Toll Collect, Eurofighter und jetzt Galileo: Diese Liste lässt sich beliebig verlängern. Großprojekte scheinen den Keim des Scheiterns in sich zu tragen. Immer wieder wird in der Presse davon berichtet, dass sich Fertigstellungstermine um Monate, manchmal um Jahre verschieben, dass das (offizielle) Budget überschritten worden ist, manchmal um das zigfache, dass es massive Qualitätsprobleme gibt, wenn nachträglich teure Reparaturen erfolgen oder kurz nach Inbetriebnahme kostspielige Nachbesserungen erfolgen müssen. Jeder normale Bauherr und jeder Bauträger wären bei einem solchen Geschäftsgebaren finanziell und vom Image auf lange Zeit ruiniert.
Das Erschreckende an diesem Sachverhalt ist aber nicht allein dessen Existenz. Vielmehr scheint es, dass es bei einer solchen planmäßig realisierten Zerstörung von Werten keine positive Entwicklung gibt, keinen Fortschritt mit spürbaren Verbesserungen im Zeitablauf. Die gescheiterten Großprojekte werden sich also auch in Zukunft einstellen.
Dies verstärkt die Dringlichkeit, sich mit den Ursachen dieser unbefriedigenden Situation auseinanderzusetzen, um gegebenenfalls Korrekturen zu ergreifen. Denn das Scheitern ist keine gottgegebene Gesetzmäßigkeit, keine inhärente Eigenschaft eines Projekts, sondern das Resultat menschlichen Planens und Handelns.
1. Gigantomanie
Größe mag eine respekteinflößende, eine bewunderungswürdige Eigenschaft sein, etwas, das in Erinnerung bleiben will. Größe ist aber kein Ziel an sich. Analog zu einer optimalen Betriebsgröße - erinnert sei dabei an die zahlreichen gescheiterten Fusionen, die Unmengen Werte zerstört haben, weil sie diese Betriebsgröße ignoriert haben - gibt es eine optimale Projektgröße, in der sich economies und diseconomies of scale die Waage halten.
Es geht im Management von Projekten um die maximal beherrschbare Komplexität. Dabei sind Plattformenstrategien, Scaling up Prozesse, Roll-out-Strategien oder modulare Flexibilität bekannte und erprobte Ansätze, mit hoher Komplexität und den einhergehenden Risiken umzugehen. Skalierbare Ausbaustufen, bei denen man das große Bild nicht aus den Augen verliert, aber gleichzeitig beherrschbare Schritte ergreift und sich dem großen Ganzen nähert, wären eine Alternative.
Warum aber gibt es dieses Phänomen trotzdem? Es ist die persönliche Überschätzung der eigenen Fähigkeiten, Gigantomanie ist ein gefährliches Merkmal eines Projektes, Gigantomanie gepaart mit Megalomanie eine fatale Kombination, die jedes Projekt scheitern lässt. Kritische Selbsteinschätzung und der Vergleich mit Referenzprojekten können eine realistischere Einordnung ergeben.
Letztlich sind die beiden einfachen Fragen zu beantworten: Wenn es in allen bisherigen Projekten dieser Art nicht funktioniert hat, warum sollte es dann bei uns funktionieren? Sind wir wirklich so viel besser als die anderen?
2. Fehlende Außenperspektive und Referenzprojekte
Projekten ist immanent, dass die Teilnehmer zuerst eine Innenperspektive entwickeln, das bedeutet, dass sie sich auf die internen Ziele ausrichten, dass sie interne Restriktionen berücksichtigen, dass sie intern planen. Euphorie und Enthusiasmus zu Beginn eines Projekts beflügeln die Mitarbeiter und schaffen eine optimistische Grundhaltung. Nur so sind die Ungewissheiten und andere Belastungen zu ertragen.
Ein gewisses Maß an Optimismus spornt an, allerdings: Hindernisse und Risiken werden schnell als geringer eingeschätzt als sie tatsächlich sind, die Vorteile dagegen als größer als realistisch zu erwarten. Ein gesundes Maß an Optimismus nützt, zu viel davon schadet. Es geht um ein Gleichgewicht von Optimismus und Realismus, ansonsten ist man gefangen in den eigenen Prämissen.
In einer Innenperspektive werden zudem Erfolge schnell dem eigenen Können und den Management-Qualitäten zugerechnet, Misserfolge dagegen externen Einflüssen.
Innensicht versus Außenperspektive
Beide Aspekte schaden der Projektqualität, einerseits setzen sie einem eine rosarote Brille auf und machen blind für jeden Wirklichkeitsbezug. Andererseits wirken sie selbstverstärkend und verhindern eine realistische Einschätzung des eigenen Agierens und die Reflexion, das Hinterfragen der (internen) Ergebnisse. Das Kritische bei Großprojekten ist die Höhe des möglichen Schadens, der aus dieser Handlungsweise resultiert, dieser ist ungleich höher als bei "normalen", überschaubaren Projekten. Umso schwerwiegender wiegt dann eine reine Innenorientierung. Abhilfe schaffen kann eine Außenperspektive auf das Projekt:
Eine neutrale Position bringt Realismus in die Projektbetrachtung, sie konfrontiert mit einer anderen Sichtweise, indem sie die interne Sichtweise in Frage stellt:
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Gab es in der Vergangenheit vergleichbare Referenzprojekte (z.B. von Konkurrenten oder in anderen Branchen)?
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Wurden diese Projekte überhaupt fertig gestellt bzw. wie lange war die tatsächliche Gesamtprojektdauer?
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Wie hoch war am Ende das tatsächliche Kostenvolumen?
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Wie erfolgreich war die Fertigstellung, welche Qualität, welche Probleme haben diese Projekte am Ende tatsächlich gehabt?
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Und zu guter Letzt: Welche Gründe gibt es zu glauben, dass das eigene Projekt signifikant besser abschneiden wird? Ziel ist, die harte Welt der Projektumsetzung aus einer neutralen Sicht zu integrieren.
Gründe für das Fehlen einer Außenperspektive
Die Gründe für das Fehlen einer Außenperspektive sind mannigfaltig: Neben fehlender Einsicht (die eigenen Projekte sind ja so einzigartig, dass es keine Referenzen geben kann) oder Selbstüberschätzung (was können uns Dritte schon helfen, wenn wir die einzigen Experten zu diesem Thema sind) kann es auch die Angst sein, schon zu Beginn unnötige Schleifen zu drehen und damit wertvolle Zeit zu verlieren. Das Holen eines Dritten, die Hilfe einer Supervision kann zudem als (Führungs-)Schwäche interpretiert werden, obwohl sie eigentlich ein Zeichen von Stärke ist.
Eine neutrale Außensicht muss Teil der Projektierung sein, vom Auftraggeber und Lenkungsausschuss gefordert, ein eigener Meilenstein, der erst die Freigabe weiterer Schritte ermöglicht, mit kompetenter kritischer Expertise, nicht zum Abwürgen von Elan und Optimismus, sondern für eine höhere Ebene der Planungsqualität.
3. Unterschätzte Risiken
In der Euphorie des Beginnens und im Optimismus, im Überschätzen der eigenen Fähigkeiten und der Beherrschbarkeit des Umfelds werden Risiken allzu oft unterschätzt. Die langen Laufzeiten, das Volumen von Großprojekten, die unterschiedlichsten Einflussgrößen und die vielfältigen Wechselwirkungen lassen das Schadenspotenzial ungeahnte Höhen erreichen. Denn durch das Wechselspiel und eine Kumulation können sich Risiken verstärken, ja potenzieren. Somit ist eine isolierte Betrachtung einzelner Risikofaktoren zwar notwendig, dies ist aber nicht hinreichend für eine Gesamtbeurteilung. Großprojekte bedürfen mehr denn andere Projekte eines Risikomanagements. Risiken sind dabei integriert und im Systemkontext zu analysieren.
Eine reine Orientierung an Einzelrisiken oder am wahrscheinlichsten Szenario, selbst wenn es 55 Prozent beträgt, vernachlässigt dabei, dass immer noch in 45 Prozent aller Fälle andere, auch schlechtere Szenarien eintreten können. Ein erweitertes Risikobewusstsein, ein Denken in Wahrscheinlichkeiten und ein kontinuierliches Einbinden der vermeidenden, vorbeugenden und korrigierenden Maßnahmen im systemischen Denken sind erforderlich. Flexible (erste) Schritte wären eine Möglichkeit, solche komplexen Systeme Hand zu haben.
Innere Bereitschaft fehlt
In der Praxis trifft man aber leider allzu oft die schnelle Suche nach einfachen Lösungen und Ursache-Wirkungs-Mechanismen, es fehlt die innere Bereitschaft und die Fähigkeit, in einem komplexen und verwobenen Systemkontext zu denken und daran sein Handeln auszurichten.
Neben inhaltlichen und intrapersonellen Barrieren gibt es auch strukturelle Hindernisse. So schwindet die Hoffnung, dass Risiken in Projekten frühzeitig vorgebeugt wird, wenn im Rahmen von Einsparungen das Risikomanagement einer der ersten betroffenen Bereiche ist. Es lassen sich zwar schnell (scheinbare) Kosteneinsparungen erzielen, die Nachteile werden aber letztlich nur in die Zukunft verlagert. Die Nachbesserungen belaufen sich dabei immer auf ein Vielfaches der ursprünglichen Aufwendungen für Vermeidung und Vorbeugung. Aber diese liegen (weit) in der Zukunft.
Unterstützt und verstärkt wird das Aussparen eines Risikomanagement durch die innere Abneigung der ersten Promotoren, ihre Aversion gegen das Auseinandersetzen mit dem Scheitern. Würde man sich schon zu Beginn mit den Risikofaktoren auseinandersetzen, die Grenzen des eigenen Handelns und Planens erkennen und in einer inneren Reflexion sein Selbstbild überdenken, so müssten kognitiv andere Schritte gemacht werden. Der Tatmensch sieht aber - in eigener Selbstüberschätzung - nur den Erfolg, nicht die Grenzen der Planbarkeit. In der Pflicht sind die Auftraggeber, die Risken und ihre Träger nicht als Bedenken Träger und Bremser sehen dürfen, sondern als verantwortungsvoll Handelnde.
4. Unklare Ziele, Fixierung auf eine einzige Lösung und fehlendes Änderungsmanagement
Eine der häufigsten Ursachen für das Scheitern von Projekten sind fehlende oder unklare Ziele. Messbare Anforderungen und Erfolgskriterien zu definieren, ist schon per se schwierig, in einer solchen Situation wird es aber unmöglich. Denn wer nicht weis, was er will, kann auch nicht wissen, was er braucht. Verschärft wird das Problem, wenn gleich zu Beginn ein rein lösungsfixiertes Vorgehen anstelle eines problemorientierten Vorgehens gewählt wird: Der Grund: Man hat - scheinbar - ja schon eine Lösung.
Sind die Erfolgskriterien schwammig formuliert, so werden sich im weiteren Projektverlauf neue Anforderungen und Wünsche einstellen, denen nicht widersprochen werden kann, Änderungen werden sich häufen, die zu Nachbesserungen führen, der Weg in die Kostenexplosion ist geebnet. Ein Claimmanagement ist unmöglich, weil die vertraglichen Grundlagen zu unklar sind.
Letztlich ist aber auch festzuhalten, dass gerade in öffentlichen Projekten kein systemisches Interesse aller Beteiligten an einer anderen Vorgehensweise vorliegt, weil diese einerseits erlaubt, ohne Risiken zu verdienen, und andererseits ein Aufwand ohne Nutzen entsteht. Dieses Vorgehen ist aber unredlich gegenüber dem Shareholder, dem Steuerzahler, weil die Bestellung bzw. die Wahl unter anderen Bedingungen entschieden worden ist. Die Akteure sind keine Treuhänder mehr.
Fehlendes systemisches Interesse der Beteiligten
Es ist deutlich geworden, dass neben bekannten Erklärungsmodellen und Ursachen aus dem Projektmanagement zusätzlich auch Ansätze des Social Behavior (wie Selbstüberschätzung, Herdenverhalten, kurzfristiges Denken und Reagieren Überbewertung von Ad hoc Informationen und Aktionen) zur Erklärung des Scheiterns herangezogen werden müssen. Ein fehlendes systemisches Interesse der Beteiligten ist aber immer zu konstatieren.
Wieland Cichon ist Professor für Projektberatung und Projektmanagement an der Hochschule München.