Es klingt dramatisch: "Die Unternehmen ertrinken in Daten, aber sie dürsten nach Erkenntnissen", schreiben die Autoren Brian Hopkins und Ted Schadler von Forrester Research. "Schlimmer noch: Sie kennen keinen systematischen Weg, wie sie aus Daten konsequent Handlungen ableiten können." Die Studie der beiden Forrester-Analysten dämpft die Erwartung, dass dank einer Technologie wie Big Data alleine der geschäftliche Erfolg neue Dimensionen erreicht. Wasser in eben diesen Wein gießen auch die Berater Eric Almquist, John Senior und Tom Springer von Bain & Company: "Fortgeschrittene Kundenanalyse kann ein starkes Business-Tool sein", meint das Trio. "Aber Firmen sollten verbreitete Fallstricke umkurven, bevor sie investieren."
Big Data wie früher CRM
"Three promises and perils of Big Data" lautet der Titel der Bain-Studie: drei Versprechen mit jeweils einer gefährlichen Schattenseite. Bain liefert dazu jeweils ein erfolgreiches Beispiel aus der Praxis. In Dreierschritten lässt sich auch der zentrale Inhalt der Forrester-Studie "Digital Insights Are The Currency of Business" gut zusammenfassen. Die Analysten benennen zunächst drei Hindernisse auf dem Weg von der Datensammlung und -analyse zu "Systems of Insight", die den Anwendern wirklichen, nämlich handlungsrelevanten Nutzen bringen könnten. Daran anknüpfend geben sie CIOs drei Empfehlungen zum Aufbau derartiger Systeme.
"Unternehmen, die von Big Data profitieren wollen, müssen zunächst den für sie tatsächlich messbaren Nutzen dieser Technologien prüfen", stellt Bain fest. Denn mehr Daten schafften nicht automatisch einen Mehrwert: "Beispielsweise ist auch die Organisationsstruktur eines Unternehmens entscheidend dafür, ob sich Big-Data-Technologien sinnvoll einsetzen lassen."
60 Prozent der Big Data-Projekte werden scheitern
Die Berater zitieren eine Gartner-Analyse, laut der bis 2017 60 Prozent der Big Data-Projekte bereits in der Pilotierungs- und Experimentierphase scheitern und früh abgebrochen werden. Bain erinnert das Aufkommen von Customer Relationship Management (CRM) in den frühen 1990er-Jahren. Seinerzeit habe es wie bei Big Data jetzt einen Hype gegeben und viele Firmen implementierten euphorisch die neue Technologie - im Rückblick Fehlinvestitionen mit Ansage.
Nur: Seitdem reifte die CRM-Technologie und die Lösungen liefern mittlerweile unbestreitbar für viele Anwender einen beträchtlichen Mehrwert. Laut einer anderen Bain-Studie ist CRM momentan die Nummer Sechs der beliebtesten Business-Tools. Dennoch scheitern laut dem Beratungsunternehmen C5 Insight immer noch 30 Prozent der CRM-Implementierungen - gut zwei Jahrzehnte nach der Entwicklung dieser Technologie.
3 Versprechen, 3 Gefahren
Soll sagen: Analog zu Vorgängern wie CRM wird auch Big Data als heute junge Technologie in den kommenden Jahren reifen und immer mehr Nutzen stiften. Aber das Reifen einer Technologie bedeutet noch nicht, dass irgendwann Erfolg garantiert sein wird. So lauten die drei momentanen Versprechen, die Bain kritisch unter die Lupe nimmt:
1. Die Big Data-Technologie identifiziert ganz von alleine geschäftliche Chancen: Die Gefahr daran ist laut Bain ein begrenzter Return-On-Investment (ROI) trotz hoher Investitionen.
Ein Scheitern beginne oft mit der Annahme, dass das strahlende neue Tool ganz von selbst Wert generiert. Besser geht es anders: "Erfolgreiche Nutzer von Big Data-Lösungen beginnen oftmals mit der Anwendung von Advanced Analytics zur Lösung einer kleinen Zahl an hochwertigen Business-Problemen mit internen Daten, bevor sie in Technologie investieren", so Bain. In diesem Prozess lernten die Anwender, wie sie in ihrem Unternehmen Lösungen implementieren. Sie erhalten laut Studie dadurch auch Einblick in operative Herausforderungen und verstehen die Grenzen ihrer vorhandenen Daten und Technologien. Sie wissen also Bescheid über ihren tatsächlichen Bedarf und können auf dieser Basis ihre Anforderungen an Big Data definieren.
Ein Beispiel dafür aus der Praxis: Eine große Versicherung fokussierte ihre Datenanalyse auf Betrugsfälle. Mit Hilfe eines Text-Mining-Algorithmus konnte die Entlarvung von Delikten um ein Fünftel gesteigert werden, was 30 Millionen US-Dollar an Kostensenkung mit sich brachte. All das gelang mit Advanced Analytics. Der Grundstein ist laut Bain gelegt, um nun weiter in IT-Technologie zu investieren - in Big Data, und zwar von einer bewährten Basis aus.
2. Je mehr Daten man analysiert, umso größer der Mehrwert: Hier lauert die Falle der Überinvestitionen in Datenquellen, die ihren Wert nicht bewiesen haben. Gleichzeitig droht die Aufmerksamkeit für nahe, aber wertvolle Datenquellen verloren zu gehen.
Mit dem Durchbruch von Social Media und mobilen Endgeräten machte sich laut Bain Goldgräberstimmung breit. Gesucht wird nach neuen Datenschätzen. Wie Forrester stellen aber auch die Bain-Berater fest, dass viele Firmen allmählich im Datenmeer zu ersaufen drohen. Leider befänden sich die vorhandenen Daten oftmals in unzugänglichen Silos. "Erfolgreiche Big Data-Reisen beginnen zumeist mit der vollständigen Auswertung der vorhandenen Daten", so Bain. "Aus analytischer Perspektive ist es im Allgemeinen einfacher, Daten mit einer gewissen Historie auszuwerten als brandneue Datensätze in Angriff zu nehmen."
Intensives Cross-Selling-Marketing bei aktiven Kunden
Das Anwenderbeispiel hierzu liefert ein US-amerikanisches Telekommunikationsunternehmen. Die Firma kombinierte Datenelemente aus 15 Marketing-, Service- und Betriebsdatenbanken, um Profile ihrer Kunden zu bilden. Erfolgreich differenzierte der Anwender seine Kundenkommunikation, indem intensives Cross-Selling-Marketing auf aktive Kunden konzentriert wurde, während zurückhaltende Kunden durch gezielte Kurznachrichten zu mehr Aktivität stimuliert werden konnten. Erst nachdem so die Umsätze um mehrere Millionen Dollar jährlich gesteigert werden konnten, ging das Unternehmen die Auswertung neuer Datensätze an.
3. Gute Data Scientists werden neue Werte generieren: Das Problem kann aber laut Bain sein, dass ein Unternehmen noch nicht reif genug ist, um Daten erfolgreich nutzen zu können.
Um auf Dauer von Big Data profitieren zu können, ist nach Einschätzung der Berater ein Geschäftsmodell nötig, das die Kraft von Daten und ihrer Analyse in wiederholbarer Weise ausschöpft: "Erfolgreiche datengetriebene Firmen verzahnen ihre Organisation, Prozesse, Systeme und Ressourcen, um bessere geschäftliche Entscheidungen auf Basis der Erkenntnisse ihrer Daten- und Analyse-Teams zu treffen."
Wiederum kommt die Success Story aus der Telekommunikationsbranche: Ein Service Provider setzte auf enge Zusammenarbeit zwischen IT-Abteilung, BI-Team und Frontline-Funktionen wie Sales, Marketing, Kundenbetrieb und Produktentwicklung. Gemeinsam gelang es, Kundendaten aus Marketing- und Betriebsdatenbanken über zwei Jahre hinweg so zu konsolidieren, dass daraus zielgerichtete Kundenstrategien entwickelt werden konnten.
3 Probleme im nächsten Stadium
Forrester Research geht in seiner Studie über diese grundlegenden Probleme hinaus. Die Analysten setzen voraus, dass in BI-Tools investiert wurde, Big Data-Praktiken installiert sind und in der Marketing-Abteilung spezielle Teams Erkenntnisse aus Kundendaten ableiten. Die zentrale Frage an dieser Stelle: "Wie gut ist das Unternehmen darin, diese Daten systematisch als Grundlage für geschäftliche Handlungen zu nutzen, die fachbereichsübergreifend eine Rolle spielen?" Drei Probleme hindern die Anwender nach Einschätzung der Analysten daran:
1. Zu viele Daten, zu wenige Erkenntnisse: Man hat in Big Data-Praktiken und Technologien investiert. Aber es bringt nichts, weil die Ergebnisse nicht priorisiert werden können. Brauchbare Erkenntnisse werden am Ende nicht gewonnen.
2. Eine Lücke zwischen Erkenntnissen und Aktionen: Wer aus Daten Erkenntnisse gewinnt, hat nach Forrester-Einschätzung den Treibstoff. Nutzt nur nichts, wenn es keinen Motor gibt, der angetrieben werden kann.
3. Kein Lerneffekt aus Aktionen: Wenn es gelingt, aus gewonnenen Erkenntnissen Handlungsmöglichkeiten zu gewinnen, kann zweierlei passieren: Es läuft wie gewünscht - oder eben nicht. Auch aus Misserfolgen gilt es laut Studie schnell zu lernen und seinen Handlungsansatz so weiterzuentwickeln, dass sowohl Lerneffekte als auch neues Datenmaterial darin einfließen. Zum Beispiel: Man hat verstanden, welche Informationen der Kunde gerade auf sein Smartphone geschickt bekommen will; man weiß aber am besten auch schon, welche Botschaft der Kunde als nächstes erhalten sollte.
Um die Hürden zu überspringen, müssen Unternehmen ihre Systeme laut Forrester weiterentwickeln zu "Systems of Insight", die einem kraftvollen digitalen Business gerecht werden. Diese Systeme sind letztlich die Zusammenführung dreier Basis-Systeme: der klassischen Systems of Record, die die Prozessen hosten, der Systems of Engagement, die für menschliche Kommunikation da sind, und der Systems of Automation, die die physische Welt vernetzen.
Diese Stufe der Evolution ist ohne den IT-Chefs selbstverständlich nicht zu erklimmen. "CIOs haben eine Verantwortung dafür, die benötigte Business-Technologie zu implementieren und zu managen, um den immer mächtigeren Kunden zu verstehen und ihm zu dienen", heißt es in der Studie. "Systems of Insight spielen eine wesentliche Rolle in der Transformation von IT-Systemen zu Motoren geschäftlichen Wachstums."
3 Schritte für den CIO
Es geht dabei laut Forrester um das Zusammenwirken und Ausweiten von Business Intelligence, Big Data und Wissen über die Kunden. In den Köpfen und in der Firmenorganisation gilt es demnach dafür zu sorgen, dass aus der bloßen Datenbelieferung erkenntnisgetriebene Handlungen werden. Für den CIO heißt das, dass drei Schritte zu gehen sind:
1. Zusammenarbeit mit dem CMO, um die ersten Teams und Prozesse zu bilden: Forrester schätzt, dass für das Zusammenführen einer Digital Insights Architecture und für das Einrichten erster Systems of Insight für zwei Jahre ein Budget von 2 bis 10 Millionen US-Dollar einzuplanen sei. "Viel hängt davon ab, wie viel an Dateninfrastruktur bereits vorhanden ist", so die Analysten. Beim fünf- bis 15-köpfigen Team komme es darauf an, die richtigen Skills am richtigen Platz zu haben. Möglicherweise sei die Einstellung neuer Data Scientists oder Data Engineers nötig. Weil der Fokus anfangs auf Kundenengagement liege, sei der Schulterschluss mit dem CMO sinnvoll.
Die Analysten gehen davon aus, dass im Insights-Teams der Fachabteilung bereits Best Practices umgesetzt werden. Nun gelte es, erstens mehr und bessere Datenquellen und -technologien bereitzustellen und zweitens Software-Entwickler und Technologie-Manager für Test, Implementierung und Datensammlung hinzuzufügen. Gefragt seien ferner Führungskräfte mit eigenem Budget und Business-Metriken, die bei der Digitalisierung vorangehen. Nötig sei die Implementierung eines Insights-to-Execution-Prozesses, um aus Daten Aktion werden zu lassen.
Der CIO spiele in zweierlei Hinsicht eine Schlüsselrolle: beim Betrieb der Technologien für die Digital Insights Architektur und bei der Versorgung des Teams mit Entwicklern und technologischen Talenten. "Bei Pizza Hut zum Beispiel arbeiteten CIO und CMO zusammen, um eine mobile App mit Direktbestellung zu implementieren", weiß Forrester. Genutzt wurden dafür mobile Daten, Daten aus den Filialen sowie Erkenntnisse über Kundenloyalität.
2. Ausweitung der IT zu einer Digital Insights-Architektur: Hierbei geht um die Verzahnung von Systemen, die in aller Regel schon vorhanden sind, aber bislang eben isoliert. Forrester macht es anschaulich: Data Warehouse von Microsoft, Analytics von SAS, Application Programming Interface (API) von Appian, Hadoop aus der Cloud, Data Service von The Weather Company, Business Process Management von Pegasystems - womöglich nutzt ein Anwender alles das.
Aber es muss zusammenwachsen. Den Anfang dabei sollte ein Treffen des CIOs mit anderen Führungskräften, Abteilungsleitern, Enterprise Architects und auch Anbietern machen. Auszuloten ist, wie man bestehende Funktionen miteinander verwebt.
3. Vorteile aus noch reifenden Technologien ziehen: Eine Paketlösung für eine Digital Insights-Architektur gibt es noch lange Zeit nicht. Wer sie bauen will, benötigt einen Mischmasch aus alten und neuen Technologien. Forrester identifiziert dafür vier junge Schlüsseltechnologien: Caching- und API-Technologien, über die sich auf einfache Weise ortsunabhängig Daten ziehen lassen; in der Cloud gehostete Services, die kleinen Teams bei der schnellen Sinnsuche im Datensalat helfen; lernende Maschinen/Cognitive Computing; Management-Infrastrukturen für Big Data, die das Zurechtfinden in komplexen Umwelten erleichtern.
"Je mehr Anwender und Anbieter Systems of Insight meistern werden, umso stärker werden sie statt bloßen Daten digitale Einsichten gewinnen, die geschäftlichen Schwung und Erfolg bringen", lautet das Forrester-Fazit.