Hört sich an wie Science Fiction und begeistert Laien sowie Fachleute gleichermaßen: die Idee, dass eine Maschine per Knopfdruck maßgeschneiderte Produkte herstellt. Diese Zukunftstechnologie - genannt Additive Fertigung oder auch 3D-Druck - entwächst gerade ihren Kinderschuhen. "Sie wird viele etablierte Parameter der Industrie in Frage stellen: die Wertschöpfungsketten werden sich verändern und deutlich beschleunigen", prognostiziert Marc Sachon, Professor für Produktionswesen und Logistik an der IESE Business School in München.
Bevor das gewünschte Objekt im industriellen 3D-Drucker entstehen kann, müssen hochqualifizierte Fachleute konstruieren, programmieren und den Bauprozess betreuen. "Diese Leute sind noch sehr gesucht", betont Professor Sachon und ergänzt: "Sie müssen die Möglichkeiten der Technologie genau kennen, um innovative Produkte erdenken und dann in Design umsetzen zu können." Das bestätigt Dr. Hans Langer, Gründer von EOS, einem mittelständischen Familienunternehmen in Krailling bei München. "Wir brauchen unorthodox denkende Mitarbeiter, die bereit sind, sich von etablierten Mustern zu lösen. Das Potenzial der Technologie befindet sich vor allem in den Köpfen der Konstrukteure", sagt er. Im industriellen 3D-Druck gilt der "Hidden Champion" heute als einer der Weltmarktführer.
Schicht für Schicht
Das Unternehmen EOS verfolgt seit vielen Jahren das Verfahren des Laser-Sinterns. Dabei verteilt ein Beschichter im Inneren des industriellen 3D-Druckers eine dünne Schicht entweder eines - Polymer- oder Metallwerkstoffes - auf eine Bauplattform. Ein Laserstrahl schmilzt die Kontur nach programmierten Konstruktionsdaten auf. Die Arbeitsplatte senkt sich minimal, der Beschichter verteilt eine neue Schicht Pulver. Der Laser schmilzt die definierten Stellen erneut auf, so dass sich die Schichten dort verbinden. Jede erdenkliche, mit einem 3D-CAD-Programm konstruierbare Form oder Geometrie lässt sich so fertigen. "Es gibt nahezu keinerlei Einschränkung - auch nicht bei der Herstellung von Gelenken oder hohlen Strukturen", erklärt Langer.
Die US-Regierung hat die Chance, die im 3D-Druck liegt, bereits erkannt und fördert gezielt Forschungsprojekte, um so die Reindustrialisierung Amerikas voranzutreiben. "Das Thema hat eine strategische Bedeutung für Deutschland, doch bislang ist die Dringlichkeit wohl noch nicht wirklich erkannt worden", bedauert Professor Sachon. "Brüssel und Berlin unterstützen einige Projekte, aber man könnte sicher öffentlichkeitswirksamer agieren", meint auch Rainer Gebhardt, Projektleiter der AG Additives Manufacturing beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V.
Als wichtige Vorteile der Additiven Fertigung gelten die werkzeuglose Produktion, die hohe Materialeffizienz und Designfreiheit. "Momentan probieren Firmen verschiedene Techniken aus, die im Wesentlichen eines gemeinsam haben: Sie schichten Werkstoffe übereinander", sagt Gebhardt. Der weltweite Umsatz mit 3D-Druckern und Dienstleistungen soll laut dem Marktforschungsunternehmen Canalys 2014 bei knapp 3,8 Milliarden Dollar liegen, 2018 bereits bei 16,2 Milliarden.
Mit 3D-Druckern für den Hausgebrauch lassen sich kleine Accessoires wie Handyhüllen oder Schlüsselanhänger herstellen. Deutlich mehr Potenzial sehen Experten bei der industriellen Fertigung. "Diese Technik wird zu revolutionären Umbrüchen in den Wertschöpfungsketten führen. Viele Wirtschaftszweige werden sich nachhaltig verändern", urteilt Sachon, der Manager der obersten Führungsebenen in Executive Education Programmen auf eben solche "disruptive innovations" vorbereitet.
Als Zukunftsmarkt gilt insbesondere der medizinische Bereich. "Theoretisch kann fast jeder Teil des Körpers ersetzt werden", meint Langer. Wiegt eine herkömmlich hergestellte Hüfte etwa zweieinhalb Kilogramm, kommt eine Hüfte aus der Additiven Fertigung auf gerade mal 200 Gramm. Etwa die Hälfte aller Dentalkronen und Brücken hierzulande werden inzwischen so gefertigt. Zahntechniker erheben die notwendigen Daten durch Scannen des Kiefers und können innerhalb von ungefähr 24 Stunden ohne Werkzeuge bis zu 450 individuelle Einheiten herstellen.
"Die Luftfahrtbranche ist für die Additive Fertigung geradezu prädestiniert", ergänzt Gebhardt. Da die Produkte deutlich leichter sind, spart das am Ende Spritkosten und damit bares Geld. So fertigen Firmen auf diese Weise bereits Einspritzdüsen für Triebwerke. Siemens setzt die Additive Fertigung bei Reparaturen von Gasturbinen ein - Ersatzteile lassen sich mit dieser Technik digitalisieren und bei Bedarf in relativ kurzer Zeit herstellen. Dies ist günstiger, als die Teile über Jahre hinweg zu lagern.
Was früher Wochen dauerte, entsteht nun in wenigen Stunden. Ob Auto-, Schuh- oder Schmuckbranche - den Einsatzmöglichkeiten sind kaum Grenzen gesetzt. Besonders für den Bau von Prototypen, individualisierten Produkten und kleinen Stückzahlen ist die Technik ideal. Neben EOS sind auch die deutschen Firmen SLM Solutions und Concept Laser sehr gut positioniert. Bei der Massenfertigung bremsen noch die Kosten, dennoch sehen die Experten große Wachstumsmöglichkeiten für den Markt.
EOS-Gründer Langer ist im Nachhinein dankbar, dass sein ehemaliger Arbeitgeber es Ende der Achtziger für zu riskant hielt, in die Technologie zu investieren. "Ich habe mir einen Business Angel gesucht und losgelegt." Langer setzte auf kleine Teams und Start-ups innerhalb der Unternehmensgruppe sowie auf eine enge Zusammenarbeit mit Hochschulen. Heute freut sich Langer selbstsicher über jede Konkurrenz: "Das Grandiose an der Technologie ist, sie bietet unglaubliche Chancen für junge, unkonventionell denkende Entrepreneurs."