Seit der Einführung des Internets und Enterprise-Resource-Planning (ERP) Mitte der neunziger Jahre haben Führungskräfte in praktisch allen Industriebranchen stark in Business-Process-Management (BPM-) Initiativen investiert. Die Erwartung war, dadurch Leistungsverbesserungen zu erzielen. Leider hatten jedoch nicht alle dieser IT-gestützten Initiativen den gewünschten Erfolg. Manche haben sogar zu gewaltigen Fehlschlägen geführt und Albträume über einen riesigen Ausgabenberg hervorgerufen, während viele andere mit der Konsolidierung und Synchronisierung der einzelnen Unternehmensapplikationen und Altlasten kämpfen.
Kein Wunder also, dass CIOs unter Druck gesetzt werden, ihren BPM-Ansatz zu ändern. In den Ergebnissen von zwei kürzlich durchgeführten Erhebungen von Forrester wurden Fähigkeiten und organisatorische Herausforderungen als erforderlich hervorgehoben. Bei einer 2009 durchgeführten Blitzerhebung von 117 Geschäftsprozess- und Applikationsspezialisten sagten 86 Prozent der Befragten, dass unzulängliche Unterstützung für funktionsübergreifende Prozesse ein bedeutendes oder gar sehr bedeutendes Problem darstelle. Eine weitere Erhebung, die im Februar 2010 durchgeführt wurde, ergab, dass CIOs nur in 13 Prozent der 141 befragten Unternehmen die Hauptverantwortung für eine Förderung von BPM-Initiativen trugen (vgl. Abb. 1 und 1.1).
Zur Feststellung, wie Unternehmen ihre aktuellen BPM-Practices ändern müssen, hat Forrester für BPM zuständige Personen in 28 Unternehmen aus neun Ländern und fünf Kontinenten befragt. Jedes der Unternehmen hatte einen Jahresumsatz von mindestens 1 Milliarde Dollar, die meisten waren jedoch noch wesentlich größer – einige gehörten selbst zu den Fortune-100-Unternehmen. Die Ergebnisse dieser Forschung weisen aus, dass es in der Profilumschreibung und den zur Förderung der BPM-Initiativen erforderlichen Fähigkeiten eine große Lücke gibt.
Zur Verbesserung der derzeitigen BPM-Practices müssen CIOs neue Mitarbeiterprofile entwickeln und diese Profile um BPM-Initiativen außerhalb der traditionellen IT organisieren.
Die historischen Wurzeln der Profile der Geschäftsprozessexperten liegen in den verschiedenen Arten der Analysten, die sich traditionell auf die Anforderungsanalyse und Automatisierung einzelner Prozesse spezialisiert haben, wie Finanzen, HR, Marketing, Sales oder Operations. Die traditionelle Aufgabe des Analysten verändert sich allerdings in hohem Tempo, da die Firmen schnellere und komplexere Wertschöpfungsketten managen müssen, die sich über weiter verstreute und unterschiedliche Unternehmensfunktionen erstrecken. Diese neue Umgebung schafft die Notwendigkeit für eine stärker diversifizierte Rolle, in der sich Business und IT durch mehrere Profile überschneiden (vgl. Abb. 2 und 2.1):
Manager, Architekten und Prozess-Analysten
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1. Der Manager für Geschäftsprozessoptimierung oder "Change Agent" - berichtet dem CIO oder einem Topmanager, obwohl immer häufiger auch zu beiden eine mehr oder weniger enge Beziehung besteht. Der Change-Agent regt kontinuierlich Verbesserungen an und schafft eine Brücke zwischen verschiedenen Business-Silos und IT. Meistens ist diese Person für die Prozess-Governance zuständig und verwaltet die BPM-Initiative aktiv von einem Transformationsprogramm aus. Der Change-Agent ist immer sehr erfahren, oftmals ein ehemaliger IT-Executive, der im Laufe der Zeit sein Hauptaugenmerk auf die betriebswirtschaftliche Seite gelegt hat.
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2. Der Business-Architekt - in der Regel sehr erfahren; er berichtet dem Change-Agent, Linienverantwortung ist nicht wahrscheinlich (obwohl Prozess-Analysten möglicherweise ihm berichten). Oftmals mit einem starken und langjährigen Hintergrund in einer Business-Domäne wie Lieferantenmanagement, Produktion oder Controlling und häufig mit Erfahrungen mit Lean, TQM oder Six-Sigma. Der Business-Architekt ist gewöhnlich zuständig für das Coaching der Prozessanalysten und hilft beim Aufbau von Prozessfähigkeiten in der Organisation einschließlich der Anwendung von Informationsmanagement zur Verbesserung der Geschäftsergebnisse.
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3. Prozess-Analysten - Personen mit Erfahrung und theoretischen Kenntnissen von Prozess-Modellierungs-Methodologien und -Werkzeugen. Sie haben eine einzigartige und instinktive Fähigkeit, in Form von Prozessmodellen und Prozessverbesserungen zu denken. Eine Eigenschaft, die diese Personen auszeichnet, sind ihre starken geschäftsanalytischen Fähigkeiten in Kombination mit intensiven technischen Fähigkeiten, wodurch sie Prozessmodelle auf Implementierungsebene entwickeln können. Demzufolge sind sie zuständig für die Modellierung und Analyse von Geschäftsprozessen, den Aufbau der Runtime-Umgebung für Geschäftsprozesse und sie arbeiten eng mit den IT-Architekten zusammen.
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4. Angehende Business-Analysten - sind in vielen verschiedenen Geschäftsbereichen und in der IT-Organisation im Einsatz, ungeachtet der Größe des Unternehmens. Normalerweise erfassen Business-Analysten funktionale Anforderungen durch Befragung von Prozessverantwortlichen und Prozessbeteiligten. Sie können sich in den Geschäftsbereichen befinden oder in der IT und führen oft die gleiche Arbeit aus, egal, wem sie berichten. Hier ist ein Ansatz für Geschäftsprozessoptimierungen gegeben: Viele Unternehmen versuchen jetzt, ihre traditionellen Businessanalysten von der herkömmlichen Anforderungserfassung zur Prozessmodellierung und Implementierung übergehen zu lassen.
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5. Manager IT-Businessanwendungen - berichtet meistens der IT-Abteilung und kann die Management-Verantwortung für mehrere Bereiche einschließlich ERP, Data-Management, Websites und E-Commerce haben. Die betreffende Person ist operational ausgerichtet und kann selbst dafür zuständig sein, die Lichter in der IT nicht ausgehen zu lassen. Obwohl diese Person für ein oder mehrere BPM-Projekte verantwortlich sein kann, handelt es sich nicht um eine übergeordnete Strategie der Geschäftsprozessoptimierung.
BPM-Initiativen außerhalb der traditionellen IT organisieren
Kollektiv betrachtet, sind die Tätigkeit und Verantwortlichkeiten von Geschäftprozessexperten im Umbruch. Die traditionell, der IT zugeordnete Analystenrolle wird in eine vollständig geschäftsintegrierte BPM-Funktion umgesetzt. Wie die Analyse von Forrester zeigt, liegen die meisten BPM-Initiativen außerhalb der traditionellen IT-Domäne und nehmen sie zwei Organisationsformen an:
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Geschäftstransformationsprogramme. In vielen Unternehmen, die baldmöglichst eine Änderung durchführen müssen, wird die Implementierung und Erweiterung der übergeordneten Prozesse und Kollaborationsmodelle durch Transformationsprogramme erzielt – viele innerhalb der IT, allerdings mit dualer Verbindung zu den dafür zuständigen Geschäftsbereichen. Diese als Verbund von Querschnittsprojekten organisierten und von Change-Agents verwalteten Programme sind auf die Implementierung von übergeordneten Prozessen ausgerichtet, wie Order-to-Cash oder Forecast-to-Stock, von der Machbarkeitsstudie bis zum Entwurf, Technologie-Auswahl, Implementierung und Produktionsübernahme und Betriebsunterstützung.
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Business-Process-COE. Eine zunehmende Zahl von Unternehmen richtet Kompetenzzentren (Centers of Expertise - COE) ein, die verschiedenen Geschäftsbereiche bei der Implementierung von Geschäftsprozessen behilflich sind. Die Zentren fungieren als Shared Services Organisationen, die manchmal 200 bis 300 Praktiker erreichen und in der Regel Kompetenzen in Prozessmethodologien, Veränderungsmanagement, Betrieb, und Steuerung bereitstellen.
Die meisten dieser COE entstehen als Projekte bei Transformationsprogrammen und entwickeln sich zu starken Linienorganisationen, die entweder dem Business oder der IT berichten und darauf ausgerichtet sind, Risiken zu reduzieren und die Erfolgsquoten der BPM-Initiativen zu erhöhen. In den unterschiedlichen COE gibt es einige Konstanten, wie äußerst qualifizierte Prozessarchitekten und Analysten. Darüber hinaus sind viele weitere Kompetenzen vorhanden, vom Anforderungsmanagement bis hin zum Management von technischen Abläufen.
In der Rolle eines Business-Partners
CIOs, die in der Rolle eines Businesspartners sich etablieren wollen, müssen eng mit dem Topmanagement und den Geschäftsteilhabern zusammenarbeiten, um
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1) die Mitarbeiterprofile des Change Agent, Businessarchitekten und Prozessanalysten, in denen sich Business und IT überschneiden und
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2) diese Profile um die BPM-Initiativen herum und außerhalb der traditionellen IT zu organisieren.
Alex Peters ist Analyst und Connie Moore Research Director bei Forrester.