Mit etwas Fantasie erinnert der Eingang wirklich an eine Abflughalle eines Flughafens. Gläserne Front, Türen, die von selbst aufgehen, ein Schalter, der noch ein ganzes Stück vom Eingang entfernt ist. Die Eingangshalle des Klinikum Ingolstadt ist kleiner, mit weniger Menschen, doch herrscht hier rund um die Uhr Betriebsamkeit: Wenn nur alle vier Tage die Betten gewechselt werden, nimmt das Klinikum Ingolstadt täglich etwa 200 Patienten neu auf. Genug für den Leiter Informationstechnologie und -strategie Thomas Kleemann, sich Gedanken zu machen über eine einfachere Aufnahme der Patienten.
Per Quick-Check-In, im Klinikum dann Medikiosk genannt, werden sich Patienten ab April 2010 selbst im Krankenhaus aufnehmen können. "Warum nicht?", fragt Kleemann, "bei der Lufthansa hat es doch auch funktioniert." Zwar stecken einige Fluggäste ihre Miles-and-more-Karte noch immer verkehrt herum in den Automatenschlitz, andere kommen nicht mit der Eingabe klar. Aber dafür gibt es ja das Servicepersonal. Der geplante Tower des Terminalherstellers NCR soll diverse Fremdsprachen beherrschen, die Aufnahmeprozedur erleichtern oder zumindest die Wartezeit überbrücken.
Health-IT: "In Branchen-Silo sozialisiert"
Von anderen Branchen lernen, über den eigenen Tellerrand hinausschauen: Das ist in der Health-IT der Kliniken offenbar nicht unbedingt üblich. "Die Geschäftsführer sind quasi in einem Branchen-Silo sozialisiert", kommentiert Peter Herrendorf, "das bedingt ein ausgeprägtes Sicherheitsbedürfnis bei der Besetzung von Positionen auf der zweiten Führungsebene" - Branchenfremde sind da häufig ein unkalkulierbares Risiko.
Und der Partner des Personaldienstleisters Odgers Berndtson ist seit mehr als zehn Jahren im Gesundheitswesen unterwegs und an der Besetzung von Schlüsselpositionen in Kliniken und Klinikketten beteiligt, scheut sich nicht, von Inzucht zu sprechen. Auf die Bedeutung der IT heruntergebrochen heiße das, langsamer voranzuschreiten, sofern fremder Branchenstallgeruch nicht zugelassen wird. "Kein Benchmarking mit anderen Branchen zu betreiben ist ein closed shop - so kann man sich nicht weiterentwickeln", ergänzt Katja Hollaender-Herr von Odgers Berndtson, die seit Jahren in der Vermittlung von Industrie-CIOs wirkt. Die Offenheit für neue Ideen und das Infragestellen bestehender Prozesse ist ein Schlüsselfaktor, der einen CIO von einem IT-Frickler in Krankenhäusern unterscheidet.
Thomas Kleemann wechselte damals, im Jahr 2001, von einem Bauunternehmen zum Klinikum. "Ein Perspektivwechsel war der ausdrückliche Wunsch der Klinikleitung - und zwar in Hinblick auf Prozessorientierung im Klinikverbund." Dabei war es vom damaligen Personalchef und jetzigen Geschäftsführer Heribert Fastenmeier gerade erwünscht, dass Kleemann Erfahrungen aus einer sehr kundenorientierten Branche mitbrachte. "Der Kauf eines Hauses ist von vorne bis hinten standardisiert", so Kleemann, der auch in der Klinik diverse Standardisierungsprojekte angestoßen hat. SAP, Siemens, Microsoft sind inzwischen die drei strategischen Partner für das Haus. Sie liefern die Basis dafür, jenes Thema vorantreiben zu können, von dem er am liebsten spricht - Visionen.
Hier geht es nicht nur um den Quick-Check-In, sondern auch um das browserbasierte Krankenhausinformationssystem von Siemens "Soarian" und um ein Einweiserportal, das jetzt Kommunikationsportal heißt und sämtlichen medizinischen Dienstleistern den (digital zertifizierten) Zugang zu Patientendaten ermöglicht - und nicht nur den Klinikärzten.
Inzwischen hat der ehemalige EDV-Leiter seinen neuen, moderneren Titel auf der Visitenkarte stehen, Leiter Informationstechnologie und -strategie - und ist auch schwarz auf weiß in der CIO-Welt angekommen. Damit ist er ein CIO unter fünf IT-Verantwortlichen in deutschen Kliniken, schätzt Joachim Komorowski, Personalberater im Bereich Health-IT.
Financial-Services-Manager geeignet
"Branchenfremde genießen in der neuen Welt zunächst Vorschusslorbeeren", kommentiert Odgers-Berndtson-Mann Herrendorf, "da kommt jemand ´aus der großen weiten Welt’". Nach Erfahrung von Odgers Berndtson kommen als potenzielle Klinik-CIO-Kandidaten besonders Branchenfremde in Betracht, die aus einem Umfeld stammen, in dem "höchste Ansprüche an die Stabilität des Netzes gegeben sind und Produktivitätseffekte durch einen verstärkten IT-Einsatz erzielt werden können" - etwa aus dem Bereich Financial Services.
"Sie bringen ein Verständnis für die Komplexität mit, für Regularien und für Sicherheitsaspekte", erläutert Partner Herrendorf, "wobei dieser Bereich durch das Zusammenwachsen von IT und Medizintechnik einem branchenfremden IT-Leiter Besonderes abverlangt."
Welche Eigenschaften Klinik-CIOs haben sollten
Typische Eigenschaften, die ein patenter CIO in sich vereinen muss, sind nach Ansicht des Frankfurter Partners folgende:
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Fähigkeit zur Empathie, sich in die internen Kunden einfühlen können - besonders die leitenden Ärzte
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Strategische Kompetenz, sich mit dem Gesamtmarkt auseinanderzusetzen und an einer langfristigen Entwicklung mitzuwirken, Business-Partner zu sein
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Kommunikative Fähigkeiten, die Überzeugungskraft in die Klinik hinein, gegenüber Chefärzten und der Klinikleitung, aber auch gegenüber den eigenen Mitarbeitern
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Fachwissen, "was zu sagen haben"
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Immer mehr angefragt: die Verantwortung für große Investitionsprojekte im medizintechnischen Bereich
Thomas Kleemann ist nicht zuletzt geholt worden, um mit den Chefärzten auf Augenhöhe zu kommunizieren. Für ihn ist eine seiner wichtigsten Eigenschaften, die Stimmungen der Chefärzte aufzufangen, "ihre Emotion zu spüren", um dann mit IT-Lösungen auf Ärzte wie Pfleger zuzugehen und mit ihnen gemeinsam zu diskutieren. "Es ist wichtig, ihre Tipps aufzunehmen und zu berücksichtigen", sagt Kleemann, der monatlich an der Chefarztkonferenz teilnimmt und so - abgesehen von Meetings auf Zuruf - seine Motive für neue Projekte darstellen und "verkaufen" kann.
Kleemann berichtet direkt an Klinikchef Fastenmeier, wie auch die Chefärzte, ist somit auch offiziell im Unternehmensorganigramm auf Augenhöhe mit den Chefärzten unterwegs.
Stellenausschreibung für einen CIO
Eine der wohl kompliziertesten Überzeugungsarbeiten brachte der CIO in Hinblick auf die ersten klinischen Pfade hinter sich. Exemplarisch hat Kleemann den gesamten Ablauf eines Patienten mit einem Bandscheibenvorfall buchstäblich an eine Wand gezeichnet, direkt gegenüber von seinem Büro. Sämtliche Akteure an dem Prozess "Bandscheibe" wiederum sind an der nächsten Wand zu finden, vom einweisenden Arzt über die OP-Schwester bis zum Stationsarzt. Per Geschenkband, das mit Reißzwecken an der Wand befestigt ist, zeichnen sich die Wege ab, die der Patient im Krankenhaus hinter sich bringt.
Kleemanns Ziel liegt darin, den Prozess anschaulich zu machen, um ihn dann zu vereinfachen und zu standardisieren. "Pfade und Steuerung beinhalten Grenzen", bemerkt Kleemann, "das ist nichts für Mediziner." Trotzdem steht heute der Pfad für die Entfernung der Gallenblase, ein Erfolg für ihn. Und ein Hinweis darauf, dass der IT-Chef inzwischen klarmachen konnte, dass IT nicht administrativen Mehraufwand, sondern mehr Effizienz durch bessere Abläufe bedeuten kann. "Letztlich ist ein Klinikpfad nichts anderes als der Produktionsplan bei einem Autokonzern", erläutert der Manager aus der "Audistadt", der allzu gerne das Geheimwissen der Ärzte transparent macht.
"Klassisches Projekt-Management - und ein Schuss Chaosmanagement" gehören, so Kleemann, zusätzlich zu den Qualitäten eines IT-Chefs, der seine Manager-Qualitäten durch "learning by doing" erworben haben will. 20 Jahre lang als Pfadfinder unterwegs, Betreuer von Jugendgruppen und sein Engagement für eine Diözese haben ihm geholfen, Ziele zu vermitteln: "Ich will keine Worthülsen", sagt Kleemann, "sondern klare Ansagen mit einem Schuss Diplomatie."
Noch ist die IT im Klinikum Ingolstadt nicht abgehoben - erste Patienten stehen noch etwas ungläubig vor den Medikiosk-Terminals. Der Flug ins Patientenbett und in den OP ist letztlich ja auch nicht ganz so attraktiv wie ein Flug auf die Kanaren. Diese Vision wird auch Kleemann schwerlich vermitteln können.
Dieser Artikel stammt aus der Health-IT-Ausgabe 4/2010, die sie kostenfrei als PDF herunterladen können.