Jeder CIO wird in den vergangenen Jahren viel über Big Data nachgedacht, diskutiert und gelesen haben. Das Problem bei letzterem ist bekanntlich, dass häufig wenig davon dauerhaft hängenbleibt. Deshalb vorab ein Merk-Anker zu James Platt, Robert Souza, Enrique Checa und Ravi Chabaldas: Die vier Berater der Boston Consulting Group (BCG) kreisen in ihrem aktuellen Beitrag ihre hauseigene Website BCGPerspectives.com um "Big Data as a Business". Eine neue "as a"-Begrifflichkeit also, wie sie in der IT seit SaaS geläufig sind. Wer's abkürzen will: BaaB, auch wenn das Autorenquartett das Kürzel selbst nicht verwenden.
"BaaB" - wie SaaS
Die Abgrenzung von Big Data auf der einen und BaaB auf der anderen Seite ergibt deshalb Sinn, weil es in der BCG-Analyse nicht im Kern um die technologischen Merkmale und Lösungen von Big Data geht, sondern um die - auch für viele CIOs - viel spannenderen Folgefragen. Vor allem jene, wie sich aus der anwachsenden Datenflut Geld fürs eigene Unternehmen machen lässt.
Die Berater liefern dafür diverse Praxisbeispiele, die ob ihrer gefühlten Seltenheit immer noch besonders interessiert aufgenommen werden. Und sie destillieren auf der abstrakten Ebene aus ihren Erfahrungen ein Schema aus sieben idealtypischen Profit-Mustern - Geschäftsmodelle für BaaB, wenn man so will.
"In einer Vielzahl von informationsintensiven Branchen generieren Firmen schon neue Umsatzströme, Business Units und für sich stehende Geschäfte aus den ihnen eigenen Daten", so BCG. "Langfristig sehen wir ein großes Potenzial, dass derartige Datengeschäfte auch in die traditionellsten Branchen sickern."
Prädestinierte Branchen
Nach Beobachtung der vier Consultants spielen sich momentan 80 Prozent der BaaB-Initiativen im Feld der Finanz- und Telekommunikationsdienstleister ab. Über umfangreiches Datenmaterial und damit Potenzial verfügten außerdem die IT-intensiven Branchen Versicherungen und Handel. Künftig seien BaaB-Anstrengungen auch anderswo zu erwarten, etwa von Energie-, Fertigungs-, Gesundheits- und Verbrauchsgüterfirmen
Beispiel National Bank of Australia
Ein Beispiel für die Geschäftsmodelle, die die Berater im Fokus haben, liefert die National Bank of Australia. Diese gibt laut BCG informative Details aus einer Millionenfülle an elektronischen Transaktionen an ein schon 2008 gegründetes Joint Venture mit dem Datenanalysten Quantium weiter. Über diesen Weg wegen aus der Datenflut gewonnene Informationen an Dritte weiterverkauft. Die Daten werden selbstredend so aufbereitet, dass einzelne Kunden anonym bleiben - wie in allen hier genannten Fällen.
Beispiel Tesco
Ähnlich verfährt nach Angaben der Berater der Lebensmittelhändler Tesco, der gemeinsam mit dem Big Data-Spezialisten Dunnhumby Millionen an Kundentransaktionsdaten auswertet. Die über das Kaufverhalten gewonnenen Erkenntnisse werden an große Hersteller wie Unilever, Nestlé und Heinz verkauft. Die Produzenten lernen daraus beispielsweise, wo genau am meisten Wein oder Schokolade verkauft wird.
Alleine umsetzen oder mit Dienstleister?
Die genannten Beispiele illustrieren bereits eine Grundsatzfrage, die auf diesem Terrain agierende Firmen für sich beantworten müssen. Unternehmen könnten entweder Partnerschaften formieren und vertragliche Beziehungen entwickeln, so BCG. Oder sie beackern das Big Data-Gelände alleine.
"Die Mehrzahl der von uns befragten Unternehmen bevorzugen es, die Kontrolle über die Entwicklung neuer Produkte und Services zu behalten", schreiben die Autoren. "Oft beauftragen sie Dritte damit, die Entwicklung zu beschleunigen, aber umfassende Partnerschaften oder Allianzen sind immer noch ein relativ wenig verbreitetes Arrangement."
Für die Eigenregie sprächen die mögliche Skalenvorteile, die komplette Kontrolle der Strategie und das größere Ertragspotenzial. Partnerschaften erlaubten demgegenüber die Teilung der Risiken und die Nutzung fremder Skills, Werte und Daten zur Schaffung neuer Marktchancen und für schnelleren Marktzugang.
Unabhängig vom letztlich gewählten Ansatz sollten sich die Anwender laut BCG vergegenwärtigen, dass sich in einem komplett neuen digitalen Umfeld bewegten. Grundsätzlich gebe es zwei unterschiedliche Ausgangspositionen für den Schritt ins Abenteuerland BaaB: die einen verfügen über eine ausreichende Masse an Daten, die sie kapitalisieren können; die anderen haben zwar auch werthaltiges Datenmaterial - aber nicht genügend, um alleine reüssieren zu können.
Die 7 Basismodelle
Die von BCG identifizierten sieben Haupterfolgsmodelle beinhalten eine Mischung aus B2C- und B2B-Angeboten. Die drei hier zuerst genannten Muster unterscheiden sich in der Art und Weise, wie Produkte und Dienste geliefert werden, und darin, ob die große Masse angesprochen wird oder klare Zielgruppen. Die folgenden vier Modelle differenzieren sich hinsichtlich der Beziehungsdauer mit den Kunden.
1. Build to Order: Produkte und Services werden für Kunden maßgeschneidert - zum Beispiel, indem aus Location-Daten verschiedener GPS-Geräte eine individualisierte Verkehrsanalyse für ein städtische Planungsabteilung entwickelt wird. Vorteile dieses Modells seien der besondere Wert der Leistungen und die gesteigerte Kundenzufriedenheit. Dafür müssen die Kunden aber längere Wartezeiten in Kauf nehmen; überdies lassen sich die speziellen Produkte und Leistungen nur schwer weiterverkaufen.
2. Service Bundle: Verschiedene Angebote werden miteinander verschmolzen. Energiehändler können beispielsweise die Gas- und Stromversorgung und die Energiesparberatung zu einem Service-Paket schnüren. Das kann laut BCG sehr profitabel sein, Konkurrenz aus dem Markt treiben und Cross-Selling-Möglichkeiten eröffnen. Hinterher ist es aber schwierig, die Verkaufspakete wieder aufzulösen. Und den Kunden muss nicht schmecken, dass sie den Wert der einzelnen Komponenten nicht mehr mühelos in Erfahrung bringen können.
3. Plug and Play: Hier gibt es das immer gleiche Produkt für alle Kunden. Banken können beispielsweise Berichte über das Ausgabenverhalten ihrer Kunden verkaufen, die auf Basis gesammelter und anonymisierter Daten erstellt werden. Derartige Angebote lassen sich leicht zusammenstellen. Die Gefahr: Die Kunden könnte Personalisierung vermissen - und eventuell zur Konkurrenz flüchten.
4. Pay per Use: Bezahlt wird nur, was auch gebraucht wird. BCG nennt als Beispiel ortsabhängige Skisportversicherungen. So lassen sich gute Margen realisieren; allerdings fehlen stabile Umsatzquellen - und die Akquisitionskosten können ausufern.
5. Commission: Dauerhaftere Beziehungen lassen sich auf andere Weise etablieren. Zum Beispiel, indem Banken Kreditkartentransaktionen analysieren und Lokalen und Geschäften gegen Gebühr Rabatte gewähren. Diese basieren dann auf den generierten Umsätzen. Das Problem laut BCG ist hier die mangelnde Berechenbarkeit der Geldflüsse.
6. Value Exchange: In diesem Modell bietet ein Dritter, der zwischen Unternehmen und Kunde steht, Rabatte oder zusätzliche Services an. So lassen sich die vom Marketing gewünschten Gruppen gezielt ins Visier nehmen. Langfristig kann es auch BCG-Sicht aber unerwünscht sein, bei diesen Geschäften einen weiteren Partner im Boot zu haben.
7. Subscription: Abonnementlösungen sind laut BCG zum Beispiel im Healthcare-Segment möglich. So kann Patienten ein anonymisierter Informationsdienst angeboten werden, über den medizinische Befunde ausgewertet werden. Diese Geschäfte sind einerseits von stabilen und damit berechenbaren Umsätzen gekennzeichnet, dafür sind andererseits die Margen entsprechend niedrig.
Nach BCG-Beobachtung dominieren momentan Modelle, die auf den Massenmarkt abzielen. Langfristig sei aber zu erwarten, dass die größeren Erträge mit Bundling- und Built to Order-Angeboten erzielt werden. Außerdem würden auf Sicht dauerhafte Beziehungen zu den Kunden angestrebt.
Beispiel General Motors
Die genannten Idealtypen werden schon jetzt in der Praxis kombiniert. BCG nennt General Motors als Beispiel für einen Mix aus Plug and Play sowie Subscription. Der Autohersteller nutzt in den USA Telematikdaten seines OnStar-Navigationssystems, um "Pay as you go"-Autoversicherungen anzubieten. Vertrieben werden diese über eine Partnerschaft mit dem Versicherer National General Insurance. Die Idee hinter dem Konzept: Wer weniger als 15.000 Meilen jährlich fährt, wird mit Rabatten bis zu 54 Prozent geködert. Daten über Geschwindigkeit und Fahrverhalten würden nicht gesammelt, so heißt es.
Um den Sinn eines eigenen Einstiegs in derartige Modelle zu prüfen, sollten Anwender laut BCG zunächst klären, ob die benötigten Daten, Ressourcen und Infrastrukturen vorhanden sind. Dann sollte überlegt werden, auf welchen neuen Wegen Big Data tatsächlich Mehrwert schaffen könnte, und wer als Partner in Frage komme. Man müsse außerdem das Vertrauen der Kunden zu pflegen wissen. Soll heißen: Ohne überzeugende Konzepte für Datenschutz, Transparenz und Kundenpartizipation führen die neuen Big Data-Weg möglicherweise ins Niemandsland.