Die Universität Leipzig hat zusammen mit Partnern nach 2010 eine zweite Studie zum Einsatz von Social Media in deutschen Organisationen und Unternehmen vorgelegt. Viele Handelsunternehmen haben bereits großes Interesse an Social Media wie Facebook, Twitter, Xing oder LinkedIn gezeigt. Um ihr Geschäft anzukurbeln, werden laufend neue Aktionen auf diesen Gebieten gestartet. Doch sollten alle Maßnahmen gründlich vorbereitet und bedacht sein.
Mit personalisiertem Marketing, neuen Formen von Branding oder Sonderaktionen für einzelne Alters- und Interessensgruppen sollen die neuen Kanäle für die Retailer aktiviert werden. Dabei macht man sich in erster Linie die Tatsache zu Nutze, dass inzwischen Internet-Nutzer ihre meiste Zeit bei Facebook & Co. verbringen. Die Marktforschungsfirma Comscore hat gerade im Auftrag des IT-Branchenverbandes Bitkom neue Zahlen dazu vorgelegt.
Demnach haben im September 2011 deutsche Internet-Nutzer 16,2 Prozent ihrer Online-Zeit bei Facebook verbracht, gefolgt von Google mit einem Anteil von 12,3 Prozent. Gegenüber 2010 hat sich die Nutzung von Facebook mit damals 4,1 Prozent vervierfacht. Interessant erscheint auch, dass die 20 größten Internet-Anbieter insgesamt etwa die Hälfte der Online-Zeit binden.
Früher haben Unternehmen inklusive Händler dort Anzeigen oder Videoclips untergebracht, wo die Leser oder TV-Zuschauer besonders viel ihrer Zeit verbracht haben. Mit der immer größer werdenden Bedeutung des Internets und der Social Media liegt es damit mehr als nahe, die Werbeaktivitäten dorthin zu verlagern und unter das neue Kommunikationsmäntelchen zu schlüpfen. Die Wirksamkeit dürfte sogar größer als bei dem klassischen Marketing sein, wenn man sich als ein Teil der neuen Social Communities etablieren oder sogar selbst welche gründen kann.
Manche Retailer wie zum Beispiel Otto tun das inzwischen in einer Weise, die Aufsehen erregt, und nutzen die "Personalisierung“ im Internet mit neuen Methoden. Wie das Internet-Magazin "Telepolis“ („Wenn der Versandhandel zurückruft“) berichtet, hat man dort eine eigene Angestelltentruppe von bis zu 50 Personen aufgestellt, die permanent Webseiten wie Facebook daraufhin überprüfen, wie ihr Unternehmen bei den Kunden ankommt.
50 Mitarbeiter beobachten bei der Otto-Gruppe Social Media
Äußern sich Kunden dort oder anderswo in den Weiten des Web unzufrieden oder negativ über die Produkte, den Service oder den Versand, geht Otto in die Offensive und nimmt von sich aus per E-Mail oder Telefon direkten Kontakt zu diesen Personen auf. So gelingt es in vielen Fällen, den Unmut wieder zu dämpfen, denn die Kunden fühlen sich ernst genommen.
Das Beispiel könnte Schule machen, denn die Zahl der deutschen Organisationen und Unternehmen, die Social Media aktiv in der Kommunikation einsetzen, ist in den vergangenen zwölf Monaten von 54,3 auf 71,3 Prozent gestiegen. Viele befinden sich jedoch noch in einer Experimentierphase. Trotz des hohen Zuwachses liegt die Entwicklung hinter den 2010 geäußerten Erwartungen, sagen die Marktforscher. 28,7 Prozent der Befragten sind nicht im Social Web aktiv.
Die Studie zeigt laut der Universität Leipzig, dass bei deutlich gestiegenem Commitment des Managements (48 Prozent) die notwendigen organisatorischen Rahmenbedingungen für Social Media generell verbessert wurden. Dies gilt jedoch nur mit Einschränkungen: "Dennoch gibt es bislang nur bei maximal einem Drittel der befragten Organisationen dezidierte personelle Ressourcen, Guidelines, Trainingsangebote oder Monitoring-Tools für Social Media.“
Kennzahlen kaum bekannt
Erfolgskennzahlen oder Social Media Budgets seien nur bei rund 15 Prozent vorhanden. Zudem sorgten der aus Social Media entstehende Alltagsdruck und wachsende Erfahrung für eine nüchternere Betrachtungsweise der Entwicklung: "So sieht nur ein gutes Drittel der Befragten die eigene Organisation gut gerüstet für Social Media.“
Die Autoren der Marktforschung gehen davon aus, dass das Social Web in den meisten Unternehmen und vor allem in der Unternehmenskommunikation angekommen sei. Doch bestehe weiterhin großer Handlungsbedarf in zentralen Handlungsfeldern:
Was im Social Web zu tun ist
1. Systematische Analyse: Nur knapp ein Drittel aller Organisationen verfüge über Tools für das Monitoring sozialer Medien und der dort diskutierten Inhalte. Zur frühzeitigen Identifikation von Chancen und Risiken sei "die zielgerichtete Beobachtung des Social Web schon heute Pflichtaufgabe“.
2. Klare Erfolgskriterien: Investitionen in Social Media könnten nur über tragfähige Kennzahlen legitimierbar sein: "Dies erfordert klare Zielvorgaben und wirklich relevante Messwerte, weit über die Messung von Follower-Zahlen und Web-Traffic hinaus.“ Gefordert seien ferner "Analysen des Meinungssentiment“ und vor allem die "Betrachtung des Einflusses von Social Media auf Geschäftsprozesse im Sinne von Verschlankung, Qualität oder Geschäftsanbahnung und Abverkauf“.
3. Qualifikation : Der durch Social Media angestoßene Strukturwandel bei Medien, gesellschaftlichen Diskursen und Organisationskommunikation stellt neue Anforderungen an die Kenntnisse und die Ausbildung der Mitarbeiter: "Um mit der Entwicklung bei Social Media mithalten zu können, muss deutlich mehr in Qualifikation investiert werden.“
4. Kulturelle Anschlussfähigkeit: Social Media erfordern laut Uni Leipzig "eine grundsätzliche Bereitschaft zur kommunikativen Offenheit“. Das Festhalten an Kontrollillusionen führe ins Abseits: "Die Frage „Wie viel Dialog, zu welchen Themen, in welchen Grenzen und von wem geführt?“ wird zukünftig nicht nur Kommunikationsmanager nachhaltig beschäftigen.“
Der richtige Umgang mit Social Media will gelernt sein
Ob das immer im Sinne des Kunden sein wird, bleibt abzuwarten. Immerhin wurden die Social Media ja dazu entwickelt, den im Internet aktiven Personen neue, individuelle Ausdrucksformen für die Kommunikation untereinander anzubieten. Retailer sollten deshalb mehr im Auge haben als reine Verkaufsförderung. Andernfalls werden sie schnell unglaubwürdig sein.