Alles Trübnis und Pein derzeit. So erscheint es zumindest angesichts einer von europäischer Schulden- und Bankenkrise sowie immer neuen Rettungsschirmen geprägten tagespolitischen Diskussion. Für deutsche IT-Experten ist die aktuelle Lage hingegen alles andere als trist. Im Gegenteil: Es tun sich enorme Jobchancen auf, weil IT-Profis derzeit gefragt sind wie lange nicht mehr. Das geht aus einer aktuellen Umfrage der Branchenverbandes Bitkom hervor.
Die Zahl der offenen Stellen in der deutschen Wirtschaft ist demnach gegenüber dem Vorjahr um 36 Prozent gestiegen. Das bedeutet, dass insgesamt 10.000 Stellen mehr zu besetzen sind als vor einem Jahr, insgesamt rund 38.000. Diese Entwicklung hat einerseits selbstredend seine positiven Auswirkungen auf das Bankkonto der IT-Spezialisten. Die Gehälter stiegen im vergangenen Jahr durchschnittlich um etwa 5 Prozent an. Andererseits spült der Trend jede Menge Wasser auf die Mühlen des Bitkom, der seit langem unablässig vor Fachkräftemangel warnt und in der repräsentativen Umfrage 1500 Geschäftsführer und Personalchefs durch das Markforschungsinstitut Aris befragen ließ.
16.000 der offenen Stellen gibt es laut Studie in der vom Bitkom vertretenen ITK-Branche, also bei Software-Anbietern und IT-Dienstleistern. 84 Prozent der befragten Unternehmen mit freien Stellen suchen derzeit Software-Entwickler. Zwei Fünftel dieser Firmen benötigen Experten für Marketing und Vertrieb mit IT-Know-how. 36 Prozent haben freie Stellen für IT-Berater, 20 Prozent für IT-Administratoren und 14 Prozent für Hardware-Entwickler.
Von den 22.000 freien Stellen in Anwenderunternehmen liegen viele im Bereich der IT-Administration und des Supports. 59 Prozent der befragten Unternehmen mit offenen Stellen suchen IT-Administratoren, die für den reibungslosen Betrieb von Hard- und Software in der Organisation sorgen. Mehr als zwei Fünftel der Firmen mit Personalmangel haben Jobs für IT-Berater zu vergeben, insbesondere für ERP und SAP. Jeweils etwa 15 Prozent haben Bedarf an Software-Entwicklern und Experten für Marketing und Vertrieb. Aber auch für Hardware-Entwickler ist in jedem zehnten Unternehmen eine Stelle frei.
„Der Trend geht zu technisch und organisatorisch sehr anspruchsvollen Tätigkeiten, die eine fundierte Ausbildung erfordern“, analysiert Kempf. Die gute Ausbildung lohnt sich allerdings auch. „Die Gehälter in der ITK-Branche steigen kräftig und das auf hohem Niveau“, so Kempf weiter. Nach einer Kienbaum-Studie im Auftrag des Bitkom stiegen die Gehälter in der Branche im laufenden Jahr um 4,7 Prozent. Andere Fachkräfte verdienen in der gesamten Industrie nur durchschnittlich 2,7 Prozent mehr.
Vorkrisen-Niveau noch nicht erreicht
Dabei war schon der Vorjahreswert äußerst erfreulich. Im Jahr 2010 erhielten Vollzeitbeschäftigte in der ITK-Wirtschaft ein Bruttojahresgehalt von durchschnittlich 60.100 Euro. Damit lag die Hightech-Branche noch vor den Energieversorgern mit rund 59.400 Euro Bruttojahresgehalt, der chemischen Industrie mit 54.600 Euro oder dem Fahrzeugbau mit 54.500 Euro.
Alles in allem stehen die Weichen im IT-Jobmarkt für eine Überwindung der Folgen der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise, die 2008 einsetzte. Das Niveau von September 2008 mit 45.000 freien Stellen ist allerdings noch nicht wieder erreicht. 2009 wurden lediglich 20.000 IT-Profis gesucht – der absolute Tiefpunkt der vergangenen Jahre.
Der Mangel an Fachkräften wird dennoch stärker als solcher empfunden als dies vor der Krise der Fall war. 58 Prozent der Firmen sind aktuell in Sorge darüber, 2008 waren es lediglich 46 Prozent. 2009 waren Personalsorgen nur für jedes dritte Unternehmen ein Thema. Im vergangenen Jahr nahmen 47 Prozent einen Fachkräftemangel wahr.
Die Bitkom-Umfrage zeigt, was die Firmen angesichts des Experten-Engpasses für die Gewinnung junger Mitarbeiter tun. Zwei Drittel der befragten Unternehmen bieten Praktika oder Werkstudenten-Jobs an. 54 Prozent bilden in unterschiedlichen Berufen selbst aus. Damit liegt die ITK-Branche deutlich über dem Durchschnitt der deutschen Industrie von rund 30 Prozent. Jeweils 43 Prozent kooperieren mit Schulen oder Hochschulen.
Für die Sicherung des Nachwuchses im Hightech-Bereich schlägt der Bitkom eine Drei-Säulen-Strategie vor: weitere Reformen im Bildungssystem, eine verstärkte Zuwanderung von Fachkräften aus dem Ausland sowie eine unter anderem auf Frauen zielende Qualifizierungsoffensive. „Wir brauchen Informatik als Pflichtfach an allen Oberschulen, um mehr junge Menschen für eine Ausbildung im IT-Umfeld zu begeistern“, fordert Kempf.
Kempf heizt Zuwanderungsdebatte an
Besonders scharf macht der Verband allerdings in Sachen Zuwanderung mobil. So kritisiert Kempf, dass anders als bei Ärzten und Ingenieuren die Bundesregierung IT-Profis aus Nicht-EU-Ländern nicht von der Vorrangsprüfung ausnehme. „Das ist aus unserer Sicht völlig unverständlich“, wettert Kempf. Zur Begründung heißt es, bei der Bundesagentur für Arbeit seien mehr arbeitslose IT-Fachkräfte als offene Stellen gemeldet.
„Die Statistik der Arbeitsagentur spiegelt nicht die tatsächliche Situation auf dem Arbeitsmarkt wieder“, so Kempf. Da die Firmen nur etwa jede dritte offene Stelle der Arbeitsagentur melden, sei der Bedarf weitaus größer als die Statistik suggeriert. Zudem konzentriere sich der Mangel an IT-Spezialisten auf gut ausgebildete Experten mit Hochschulabschluss.
Bitkom fordert weiter, die Verdienstgrenze für Nicht-EU-IT-Profis von derzeit 66.000 Euro jährlich auf 40.000 Euro zu senken und mittelfristig das Zuwanderungsrecht zu reformieren. „Deutschland schottet seinen Arbeitsmarkt immer noch zu sehr ab, statt sich dem Wettbewerb um die besten Talente in aller Welt zu stellen“, so Kempf.
Die Studie „Der Arbeitsmarkt für IT-Fachkräfte“ ist auf der Bitkom-Homepage zu finden.