Die Ingenieure der US-Weltraumbehörde Nasa hatten viel erwartet. Aber das, konnte das möglich sein? Die Techniker hatten gerade die Antriebsstufe der neuen Trägerrakete Space Launch System (SLS) in Huntsville, Alabama, getestet. Als sie Ende August vergangenen Jahres flüssigen Sauerstoff und gasförmigen Wasserstoff durch die neuartigen Einspritzdüsen in die Brennerkammern jagten, schienen die Messgeräte zu spinnen: Klar, mehr Schub sollten die Triebwerke erzeugen. Doch dann lieferten sie gleich den zehnfachen Schub! Das überraschte selbst die erfahrensten Entwickler - und sollte reichen, um mit der SLS-Rakete in einigen Jahren Menschen zum Mars zu schicken.
Den Leistungssprung erzielten die Techniker mit einer innovativen Produktionstechnik: dem 3D-Druck. Fachleute nennen das Verfahren auch additive Fertigung, mit dem sie Triebwerksschaufeln oder Fahrwerkteile direkt aus den Konstruktionsdaten Schicht für Schicht aufbauen. Mit dieser Methode stellten die Nasa-Spezialisten die Einspritzdüse her, die technische Grenzen so spektakulär verschiebt.
In die Schlagzeilen geriet die revolutionäre Drucktechnik zuletzt vor allem mit Produkten für den Endverbraucher. So plant etwa der italienische Nudelhersteller Barilla, mit ihr Spaghetti herzustellen. Andere wollen Schokolade drucken.
Doch seinen Durchbruch wird das Verfahren woanders feiern, erwartet Bernhard Langefeld, Experte für 3D-Druck bei der Beratung Roland Berger: bei der Herstellung hochkomplexer und extrem leistungsfähiger Metallteile wie Einspritz- und Brennerdüsen, von denen Industriekunden nur relativ wenige Exemplare benötigen.
Oder dort, wo jedes Gramm weniger Gewicht große ökonomische Vorteile bringt, sei es bei Autos oder Fliegern. Denn auch hier erobert die additive Fertigung Neuland: Sie ermöglicht filigrane Strukturen, die mit traditionellen Produktionsmethoden wie Fräsen, Drehen und Bohren nicht herzustellen sind.
"In diesen Feldern kann die Technik ihre Vorzüge voll ausreizen", sagt Langefeld. Hier habe sie das Zeug, die industrielle Produktion radikal umzukrempeln und die Spielregeln des Geschäfts zu ändern.
Schon in wenigen Jahren, sind sich die Experten einig, werden in vielen Fabriken neben klassischen Dreh- und Fräsmaschinen auch 3D-Drucker für Spezialaufgaben stehen. Das kurbelt die Nachfrage nach der jungen Technik an: Den Roland-Berger-Experten zufolge werden sich die weltweiten Umsätze von heute 2,2 Milliarden Euro bis zum Jahr 2023 auf 7,7 Milliarden Euro mehr als verdreifachen. Dann hätten sie allerdings erst gut ein Zehntel des heutigen Marktvolumens klassischer Werkzeugmaschinen erreicht.
Vom Boom dürften auch deutsche Hersteller profitieren. Vor allem beim anspruchsvollen Schmelzen (Fachwort: Sintern) metallischer Pulver per Laser- oder Elektronenstrahl spielen Anbieter wie SLM Solutions aus Lübeck, Concept Laser aus Lichtenfels bei Nürnberg und Eos aus Krailling bei München eine führende Rolle auf dem Weltmarkt.
Enorm leistungsfähig
Doch warum sind 3D-gedruckte High-Tech-Bauteile so enorm leistungsfähig? Die Antwort: weil sie traditionelle Produktionsverfahren einfach umkehren. Bisher fräsen, hobeln und bohren die Techniker so lange Material von Stahlrohlingen weg, bis das Endprodukt übrig bleibt. Im Extremfall gehen dabei 98 Prozent des Materials verloren, so die Experten des LZN Laser Zentrums Nord in Hamburg.
Beim 3D-Druck passiert das Gegenteil: Kunststoffe, Keramiken und Metalle wachsen in einem Lasergewitter zu einem Werkstück heran - praktisch ohne Abfall.
Wichtiger noch: Die Konstrukteure haben viel mehr Freiheit. Sie können den Bauteilen so gut wie jede beliebige Geometrie und Oberflächenbeschaffenheit verpassen; zudem können sie die Eigenschaften des verwendeten Materials für jede Anwendung maßschneidern. So treiben sie die Raketendüsen der Nasa zu Höchstleistungen. Vorbild für die Designer ist oft die Natur, etwa Knochen: Die besitzen im Inneren nur dort Querverstrebungen, wo sie belastet werden - nur an diesen Stellen sind sie nötig. Ein äußerst sparsames und zugleich höchst effektives Konzept.
Von ihm profitiert ganz besonders die Luft- und Raumfahrtindustrie. "Additive Fertigung ist inzwischen bei allen großen Triebwerksbauern ein strategisches Thema", sagt Oliver Edelmann, Mitgesellschafter von Concept Laser. Die Schmelzöfen der Franken stehen bei allen Großen der Branche, bei General Electric (GE), Honeywell, Pratt & Whitney oder Snecma. Auch die Nasa sowie das private Raumfahrtunternehmen SpaceX des Tesla-Gründers Elon Musk fertigen mit ihnen Triebwerkskomponenten für ihre Raketen.
Am weitesten unter den Triebwerksherstellern ist GE. Die US-Amerikaner haben angekündigt, in ihre neuen Leap-Düsenantriebe, die künftig unter anderem im Airbus A320 Dienst tun sollen, serienmäßig 19 per 3D-Druck gefertigte Brennerdüsen einzubauen. Eine Weltpremiere. Und ein Beweis für die hohe Zuverlässigkeit der Technik. Denn in keiner anderen Branche müssen Bauteile ähnlich extreme Belastungstests vor ihrer Zulassung bestehen.
Die GE-Manager schwärmen geradezu von den Vorteilen der 3D-Anlagen. Früher mussten sie die Düsen aus 20 Einzelteilen zusammenbauen – jetzt entstehen sie in einem einzigen Arbeitsschritt. Sie sind zudem leichter, stabiler und widerstehen extremen Temperaturen von mehr als 1300 Grad Celsius. Und noch ein Plus hebt Greg Morris hervor, Experte für additive Fertigung bei GE: "Jeder Drucker ersetzt bis zu 70 herkömmliche Werkzeugmaschinen."
Einziger Schönheitsfehler: Die Produktionskapazität heutiger Schmelzanlagen ist arg limitiert. Doch schon die nächste Generation soll das Drei- bis Vierfache an Ausstoß schaffen, erwartet Morris. Er war bis Ende 2012 Chef des 3D-Druck-Spezialisten Morris Technologies. GE kauft die Firma auf, um seine Kompetenz in dem Gebiet zu stärken. In den nächsten fünf Jahren erweitert der Konzern seine Entwicklungsabteilung für die laseradditive Fertigung von 70 auf 210 Forscher.
3D-Druck auch bei Airbus
Auch der Flugzeugbauer Airbus will in Kürze den 3D-Druck in die Produktion einführen. "Wir besitzen inzwischen das nötige Fertigungs-Know-how", sagt Claudio Dalle Donne, Chef des Forschungsbereichs Metallische Technologien und Oberflächentechnik des Konzerns in Ottobrunn bei München. Prototypen baut Airbus schon länger mit dem Verfahren.
Wo es zum Einsatz kommen soll, davon hat sein Hamburger Kollege Peter Sander, der bei Airbus die Einsatzmöglichkeiten von Zukunftstechnologien ermittelt, schon eine genaue Vorstellung: "Ab Anfang 2016 sollten wir erste serienmäßig per 3D-Druck gefertigte Titan-Träger und -Winkel in kommerzielle Flugzeuge einbauen können."
Es geht um keine Kleinigkeit. In jeden Airbus-Jet setzen Techniker bis zu 30.000 dieser Halterungen ein, an denen sie Kabinenelemente befestigen. Wären sie künftig gewichtsoptimiert, würde sich das sofort rechnen. Denn jedes gesparte Kilo ermöglicht es, mehr Passagiere an Bord zu nehmen und mit der gleichen Menge Treibstoff weiter zu fliegen.
Bereits Anfang 2018 sollen dann die ersten Jets mit additiv hergestellten Fahrwerksteilen starten und landen. Langfristig wollen die Airbus-Entwickler unter anderem Teile der Landeklappen per 3D-Druck herstellen. "Wir machen so rasante Fortschritte, dass wir es mitunter selbst kaum glauben können", sagt Sander. Sicherheitsbedenken haben die Airbus-Spezialisten nicht. Die per Laserstrahl aus Metallpuder gewonnenen Flugzeugteile würden alle Vorgaben der Zulassungsbehörden genauso erfüllen wie heute die gegossenen oder gefrästen. Je nach Bauteil seien aber Material- und Gewichtsvorteile von bis zu 55 Prozent möglich, so Sander.
Zugleich verspricht der 3D-Druck deutliche Zeitgewinne, weil sich Halterungen oder Fahrwerksteile direkt aus den Daten der Design-Software herstellen lassen, ohne zuvor spezielle Werkzeuge oder gar ganze Maschinen neu für ihre Produktion bauen zu müssen.
Schnelligkeit, Materialeinsparung, mehr Leistung - all diese Vorzüge der 3D-Technik möchten sich auch die Verantwortlichen des Siemens-Werks in Berlin-Moabit zunutze machen, in dem der Münchner Konzern Gasturbinen für Kraftwerke montiert, darunter das mit 375 Megawatt weltweit kraftvollste Exemplar. Mit Brennerköpfen und Zerstäuberdüsen legen die Siemens-Entwickler los. In spätestens zehn Jahren wollen sie aber sogar komplette Turbinenschaufeln drucken. Schon sieht Nicolas Vortmeyer, Technologiechef der Siemens-Sparte Fossile Energieerzeugung, eine neue Ära heraufziehen: "Höhere Leistung zu niedrigeren Kosten", schwärmt er.
Die Aufgabe ist extrem anspruchsvoll. Siemens mächtigste Gasturbine erzielt einen Wirkungsgrad von 60,8 Prozent. Mit anderen Worten: Sie gewinnt aus jedem verbrannten Kubikmeter Gas fast 61 Prozent elektrische Energie. Optimierte Brennköpfe, Einspritzdüsen und Turbinenschaufeln aus dem Drucker sollen weitere Prozentpunkte herausquetschen.
Bei den Düsen soll dies durch ein neues Design gelingen, das Gas und Luft noch effektiver für die Verbrennung verwirbelt - die Leistung steigt. Bei den Turbinenschaufeln müssen die Entwickler vor allem die Kühlkanäle im Inneren neu anordnen, um noch höhere Drehzahlen zu ermöglichen. An den etwa 10 mal 20 Zentimeter großen Teilen zerren gewaltige Kräfte, die dem Gewicht von 20 Autos entsprechen. Und sie müssen mindestens 25.000 Stunden Temperaturen von 1300 Grad Celsius aushalten können. "Die notwendigen Strukturen bekämen wir mit den alten Methoden nicht hin", sagt Vortmeyer.
Neue Ideen können schnell ausprobiert werden
Wollen die Entwickler eine neue Idee ausprobieren, halten sie einen Prototypen nach 48 Stunden in der Hand - ein weiterer Vorteil des 3D-Verfahrens. Würden sie ihn traditionell in einer Gießerei in Auftrag geben, müssten sie Monate warten. "So können wir viel mehr Ideen testen, und die Entwicklungszeiten verkürzen sich drastisch", hebt Vortmeyer hervor.
Trotz all dieser Stärken des 3D-Drucks werde der herkömmliche Maschinenbau nicht an Bedeutung verlieren, sagt Berater Langefeld voraus. Denn Fräsmaschinen und Bearbeitungszentren stellen Massenprodukte noch lange unschlagbar schnell und billig her. Eric Klemp, Produktionsexperte am Direct Manufacturing Research Center (DMRC) der Universität Paderborn, ist sich sicher: "Die additiven Verfahren werden das Portfolio des Maschinenbauers ergänzen, nicht aber kannibalisieren."
Andererseits verbinden Experten mit der additiven Fertigung die Hoffnung, einen Teil der aus Deutschland in Billiglohnländer verlagerten Arbeitsplätze zurückholen zu können. Weil sie nämlich viele Montageschritte einspart, könnte es sich lohnen, die bis zu 1,5 Millionen Euro teuren Schmelzöfen hierzulande aufzustellen.
Wie es sich auf die Produktionswelt auswirkt, wenn die Drucker zu all ihren Vorzügen auch noch schnell werden, ist noch unklar. DMRC-Forscher Klemp hält eine Verzehnfachung der Geschwindigkeit für realistisch.
Klar ist hingegen schon, dass 3D-Drucker im Service-Geschäft eine größere Rolle spielen werden. Die Vision: Reparaturkolonnen drucken direkt beim Kunden das defekte Teil nach. Teure Industrie-Anlagen stünden dann nicht mehr ewig still, bis von irgendwoher ein Ersatzteil besorgt ist. Der britische Luftfahrtkonzern BAE Systems hat mit der Luftwaffe des Landes schon einen entsprechenden Deal abgeschlossen. Er soll die Wartungskosten für die Kampfjets in den kommenden vier Jahren um 1,4 Millionen Euro senken.
Vor allem aber muss sich im Denken der Entwickler und Konstrukteure vieles ändern, um die Möglichkeiten des 3D-Drucks wirklich auszuschöpfen. Davon ist jedenfalls Airbus-Mann Dalle Donne überzeugt. "In der Vergangenheit gab es etwa in der Metallverarbeitung die zehn Regeln für gussgerechtes Design", erläutert er. "Im Zeitalter der additiven Fertigung sind solche Beschränkungen überholt."
Und auch die Hersteller von Konstruktions- und Simulationsprogrammen müssen diese an die neuen Freiheiten anpassen. Im Optimalfall könnte es in Zukunft reichen, dass der Konstrukteur nur noch wenige Vorgaben wie Befestigungspunkte und Lastverhalten eingibt. Anschließend findet der Rechner selbstständig die optimale Bauform.
Mensch und Maschine befreit von den lästigen Fesseln der alten Fertigungstechniken. Spätestens dann dürfte die 3D-Revolution nicht mehr aufzuhalten sein.
(Quelle: Wirtschaftswoche)