"Der (Schlag)worte sind genug gewechselt, lasst mich auch endlich Taten sehn!", möchte man frei nach Goethe rufen, wenn man die gewaltige Zahl an Begriffen betrachtet, mit denen der Arbeitsplatz des Endbenutzers in den letzten Jahren überschüttet wurde: Mobility, Bring your own Device (BYO), User Segmentation, Shared Desktop, User Self Service, Voice over IP (VOIP) oder Future Workspace sind nur eine kleine Auswahl der Schlagworte, die intensiv diskutiert wurden.
Jede neue Version von Windows zog eine Diskussion über Sinn und Geschwindigkeit einer Einführung nach sich, oft ergänzt um den Klassiker Windows versus Mac OS. Damit nicht genug: Tablet PC, Smartphones, Virtualisierung und Cloud Computing sind weitere Innovationen, die ein enormes Potenzial zur Veränderung des Arbeitsplatzes haben.
Die operative Sackgasse
Nun sind ja durchaus auch Taten zu sehen. So findet beispielsweise der Tablet PC seit der Einführung des iPad im Jahr 2010 rasend schnell Akzeptanz. Aber oft wurden die damit verbundenen Hoffnungen enttäuscht. Die Heterogenität der IT wurde in vielen Unternehmen durch neue Desktop-Technologien noch größer.
Die Ursache liegt darin, dass Themen im EUC-Bereich meist nur aus operativen Notwendigkeiten heraus bearbeitet werden - etwa wie das Rollout neuer Desktops am besten zu organisieren ist. Bei der Festlegung der IT-Strategie hingegen steht der Enduser am Rand oder bleibt gar außen vor.
Die 4 Probleme der IT
Verantwortlich dafür sind im Wesentlichen vier Probleme der IT: ein Kommunikationsproblem, ein Moderationsproblem, ein Rollenproblem sowie ein Informationsproblem.
1. Das Kommunikationsproblem
Die Nutzer verfolgen die Diskussionen, besitzen zu Hause selbst moderne IT-Geräte und verfügen oft über ein beträchtliches technisches Wissen. Sie üben Druck auf die Unternehmens-IT aus, solche neuen Entwicklungen einzuführen. Aber ihre Erwartungen sind eben stark vom Privatbereich geprägt. "Bei Aldi bekomme ich das billiger", lautet oft ein Kommentar zu Kostenvoranschlägen der IT-Abteilung.
Nicht sichtbar ist für die meisten Nutzer die Komplexität des Backend. Sie nehmen üblicherweise nur 25 Prozent der IT wahr, die anderen 75 Prozent laufen im Hintergrund. Beispielsweise dauert die Bestellung eines Geräts am PC fünf Minuten - nicht gesehen werden dabei notwendige Prozesse wie Terminvereinbarung, Einbindung der Hersteller, des Field Services sowie des Asset Managements usw. Die IT versteht es oft nicht, diese Komplexität zu kommunizieren.
2. Das Moderationsproblem
Die IT neigt aufgrund der fehlenden Gesamtstrategie im EUC-Bereich zu einer reinen Tower-Betrachtung: Der Lifecycle der Hardware läuft aus - welche nehmen wir jetzt und welche ist am günstigsten? Abhängigkeiten - etwa zu Netzwerken und der RZ-Umgebung - sowie langfristige Ziele werden selten berücksichtigt. Auch hat sie vielfach Schwierigkeiten, vom konkreten Bedarf zu abstrahieren.
Sie bietet für jeden Wunsch der Fachbereiche eine spezielle Lösung, anstatt die Gemeinsamkeiten zu erkennen und dafür eigene, koordinierte Konzepte zu unterbreiten. Viele zuständige IT-Mitarbeiter sind eben reine Techniker. Die Skills für Moderation, Change-Management und eine verständliche Übersetzung der IT-Strategie sind unterrepräsentiert.
Zudem ist gerade in vielen globalen Unternehmen das Anforderungsmanagement der verschiedenen Regionen mangelhaft. Folglich werden immer wieder dezentrale Lösungen realisiert, während das Potenzial einer zentralen Strategie für Einsparungen oft vernachlässigt oder sogar nicht erkannt wird.
Das Rollen -und Informationsproblem
3. Das Rollenproblem
Vielen CIOs fällt es schwer, darzustellen, wie IT-Strategie und -Standardisierung sich auf Produktivität der Enduser und die Geschäftsstrategie auswirken. Verstärkt wird dieses Defizit durch die Unternehmenshierarchie: Noch immer ist der CIO vielfach unter dem CFO angesiedelt. Die Folge: Der Vorstand sieht die IT nicht als Investitionsobjekt; statt einer TCO-Betrachtung dominiert die reine Kostenstellen-Sicht. Damit ignoriert er das vielzitierte "Enabling"-Potenzial der IT für das Geschäft.
4. Das Informationsproblem
Eine Zukunftsplanung setzt Kenntnis der Gegenwart voraus. Aber 80 Prozent der Unternehmen haben heute noch immer keine Übersicht über ihre Baseline, etwa: Wie viele Accounts gibt es im Unternehmen, wie viele Endgeräte? Wie hoch ist die Anzahl der Applikationen? Wie steht es um die Lizenzen, das Asset Management etc.? Erst auf einem aussagekräftigen CMO (Current Mode of Operation) lässt sich jedoch ein FMO (Future Mode of Operation) mit dem entsprechenden Business Case aufbauen.
Die 3 Ebenen der EUC-Strategie
Den Weg aus der operativen Sackgasse weist eine solide EUC-Strategie. Sie sollte klären, wie die Mitarbeiter an ihrem Arbeitsplatz in fünf Jahren arbeiten sollen, wie der Weg dorthin am besten gestaltet wird, welche Abhängigkeiten dabei zu berücksichtigen sind und alle betrieblichen Ebenen einbeziehen: die Endbenutzer, die IT sowie die Geschäftsleitung.
1. Die Nutzerebene
Viele neue Arbeitsplatz-Lösungen haben ein enormes Produktivitätspotenzial, das es zu integrieren gilt. Beispielsweise sorgen Tablet-PCs und Smartphones für mehr Mobilität und Flexibilität. Cloud Anwendungen (SaaS) erfordern keine Installation von Anwendungen und benötigen somit auch keine Softwareverteilung, was Ressourcen spart. Zudem schafft die Virtualisierung neue Möglichkeiten, Anwendungen bereitzustellen. Touch- und Spracheingabe werden sicherlich in den kommenden Jahren die Bedienung von Anwendungen revolutionieren.
Der CIO und die anderen IT-Verantwortlichen sollten prüfen, welche Neuerungen für das Unternehmen künftig eine Rolle spielen und wie sie damit umgehen wollen: Bekommen etwa alle Benutzer alle Möglichkeiten (One Size fits all) - oder erhält jede Gruppe die Arbeitsumgebung, die für ihre jeweiligen Aufgaben erforderlich ist (Benutzersegmentierung)? Wie lassen sich die Produktivität und zugleich die Zufriedenheit der Nutzer nachhaltig steigern? Denn die Akzeptanz entscheidet über den Gesamterfolg.
Die IT -und Geschäftsleitungsebene
2. Die IT-Ebene
Viele Aspekte neuer Arbeitsplatz-Technologien haben Auswirkungen auf andere IT-Bereiche.
Durch den momentanen Paradigmenwechsel im End User Computing - weg von Client/Server, hin zu Cloud Computing und Virtualisierung - werden Server-Infrastrukturen ins Rechenzentrum zurückverlagert. Diese neue Zentralisierung hat Folgen für die Storage- und Backup-Infrastruktur, für Apps und App-Stores. Sie beeinflusst das künftige Betriebsmodell (Target Operational Model - TOM). Beispielsweise müssen Endgeräte weniger personalisiert werden, wenn die eigentliche Arbeitsumgebung zentral im Rechenzentrum angesiedelt ist.
Veränderte Bedienung wie Touch- und Spracheingabe bei Tablets und Smartphones stellen neue Anforderungen an eigenentwickelte Anwendungen. Die Entscheidung für ein OS-Upgrade kann Auswirkungen auf die Backend-Architektur haben. Änderungen beim Anforderungsmanagement beeinflussen die Werte definierter KPI.
Erst im Rahmen einer EUC-Strategie lassen sich solche Abhängigkeiten erkennen und steuern.
3. Die Geschäftsleitungsebene
Die künftige EUC-Strategie sollte auch unter dem Aspekt entwickelt werden, wie technische Innovationen für das jeweilige Geschäft wertschöpfend eingesetzt werden können. Dazu zwei Beispiele aus der Luftfahrt und dem Gesundheitswesen: Fluglinien stellen die Ausgabe von Flugzeugdokumentation auf elektronische Bücher um, anstatt mehrere tausend Seiten mitzunehmen; Ärzte/Krankenhäuser setzen Tablets ein, um während der Visite die Diagnose zu unterstützen.
Im Rahmen einer TCO-Betrachtung ist zu klären, an welchen Schrauben man sinnvoller Weise drehen sollte, um die für das gesamte Unternehmen beste Lösung zu erhalten. Dies geht dann über ein EUC hinaus und beeinflusst Arbeitsplatz- und eventuell sogar Lokationskonzepte. Dafür ist ein entsprechen langer strategischer Planungshorizont notwendig.
Wie eine EUC-Strategie richtig implementiert wird
Eine EUC-Strategie wird zum Erfolg, wenn sie End-to-End implementiert wird. Projektbeispiele belegen dies. So hat eine private Versicherung auf diese Weise ihre Strategie überprüft und optimiert; eine europäische Großbank hat ihre Kommunikation gegenüber dem Business verbessert, ein öffentliches Unternehmen seine Service-Schnitte und Verrechnungsmodelle weiterentwickelt. Die Verantwortlichen sollten sich dabei an dem Vier-Phasen-Modell orientieren: Analyse, Entwurf, Trans-formation und Betrieb.
1. Analysephase
Startpunkt ist die Kenntnis der aktuellen Situation, des Bedarfs und der Ziele:'
Wo stehen wir heute? Eine Standortbestimmung erfasst den CMO: das Mengengerüst der IT (Geräte, Anwendungen, Softwarelizenzen etc.), aber auch mögliche Lücken, Überlappungen und Redundanzen.
Welche Anforderungen stellen das Business und die Benutzer an die IT? Die End-User-Segmente werden erfasst, ihre Anforderungen zusammengebracht und priorisiert. Dabei werden Gemeinsamkeiten erkannt und in ein IT-Konzept überführt. Oft müssen gegenläufige Interessen integriert werden. Eventuell fordert die Business-Seite für jede Funktion eine eigene Anwendung und argumentiert mit der höheren Produktivität - die IT hingegen strebt eine Minimierung der Applikationszahl an, um die Komplexität und die Kosten möglichst gering zu halten.
Vielleicht stellt die Security zusätzliche Anforderungen an die Gestaltung der Arbeitsplätze. Auch der Bereich Finance kann seinen Standpunkt einbringen, etwa zu verursachergerechter Abrechnung versus Umlageverfahren bei der Einführung technischer Neuerungen.
Für diese Aufgaben werden Skills benötigt, um zu moderieren, zu abstrahieren, zu übersetzen und zu erklären - entweder im Unternehmen oder durch Beratung.
Welche Ziele sollen langfristig erreicht werden? Dabei ist insbesondere der Wertschöpfungsbeitrag der IT zu berücksichtigen.
2. Entwurfsphase
Aufsetzend auf den Ist-Daten, Anforderungen, Zielen und Prioritäten wird nun der Arbeitsplatz der Zukunft entworfen. Die wichtigsten Aufgaben dieser Phase:
Das zukünftige EUC-Modell konzipieren. Zunächst wird definiert, nach welchem Modell End User Services künftig angeboten werden. Beispielsweise wird präzisiert, ob und wo die Mitarbeiter eigene mobile Geräte verwenden dürfen (BYO), welche Anwendungen virtuell bereitgestellt und welche vollständig durch Apps ersetzt werden, oder ob und wie VoIP eingesetzt wird, um die Telefonie in die Clients zu integrieren.
Die technische Machbarkeit prüfen.
Den finanziellen Business Case bewerten. Das Urteil sollte nicht nur die IT-Kosten, sondern im Rahmen einer TCO-Betrachtung die gesamte Kette der Unternehmenskosten berücksichtigen. Zum Beispiel: Self Services reduzieren die IT-Kosten - sie bedingen aber, dass viele Mitarbeiter ihre Zeit damit verbringen, sich um die Arbeitsplatzausstattung zu kümmern.
Die Entscheidung "Make or Buy" treffen. Sie ist Teil der TCO-Betrachtung. Gegebenenfalls kann ein externer Service Provider durch den industrialisierten Betrieb der End User Services (IT-Factory-Ansatz) die benötigten Dienstleistungen effizienter erbringen.
Budget und Ressourcen planen. Auf Basis des Business Case und der EUC-Strategie wird ein optimierter Budget- und Ressourcenplan erstellt. Dieser wird erst dann aussagekräftig, wenn er alle Synergie-Effekte über die Teilprojekte hinweg berücksichtigt. Auch sollte bereits hier darauf geachtet werden, dass über alle Phasen hinweg ein konstantes Projektteam vorhanden ist. Nur so lässt sich während der Transformation vom Ist-Betrieb (CMO) zum definierten künftigen Betriebsmodell (FMO) ein Know-how-Verlust vermeiden.
3. Transformationsphase
Aufbauend auf dem Entwurf organisieren die externen und internen Beteiligten die Transformation:
Details konzipieren. Das definierte Modell wird mit Leben gefüllt, indem für die einzelnen Bereiche der End User Services Fach- und Feinkonzepte erstellt werden.
Auch in dieser Phase müssen die Abhängigkeiten detailliert berücksichtigt werden. Einige Beispiele: Flexibilität und Mobilität waren formulierte Ziele und BYO wurde als mögliches Konzept dafür angesehen - nun ist zu prüfen, ob es mit der vorgegebenen Datensicherheit übereinstimmt. Oder: Die Prüfung auf Virtualisierbarkeit hat gezeigt, dass einige Anwendungen nicht über das neue Bereitstellungsmodell (etwa App-Streaming) verteilt werden können - der Projektstream "Arbeitsplatz- und Benutzer-Segmentierung" muss nun klären, welche Benutzergruppen betroffen sind. Nur so wird im Sinne der TCO die insgesamt beste Alternative geschaffen.
IT-Services definieren. Für die aus den Fach- und Feinkonzepten resultierenden Vorgaben werden die benötigten Services und Komponenten festgelegt.
Services und Komponenten ausschreiben. Für die Teile, die durch interne Ressourcen erbracht werden, erstellt die Service Delivery Angebote; externe Ressourcen werden ausgeschrieben.
Die Organisation anpassen. Aus der Planung werden die notwendigen Organisationsänderungen abgeleitet, um über das Reporting und das Mengenmanagement die mit den Zielen verbundenen KPI kontinuierlich zu überwachen und zu steuern - gleichgültig, ob der Service durch einen Provider oder eine interne Abteilung erbracht wird.
Die Services gemäß der Prioritäten und Modelle implementieren.
4. Betriebsphase
Bei der Überführung des FMO in den Betrieb müssen ebenfalls kritische Herausforderungen gemeistert werden:
Die Services integrieren. Dabei sind insbesondere die Grundsätze des Multiprovider-Managements zu berücksichtigen (siehe auch die CIO-Kolumne: Wie man das Multi-Provider-Chaos verhindert).
Die Service Provider steuern und überwachen. Damit die Endanwender zufrieden sind, sollten die Verantwortlichen immer wieder prüfen, ob die vereinbarten Leistungen mit der gelieferten Menge und Qualität übereinstimmen. Auch sollten sie Kosten, Produktivität und weitere wichtige KPI überwachen, um das geplante Budget einzuhalten.
Die Services kontinuierlich verbessern. Um innovative Änderungen des Marktes den Anwendern früh-zeitig anzubieten und Feedback über mögliche Verbesserungen zu bekommen, sollte sich die interne und externe IT regelmäßig mit den belieferten Business-Einheiten abstimmen. Auch sollten die für den IT-Betrieb verantwortlichen internen und externen Mitarbeiter in wichtige Endscheidungen einbezogen werden.
Den Spagat erfolgreich managen
Die Praxis hat bewiesen, dass eine umfassende, End-to-End abgestimmte EUC-Strategie die Kosten um 30 Prozent bis 40 Prozent senken kann. Diese Einsparungen sind einerseits durch Effizienzsteigerungen innerhalb der IT zu realisieren, andererseits durch erhöhte Produktivität im Unternehmen.
Eine solche deutliche Kostenoptimierung muss nicht zu Lasten der Benutzerzufriedenheit gehen. Wie erwähnt, nehmen die User üblicherweise drei Viertel der technologischen Änderungen nicht wahr. Der Arbeitsplatz ist ihre Schnittstelle zur IT. Ob dazu Applikationen z.B. lokal installiert oder in gleicher Qualität virtualisiert bereitgestellt werden, ist für sie irrelevant. Unter Kostenaspekten spielt es jedoch eine große Rolle. Deshalb können neue Technologien die Kosten deutlich reduzieren.
Ein weiterer Stellhebel ist die gelieferte Qualität. Die genaue Prüfung der vereinbarten SLA mit dem tatsächlichen Bedarf zeigt, ob sich die Service Level und als Konsequenz die Preise reduzieren lassen.
Verursachungsgerechte Verrechnung kann ebenfalls die Kosten verringern. Sie ist mit Ansätzen wie Cloud Computing und Vitalisierung immer besser realisierbar. Durch die Zentralisierung der Services ist eine Überwachung der Nutzung pro User gegeben; somit lassen sich die belegten Kapazitäten zuordnen. Über Portale kann der Benutzer seinen Konsum einsehen und beeinflussen. Die Virtualisierung an sich erlaubt es wiederum, Ressourcen besser auszunutzen. Ein auf Virtualisierung ausgerichtetes Kapazitätsmanagement kann gegenüber klassischen Umgebungen bis zu 40 Prozent der Kosten einsparen.
Mit einer erfolgreich implementierten EUC-Strategie können Unternehmen den Spagat zwischen Kostensenkung, höherer Nutzerzufriedenheit und -produktivität, IT- und Unternehmensstrategie meistern. Bei einem solchen Vorgehen ist übrigens der öffentliche Bereich weit vorne. Die Dienstleister und das produzierende Gewerbe folgen nun.
Alexander Müller-Herbst ist Partner & Managing Director bei der Information Services Group Germany GmbH.