Ikea feiert: Vor 50 Jahren, am 17. Oktober 1974, haben die Schweden in München-Eching ihr erstes Einrichtungshaus in Deutschland eröffnet und seitdem den hiesigen Möbelmarkt kräftig aufgemischt. Die Kunden haben die Zumutungen des laut früher Eigenwerbung "unmöglichen" Möbelhauses geradezu freudig hingenommen: Sie ließen sich schon in den Anfangstagen klaglos nach skandinavischer Art duzen, kassieren sich selbst an den Kassen ab, um schließlich die Möbel im eigenen Auto nach Hause zu transportieren und mit den ikonischen Inbus-Schlüsseln zu montieren.
Deutschland bleibt Ikeas größter Einzelmarkt
Aus dem 1943 von Ingvar Kamprad in Schweden gegründeten Versandhandel ist ein globaler Möbelriese gewachsen mit 219.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von knapp 48 Milliarden Euro im Geschäftsjahr 2022/23. Mit Rekorderlösen von mehr als 6,4 Milliarden Euro (+13,3 Prozent) war Deutschland erneut der größte und erfolgreichste Markt weltweit - vor den USA, Frankreich und Großbritannien.
Die exakten Umsatzzahlen für das im August 2024 abgeschlossene Geschäftsjahr liegen noch nicht vor. Eine Ikea-Sprecherin hält lediglich fest, dass man den Marktanteil angesichts der "herausfordernden Markt- und Wirtschaftslage" ausgebaut habe. Der Chef von Ikea Deutschland, Walter Kadnar, ist für die kommenden Jahre optimistisch: "Trotz unserer langjährigen Präsenz auf dem deutschen Markt sehen wir noch immer großes Potenzial, um zu wachsen und Marktanteile zu gewinnen. "
Flops und lustige Produktnamen
Die Deutschen scheinen Ikea zu lieben. Trotz mancher Flops wie aufblasbarer Polstermöbel oder Fertighäuser sind die Produkte tief im Alltag vieler Menschen verwurzelt: Ihre Bücher stehen in Billy-Regalen, die Kleider lagern in Pax-Schränken, und nach dem kleinen schwedischen Ort Klippan ist gleich eine ganze Serie von Wohnzimmermöbeln benannt.
Da macht es wenig aus, wenn einzelne Ikea-Produktnamen in deutschen Ohren eine ganz andere, ungewollte Bedeutung annahmen. Legendär sind etwa "Äppelkaka" (schwedisch für Apfelkuchen) und das nach einem kleinen Dorf benannte Etagenbett "Gutvik".
Doch die vermeintlich so netten Schweden aus Småland sorgten in den mehr als 80 Jahren der Unternehmensgeschichte auch für negative Schlagzeilen. Dazu trug nicht zuletzt Firmengründer Kamprad mit seinem sprichwörtlichen Geiz und seiner jugendlichen Nazi-Begeisterung bei, für die er später öffentlich um Entschuldigung bat.
Seine Landsleute wählten den Ikea-Chef vier Jahre vor seinem Tod im Jahr 2018 zum "Besten schwedischen Unternehmer aller Zeiten". Mit Stiftungen in Liechtenstein, der Handels-Holding Ingka und der Inter Ikea Holding in den Niederlanden sowie vielen weiteren Firmen ist das komplexe und steueroptimierte Ikea-Geflecht weiterhin fest in Familienhand.
Konsumkrise trifft andere
Warum ist Ikea so erfolgreich? "Die Geschäfte von Ikea bieten ein sehr gutes Einkaufserlebnis. Die Räume sind toll ausgestattet und bieten Inspiration, wie ein Zuhause aussehen kann. Das machen die wirklich gut", sagte der Handelsexperte Martin Fassnacht von der Wirtschaftshochschule WHU in Düsseldorf. Auch der E-Commerce-Anteil von 25 Prozent sei stark für die Branche, musste aber in der Corona-Zeit hart erkämpft werden.
Branchenkenner Marco Atzberger vom Handelsforschungsinstitut EHI sagt: "Ikea hat es in den vergangenen 50 Jahren eigentlich immer geschafft, eine eigene Kategorie im Möbelmarkt zu bilden, die unabhängig vom Gesamtmarkt existiert. Der junge freche Ansatz plus ein Preiswürdigkeitsversprechen führen dazu, dass, wenn überhaupt gekauft wird, dann eben dort." Das gelte erst recht für Erstausstattungen. Die oft nur regional aufgestellte Konkurrenz könne da nicht mithalten.
Trends im Handel früh aufgenommen
Bei neuen Trends sind die Ikea-Leute häufig vorne dabei: Die Kinderbetreuung mit Bällebad sowie das Köttbullar-Restaurant gehören schon sehr lange zum familienfreundlichen Repertoire. Aktuell hat die "Ikea Family" nach Firmenangaben allein in Deutschland 15 Millionen Mitglieder, weltweit sind es 110 Millionen erreichbare Fans der Marke.
Die schnelle Digitalisierung stellt auch höhere Anforderungen an die rund 19.500 Mitarbeiter in den deutschen Standorten. Die Gewerkschaft Verdi attestiert dem Unternehmen zwar durchaus, sich an die Tarifverträge im Handel zu halten und zudem einige übertarifliche Leistungen zu zahlen. "Wir wollen einen zusätzlichen Tarifvertrag Zukunft, der die Beschäftigten vor negativen Folgen schützt", sagt die Verdi-Unternehmensbetreuerin Sabine Gatz. Hierzu verweigere Ikea seit drei Jahren Verhandlungen.
Hatte der deutsche Möbelhandel während Corona noch vom Trend zum kuscheligen Heim profitiert, folgte nach der Pandemie ein kräftiger Nachfragerückgang. Gründe dafür sind neben den vorweggenommenen Investitionen die Inflation, Zukunftssorgen und ein allgemeines Gefühl der Unsicherheit.
"Viele Bürger verschieben ihre Konsumausgaben Richtung Urlaub und stellen große Anschaffungen wie Möbel hintenan", sagt der Leiter des Handelsverbandes Wohnen und Büro, Jean Lucas Dürand. Laut einer YouGov-Umfrage hat knapp jeder Vierte (23 Prozent) bei Möbeln in den vergangenen zwei Jahren stärker auf den Preis geachtet.
Die Hersteller machten trotz gestiegener Preise deutlich weniger Geschäft, im laufenden Jahr wird mit einem Umsatz-Minus von bis zu 9 Prozent gerechnet. Sinnbildlich für die Situation stehen die Pleiten namhafter Unternehmen wie Hüsta oder Opti-Wohnwelt.
Arbeit am Öko-Image
Das alles kann Ikea nicht anfechten, weil ausschließlich in Eigenregie entworfene und hergestellte Produkte verkauft werden. Immer wieder gab es Vorwürfe, der Möbelgigant sei mitverantwortlich für den Raubbau an natürlichen Ressourcen, zuletzt in einem der letzten Urwälder Europas in den rumänischen Karpaten. Nichts könnte für das Image gefährlicher sein. "Illegales Holz und verantwortungslose Forstwirtschaftspraktiken haben in der Ikea-Wertschöpfungskette keinen Platz", erklärte der Konzern im April.
Die Schweden betonen ihr Engagement für die Umwelt: Aktuell weitet Ikea sein Angebot an pflanzlichen Speisen aus, setzt auf Elektro-Fahrzeuge, selbsterzeugte Energie oder bietet einen Marktplatz für gebrauchte Möbel. Den einstmals millionenfach gedruckten und verteilten Katalog hat Ikea bereits 2020 gestrichen.
Auch die blauen Riesen-Möbelhäuser mit ihrem hohen Energieverbrauch scheinen zunehmend der Vergangenheit anzugehören. Das letzte neue Einrichtungshaus in Deutschland ging 2020 in Karlsruhe in Betrieb, danach folgten nur noch kleinere Planungsstudios, die in Großstadtlagen oder kleineren Städten wie Marburg oder Rheine platziert wurden. (dpa/ad)