Die Rolle des CIO verändert sich ebenso dramatisch wie die Technologie, die er oder sie verwaltet und pflegt. IT-Manager müssen künftig anders führen, steuern und arbeiten als in der Vergangenheit. Nur wie? Erfahrene CIOs, Forscher und Berater berichten über Veränderungen, die sie beobachten: Neue Regeln der IT-Führung und alte, die ersetzt werden.
Alte Regel: Command & Control
Neue Regel: Unterstützung
Der Führungsstil mit Befehls- und Kontrollfunktionen hatte eigentlich schon vor Jahren ausgedient; in den ersten Tagen der Pandemie lebte er wieder auf. Damals war der Ansatz, das Kommando zu übernehmen und Befehle zu erteilen, genau das, was Organisationen brauchten, um die weltweiten Probleme zu überstehen. Jetzt, da die Krise abgeklungen ist, sollte dieser Management-Stil der alten Schule wieder in den Hintergrund treten.
"Die Menschen wünschen sich ein gewisses Maß an Autonomie, um herauszufinden, wie sie ihre Aufgaben bewältigen können, um die Erwartungen zu erfüllen", sagt Mark Taylor, CEO der Society for Information Management (SIM), einem Berufsverband für CIOs und IT-Leiter. Dies präge die Art und Weise, wie CIOs managen und führen müssen.
Ein Beispiel nennt Chris Nardecchia, Chief Information and Digital Officer bei Rockwell Automation: "Früher kamen CIOs mit Antworten, heute kommen Sie mit Fragen." Nardecchia zufolge arbeiten er und andere CIOs als Vermittler, die sich darauf konzentrieren, die richtigen Leute zusammenzubringen, um an Problemen zu arbeiten. Ziel sei, sie damit zu beauftragen, die besten Lösungen zu entwickeln, anstatt ihnen die vermeintlichen Lösungen zu diktieren. Laut Nardecchia müssen CIOs im Großen wie im Kleinen vermitteln und befähigen, um sicherzustellen, dass ihre Teams erfolgreich sind.
So setzt der CIO in Meetings verschiedene Strategien und digitale Tools ein, um zu gewährleisten, dass nicht nur die dominanten Persönlichkeiten das Wort ergreifen, sondern dass jeder die Möglichkeit hat, seine Meinung zu äußern. "Es ist wichtig, den Menschen Möglichkeiten zu eröffnen", sagt Nardecchia. Zudem gehe es bei der IT-Führung von heute auch darum, die Mitarbeiter zu coachen, indem man ihnen Fragen stellt, sie um Anregungen bittet und ihnen zutraut, dass sie ihre Aufgaben erfüllen können. "Sie geben ihnen die Macht, Entscheidungen zu treffen, Ideen zu diskutieren und einen Konsens zu finden. Sie befähigen sie, zusammenzuarbeiten."
Alte Regel: Bleib' in deiner Spur
Neue Regel: Kreuz und quer
Die Domäne des CIO war einst auf die IT-Abteilung beschränkt. In einigen Unternehmen sind CIOs zwar immer noch auf die Technologiefunktion festgelegt, aber sie dehnen ihr Fachwissen zunehmend auf alle Abteilungen aus. "In der Vergangenheit waren sie nicht so offen dafür, sich außerhalb ihres Bereichs zu bewegen. Aber die Grenzen werden immer fließender. Die Rolle erstreckt sich über das Produkt, die Technik und das Business", berichtet Erik Brown, der im Product Experience & Engineering Lab der Dienstleistungsberatung West Monroe arbeitet.
Brown vergleicht diesen neuen CIO mit den Führungskräften von Startups, die über Erfahrung und Wissen in mehreren Funktionsbereichen verfügen. "Sie leiten Teams, die sich aus Mitarbeitern verschiedener Abteilungen zusammensetzen, und die die eigentliche Strategie des Unternehmens gestalten."
Erfolgreiche Führungskräfte von heute haben zumeist einen gemischten Hintergrund, sie verfügen über ein breiteres Verständnis, und wo sie eher High-Level unterwegs sind, umgeben sie sich mit Stellvertretern, die über diese Tiefe und Erfahrung verfügen. Auch John Marcante, US-CIO in Residence bei Deloitte, ist seit fast vier Jahrzehnten im IT-Management tätig. Er hat festgestellt, dass CIOs eine breitere Perspektive in ihre Rolle einbringen müssen, da von ihnen nun erwartet wird, große funktionsübergreifende Teams zu leiten und nicht nur ihren Tech-Stack, sondern das gesamte Unternehmen umzugestalten. "Die CIO-Position ist jetzt ein Übungsplatz für CEOs, also muss sie weniger isoliert sein", fügt er hinzu.
Alte Regel: Kundenakzeptanz fördern
Neue Regel: Kunden führen lassen
Das Prinzip der Kundenbegeisterung hat die Art und Weise, wie Unternehmen ihre Berührungspunkte mit Kunden gestalten und priorisieren, verändert - und das zwingt auch die IT-Abteilung zu einem neuen Denken und Arbeiten. "Ein CIO muss die Ausrichtung seiner Mitarbeiter ändern. Unabhängig davon, ob es sich bei dem Kunden um einen externen oder internen Nutzer handelt, muss die Orientierung nach außen gerichtet sein", fordert Bobby Cameron, Vice President und Principal Analyst beim Marktforschungsunternehmen Forrester, wo er sich auf Best Practices für die IT konzentriert.
Benutzer würden eine "integrierte Reihe von Services erwarten, die auf den Erfolg der Benutzer ausgerichtet sind", sagt er. Mit anderen Worten: Sie erwarten von der Technologie Tools, mit denen sie ihre Aufgaben einfacher erledigen und ihre Probleme lösen können. Die Technologie darf sich nicht als Hindernis für diese Ziele anfühlen. Sie darf auch kein Tool sein, das die IT-Abteilung in der Erwartung entwickelt und bereitgestellt hat, dass Benutzer ihre Bedürfnisse, Praktiken und Prozesse an die Technologie anpassen.
Untersuchungen zeigen jedoch, dass viele IT-Abteilungen den Wechsel zu kundenorientiertem Design und kundenorientierter Bereitstellung noch nicht vollzogen haben, so Cameron. Er weist darauf hin, dass laut Forrester 59 Prozent der CIOs in den traditionellen Modus der IT-Führung fallen, wie die Analysten es nennen. Nur 33 Prozent seien "zukunftsfähig", demnach konzentrieren sie sich auf Geschwindigkeit, Flexibilität und Werte. Sein Rat an CIOs: Iterative Entwicklungspraktiken sowie menschenzentriertes Design in die IT einbringen, "damit Sie in der Lage sind, Probleme aus der Benutzerperspektive zu lösen".
Alte Regel: Der stabile Zustand
Neue Regel: Der kontinuierliche Wandel
Es steht außer Frage, dass eine stabile, leistungsfähige IT-Infrastruktur heute wichtiger denn je ist. Aber CIOs können nicht erfolgreich sein, wenn sie einen stabilen Zustand als das A und O ansehen. Stattdessen müssen sie als Change Agents arbeiten, die nicht nur mit ständigen Veränderungen einverstanden sind, sondern sich auch für diese einsetzen. Gleichzeitig müssen sie sicherstellen, dass die Infrastruktur skalierbar ist und diese Veränderungen unterstützt.
"Erfolg ist die Bewältigung des Wandels und nicht die Bewegung von einem Fixpunkt zum anderen", sagt Cameron. "Damit CIOs in diesem neuen Umfeld wirklich erfolgreich sein können, müssen sie den Wandel kontinuierlich gestalten und als Führungskräfte Wege finden, ihren Mitarbeitern zu vermitteln, wie das geht." Dies bedeute, dass strukturelle Änderungen vorgenommen werden müssen.
Vielleicht noch wichtiger als das Umdenken sei die Notwendigkeit, die Art und Weise zu ändern, wie die Arbeit tatsächlich abläuft. Eine der wichtigsten Anpassungen für die IT-Abteilung ist der Wechsel von der Technologiebereitstellung als Projekt - etwas, das geplant, ausgeführt und abgeschlossen wird - hin zu einer Produktphilosophie. Diese beinhalte schrittweise Verbesserungen während des gesamten Lebenszyklus eines digitalen Tools.
CIOs spielten hier eine entscheidende Rolle, so Cameron, denn sie müssten eine IT-Abteilung aufbauen, die Silos zwischen Teams aufbricht, die Zusammenarbeit im gesamten Unternehmen unterstützt und agile Entwicklungsmethoden einsetzt. Außerdem müssten sie in Technologien wie Cloud Computing investieren, die Agilität und Wandel ermöglichen. Und sie müssten eine Governance-Struktur entwickeln, die den kontinuierlichen Wandel unterstützt, anstatt ihn zu ersticken.
Alte Regel: Auf Nummer sicher gehen
Neue Regel: Einen sicheren Raum für Wandel schaffen
"Prozesse und Kontrollen einzuführen, die erforderlich sind, um die Lichter am Leuchten zu halten, wird es CIOs nicht ermöglichen, den Wandel anzuführen," sagt Brown. "Dieser Ansatz schränkt Unternehmen eher ein, als dass er sie entfesselt." Das heißt jedoch nicht, dass CIOs alle Richtlinien, Standards und Kontrollen über Bord werfen sollten. "Sie sind nach wie vor erforderlich, aber sie müssen fließender und automatisiert werden, so dass sie als Leitfaden dienen, aber nicht die gesamte Aufmerksamkeit des CIOs in Anspruch nehmen", sagt Brown.
CIOs, die Kontrollen und Sicherheitsanforderungen als Leitplanken betrachten und dann so viel wie möglich davon automatisieren, schaffen für sich und ihr Team eine Umgebung, die mehr Freiraum für Innovationen lässt, erklärt er. Das liege daran, dass es Raum zum Manövrieren, Ausprobieren, Scheitern und sicheren Lernen gibt. Die Leitplanken - insbesondere die automatisierten - wirken wie eine Art Sicherheitsmatte.
Nardecchia von Rockwell hat das in der Praxis erlebt und bemerkt, dass er bereit ist, "kühne Ideen auszuprobieren, selbst wenn ich skeptisch bin". Dies liegt daran, dass er mit seiner Vorgehensweise das Vertrauen der Mitarbeitenden gestärkt hat. "In der Vergangenheit war jede unserer Wochen mit Meetings zum Betriebs- und Leistungsmanagement ausgefüllt - Messung und Verfolgung des Projektfortschritts, Überprüfung der betrieblichen Leistungskennzahlen, Ticketabschlüsse und die kontinuierliche Verbesserung", erinnert er sich.
Stattdessen halten Nardecchia und sein Führungsteam nun vierteljährliche Leistungs- und Statusberichte sowie persönliche Treffen ab, damit alle Beteiligten an einem Strang ziehen: "Es geht darum, Feedback zu erhalten, unsere Mitarbeiter und Partner einzubinden, über Zukunftsvisionen und strategische Vorgaben zu sprechen und unsere Teams und Kollegen in anderen Gruppen zu coachen, zu betreuen und zu fördern." Dies alles fördere das Engagement und das Vertrauen und biete gleichzeitig die erforderliche Anleitung.
Dabei setzt er klare Ziele in Form von OKRs, um individuelle Ziele mit den strategischen Zielen des Unternehmens zu verknüpfen - eine weitere Möglichkeit, Leitplanken zu setzen, ohne übermäßig starr zu sein. "Durch das Festlegen klarer Ziele und Erwartungen sowie durch regelmäßiges Feedback und Unterstützung helfen wir dem Team, auch in schwierigen und unsicheren Umgebungen konzentriert und motiviert zu bleiben", sagt Nardecchia.
Alte Regel: Produktivität erzwingen
Neue Regel: Leistungsbereitschaft stärken
Kristen Lamoreaux, Präsidentin und CEO des IT-Führungskräfte-Vermittlers Lamoreaux Search, hat einen Wandel bei den gefragtesten CIOs festgestellt. Unternehmen würden sich heute Führungskräfte wünschen, die sich auf ihre Mitarbeiter konzentrieren, und keine Aufseher, die nur auf die Leistung ihrer Teams schauen, sagt sie. Laut Lamoreaux gibt es einen Grund für diesen Wandel, denn die erfolgreichsten CIOs sind heute diejenigen, die einen auf den Menschen ausgerichteten Management- und Führungsansatz haben.
Der angespannte IT-Arbeitsmarkt, auf dem sich Arbeitnehmer - insbesondere Top-Talente - ihren Arbeitgeber aussuchen können, ist ihrer Meinung nach der Grund für diesen Wandel. Das Gleiche gilt für die anhaltende Veränderung der gesellschaftlichen Prioritäten. "COVID hat uns alle gelehrt, dass es keine höhere Priorität gibt als die eigene Gesundheit sowie das Wohlbefinden von Freunden, Familie und Kollegen", sagt sie. Daher hätten viele Führungskräfte auf dem Höhepunkt der Pandemie eine menschenzentrierte Kultur aufgebaut, um virtuelle Arbeit zu ermöglichen. Sie tolerierten (und begrüßten sogar) die Anwesenheit von Haustieren und Kindern im Hintergrund von Zoom-Meetings, und sie unterstützten flexible Zeitpläne.
Lamoreaux zufolge würden einige Führungskräfte nun jedoch einen Rückzieher machen und für eine Rückkehr zum "Normalzustand" vor der Pandemie plädieren. Das sei nicht für alle Arbeitnehmer akzeptabel. "Es ist immer noch ein kandidatengesteuerter Markt", sagt sie. Die erfolgreichsten Führungskräfte, einschließlich der Top-CIOs, denken daran, dass ihre Mitarbeiter an erster Stelle stehen: Zum Teil durch die weitere Unterstützung flexibler Arbeitsformen, einschließlich virtueller oder hybrider Optionen. Sie würden sich auch auf die Mitarbeiterentwicklung konzentrieren und vielfältige Teams sowie integrative Kulturen aufbauen. Und sie respektierten Grenzen.
"Es kommt darauf an, wie man seine Mitarbeiter behandelt", bilanziert Lamoreaux. Solche CIOs verschicken zum Beispiel keine E-Mails über Nacht, weil sie wissen, dass sich die Mitarbeiter verpflichtet fühlen könnten, zu jeder Zeit nachzuschauen und zu antworten: "Das bedeutet nicht, dass man die Mitarbeiter nicht für ihre Arbeit verantwortlich macht. Vielmehr geht es darum, eine Kultur zu schaffen, in der sie eine Stimme haben und in der die CIOs ihnen zuhören."
Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag unserer Schwesterpublikation cio.com