jüngeren und älteren Arbeitslosen zusammen.
Zweitens: Die Leute müssen dahin gebracht werden, wo die Arbeit ist. Bisher zeichnet sich Europa dadurch aus, dass Firmen sich Mitarbeiter suchen, die auch in der Nähe des Arbeitsplatzes wohnen. Viele Unternehmen scheuen den Aufwand, europaweit nach der geeigneten Person für eine Stelle zu fahnden. Den Autoren zufolge gehen nur 28 Prozent der Personalverantwortlichen diesen Weg. Auch durch Job-Rotation innerhalb der eigenen Firma lässt sich die Mobilität der Mitarbeiter steigern.
Gemeinsame Standards schaffen
Eine wesentliche Voraussetzung für mehr Mobilität im Arbeitsmarkt ist, dass Abschlusszeugnisse, Qualifikationen und Zertifikate länderübergreifend auf einheitlichen Standards basieren und somit vergleichbar werden. Daran hapert es jedoch.
Ausgebremst wird die Mobilität durch die Überregulierung nationaler Arbeitsmärkte und hohe Anforderungen bei der Einwanderung schrecken hochqualifizierte Talente und Mitarbeiter ab.
Drittens: Europaweit muss die Zusammenarbeit im Arbeitsmarkt verbessert werden, um dessen verschiedene strukturelle Anforderungen besser zu adressieren.
Vielfältige Partnerschaften aufbauen
Das erfordert eine intensivere Zusammenarbeit zwischen der Privatwirtschaft und den für die Ausbildung zuständigen staatlichen Einrichtungen wie Schulen und Universitäten. Jedoch haben erst 17 Prozent der Betriebe Allianzen mit Universitäten initiiert.
Ebenso müssen die Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen Skill-bezogene B2B-Partnerschaften aufbauen und ihre Quellen zur Mitarbeiter-Rekrutierung bündeln. Auf diese Weise erhalten sie flexiblere Belegschaften. Nicht zuletzt sollten auch an die eigenen Mitarbeiter höhere Qualitätsstandards angelegt werden als bisher.
Die Analyse des europäischen Arbeitsmarktes basiert auf Untersuchungen von führender Experten und einer Accenture-Umfrage unter 500 Entscheidern zum Arbeitsmarkt in Europa.
Dieser Artikel stammt von unserer Schwesterpublikation CIO. (kv)