Links und radikal sollte die neue Tageszeitung sein, die vor 40 Jahren zum ersten Mal erschien. Die "Null-Nr. 1" trug zwar das Datum vom 22. September, war aber erst fünf Tage später zu haben. Die Titelseite widmete sich dem Ende des Bürgerkriegs in Nicaragua genau wie der Festnahme der RAF-Terroristin Astrid Proll. Allerdings hatte "die Tageszeitung", die schwer nach Bleiwüste aussah, auch eine Reihe von Themen zu bieten, die auf den ersten Blick wenig links und radikal erschienen: "Arzt zu faul, Baby tot" lautete eine der Schlagzeilen, "Bald gibt's keine Hebammen mehr" oder auch "Warum wir Beethoven lieben". Das neue Blatt, das bald als "taz" bundesweit von sich reden machen sollte, hatte von Anfang an ein breites Spektrum.
Tageszeitung von Anfängern produziert
Die erste Ausgabe am 27. September 1978 enthielt auch einen Aufruf, das Projekt zu unterstützen. Sie sollte erscheinen, sobald sich 20.000 Abonnenten gefunden haben. Das habe allerdings nicht geklappt, sagt "taz"-Geschäftsführer Karl-Heinz Ruch. Als die Zeitung ab April 1979 regelmäßig gedruckt wurde, waren es erst 7.000. Von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Redaktion, die damals anfingen, in einem Betonklotz im Berliner Stadtteil Wedding eine tägliche Zeitung zu produzieren, hatten die wenigsten viel Ahnung von Journalismus. Und wahrscheinlich konnte keiner von ihnen vorhersehen, dass das alternative Projekt noch 40 Jahre später existieren würde.
Den Wedding hat die "taz" längst hinter sich gelassen. Und auch aus dem Gründerzeitbau in der Rudi-Dutschke-Straße in Blickweite zum alten Klassenfeind im Springerhochhaus zieht die Redaktion bald aus und in ihr nagelneues Haus in der Friedrichstraße ein. Sie braucht mehr Platz. Nicht nur für die Arbeit an der gedruckten Ausgabe, von der Leserbriefschreiber gerade erst wieder gefordert haben, dass sie bleiben soll, sondern auch an vielen neuen Projekten. Statt links und radikal lautet das Motto dabei heute eher links und digital.
Diversifikation bei der taz
Georg Löwisch (44), neben Barbara Junge und Katrin Gottschalk an der Spitze der Chefredaktion, kann sich noch gut an die Zeit erinnern, als er selbst angefangen hat, für die "taz" zu schreiben. Das war 1997. Damals erschien sie noch in Schwarz-Weiß, es gab noch keine Online-Ausgabe, noch kein ePaper, noch nicht die umfangreiche "taz am Wochenende". Seitdem stehen die Zeichen auf Diversifikation - wirtschaftlich steht die "taz" längst auf mehreren Beinen.
Und Karl-Heinz "Kalle" Ruch, studierter Volkswirt, "taz"-ler von Anfang an, kann sich problemlos vorstellen, dass die Zeitung montags bis freitags nicht mehr gedruckt erscheint. Ruch zeigt auf die Kurve der Zahlen für die Abos während der Woche - sie geht seit Jahren nach unten. Die Kosten für den Vertrieb steigen. Irgendwann ist er nicht mehr zu bezahlen. Aber wann? Der Geschäftsführer hat sich in seinem "Szenario 2022" auf bald festgelegt. Schon 2011 hatte er vorhergesagt, die gedruckte tägliche "taz" werde es zehn Jahre später nicht mehr geben. "Der Trend ist nicht aufhaltbar", sagt er heute.
Die Zukunft heißt taz online
Die "taz" künftig während der Woche nur noch digital anzubieten und eine dicke Samstagsausgabe vorzulegen, hält er für die beste Idee. Ruch geht davon aus, dass das wirtschaftlich funktioniert, wenn gleichzeitig die Einnahmen durch das Abo für die Wochenend-"taz", durch die App und die ePaper-Ausgabe und durch "taz-zahl-ich", die freiwilligen Beiträge für "taz.de", entsprechend steigen. Bei der Genossenschaftsversammlung Mitte September gab es für das "Szenario 2022" und die Perspektive, auf die Papier-"taz" verzichten zu müssen, allerdings nicht nur Beifall.
"Wir haben überhaupt kein fixes Datum", sagt Georg Löwisch. "Vielleicht gibt es die gedruckte "taz" am Werktag länger als gedacht." Aber viel spricht dafür, dass für die "taz" bald deutlich weniger Bäume gefällt werden müssen. Kalle Ruch liest Zeitung schon lange am liebsten digital.
Und was ist noch übrig, von dem Anspruch, eine linke und radikale Zeitung zu machen? "Bei uns hat Links so viele Perspektiven wie nirgendwo sonst", sagt Löwisch. "Jetzt rutscht die Republik nach rechts, und es wird vieles von rechts diskutiert, häufig auch mit einem scheppernden und beklemmenden Sound. Und dagegen setzen wir eine linke Buntheit und Lebendigkeit." (dpa/rs)