"Es wird ein Problem, wenn man sich jetzt nicht um die Weiterentwicklung der internen IT kümmert." Thilo Press steht vor der Frage, welchen eigenen Wert eine IT liefern kann, wenn klassische IT-Aufgaben zum Großteil ausgelagert sind. Welchen, wenn sich auch noch Cloud Computing als neues Beschaffungsmodell durchgesetzt hat. Für den CIO des finnischen Papierkonzerns Stora Enso ist klar, dass die IT diesen Wert nur liefern kann, wenn sie sich neu erfindet, wenn sie ihre Aufgaben und Rollen anders definiert und verteilt.
Klar ist auch: Dafür gibt es keine schnelle Lösung. Press rechnet für die Umstrukturierung der neuen Organisation mit drei bis fünf Jahren - mindestens. "Wir müssen uns systematisch auf die Veränderungen vorbereiten", sagt er. "Bei der Entwicklung von Kompetenzen geht es nicht um bloße Beurteilungen oder
Einschätzungen, es geht darum, so schnell wie möglich eine lernende Organisation zu etablieren." Weg von der technisch ausgelegten Governance-IT, hin zu strategischen Business Information Services (BIS), sagt der CIO. Er startete im vergangenen Jahr BIS Learn, ein Fortbildungsprogramm zur Entwicklung des mittleren IT-Managements.
Stora Enso - Papier, Verpackungen und viel Holz |
Der finnisch-schwedische Konzern Stora Enso ist gemessen an der Produktionskapazität eines der größten Forstunternehmen der Welt sowie einer der größten Papier- und Verpackungsmittelhersteller. Das Traditionsunternehmen betrachtet sich als ständigen Erneuerer ("Global Rethinker") einer althergebrachten Branche. Stora Enso ist an den Börsen Helsinki und Stockholm notiert. |
Hauptsitz |
Helsinki |
Standorte |
85 Gesellschaften (weltweit) |
Umsatz |
10,3 Milliarden Euro (2010) |
Mitarbeiter |
26 000 in 36 Ländern |
IT-Mitarbeiter |
rund 400 |
CIO |
Thilo Press |
Strategische Kernkompetenzen
Sieben strategische Kernkompetenzen stellt Press ins Zentrum seiner künftigen IT-Organisation:
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1. IT-Architektur: Diese Gruppe soll am stärksten wachsen. "Die Anforderungen an die IT in den nächsten Jahren wird in erster Linie aus der Integration unterschiedlicher Services bestehen", sagt Press. "Da sind Architekten gefragt, und zwar für Services und Geschäftsprozesse."
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2. Projekt-Management: Ohne Frage eine immer häufiger benötigte Fähigkeit. Problematisch ist die Karriereplanung dieses auf begrenzte Zeit ausgerichteten Jobs. Oft sind Projekt-Manager vom klassischen Weg nach oben ausgeschlossen. Das Hindernis räumt Press mit einem eigenen Karrierepfad für Projekt-Manager aus dem Weg. "Wenn ich gute Leute will, muss ich ihnen die Chance zum Aufstieg und zur Entwicklung in unserer Organisation bieten."
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3. Business-Transformation: Die IT-Kernkompetenz der Zukunft in der klassischen Schnittstelle zwischen dem Geschäft und der IT. Wer hier arbeitet, muss sich mit den Prozessen in den Fachbereichen auseinandersetzen und helfen, sie zu verbessern. Er oder sie bewertet und analysiert bestehende, entwirft, modelliert und testet neue Abläufe und steigert so die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens.
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4. Vendor-Management: Nein, es geht nicht um die Verhandlung mit dem Lieferanten. Die führt der Einkauf. CIO Press hat mit dem Vendor-Manager eine neue Aufgabe für die Steuerung externer Partner entworfen. Die Beziehung zu, aber auch zwischen ihnen muss ganzheitlich gestaltet werden. "Ähnlich dem Account-Management einer Sales-Abteilung", erklärt er. Gearbeitet wird an operationalen und strategischen Zielen mit dem Lieferanten. Dafür gilt es zu wissen: Wer ist er? Wo hat er seine Märkte? Welchen Umsatz macht er mit uns? Was ist der Strategic Fit? "Erst mit diesem Überblick kann ich gut für mein Unternehmen verhandeln, aber auch den Nutzen der Lieferantenbeziehung steigern."
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5. Service-Management: Was der Vendor-Manager nach außen, ist der Service-Manager nach innen. Er steuert einen kompletten Service beziehungsweise ein Serviceportfolio - mit Blick auf die Technik und den Lieferanten, den Kundenbedarf, die Kosten sowie den Wert für das Geschäft. Auch dieser Bereich lehnt sich an das Business-Modell an: Der Service-verantwortliche agiert wie ein Produkt-Manager. Er muss sein Produkt, sprich: den Service, intern vermarkten. "Dabei ist das Benutzerverständnis entscheidend", betont der CIO. Eine große Rolle spielen auch Kostenkontrolle und die Lieferung von Qualität.
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6. Operations-Management: Hier kümmert man sich um das Herz der operativen Informationstechnik. Den Operations-Managern obliegen der Betrieb und das Controlling von IT-internen Prozessen, Anwendungen und der Infrastruktur sowie die Steuerung des Supports. "Diese Kompetenz brauchen wir auch in Zukunft, nicht nur in der IT, sondern über verschiedene Servicebereiche hinweg", sagt Press.
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7. Client-Management: Stora Enso setzt auf IT-Verantwortliche, die auch aus dem Business kommen, Fachkollegen, die überzeugt sind vom Wert der IT und die Brücke zu den Nicht-IT-Kollegen schlagen. Ihre Kunst wird sein, zu übersetzen und zu erklären, die Bedürfnisse der Nutzer zu erkennen und zu steuern. Sie lenken die IT-Strategie, das Projekt- und das Serviceportfolio so, dass sie einen maximalen Mehrwert der IT für das Unternehmen erreichen.
Mit diesen Kompetenzen stehen die Lernziele fest und bilden das Gerüst von "BIS Learn". Für jede Gruppe gibt es nicht nur die Vorgabe, wie die Kompetenzen aussehen, sondern auch, wie sich der Erfolg messen lässt. Der Service-Manager beispielsweise wird künftig an der Gegenüberstellung von Gewinn und Verlust, der Kundenzufriedenheit und der Durchdringung seines Services gemessen. Sein Kollege im Vendor-Management hingegen muss den Wert des Lieferanten für das Unternehmen nachweisen können.
CIO Thilo Press über die IT-Strategie von Stora Enso Deutschland
Zusammen mit der HR-Abteilung feilt Press weiter an der Umsetzung. Die theoretische Vorarbeit ist Ende 2010 abgeschlossen. Jede Kompetenz wurde in vier Level unterteilt: "Basis", "Geübt", "Fortgeschritten" und "Experte". Für jeden Level schreibt der CIO fest, welche Voraussetzungen zu erfüllen sind. Die aktuell gemessenen Kompetenz-Level der einzelnen Mitarbeiter werden ins SAP-HR-System eingetragen und dienen nun als Grundlage für den persönlichen Ausbildungsweg.
Beispiel Projekt-Manager auf der Stufe "Basis". Er hat ein bis zwei kleine Projekte erfolgreich geleitet, hatte eine Schlüsselrolle in mindestens einem mittleren oder großen Scale-Projekt, und seine praktische Erfahrung liegt bei zwei bis drei Jahren. Ein Level weiter, als "Geübt", wird eingestuft, wer mittelgroße Projekte geführt hat, an einem großen Projekt beteiligt war und erste Erfahrungen im Supplier-Management und in der Anleitung von Mitarbeitern sammeln konnte.
BIS Learn beschreibt jedoch nicht nur, welche Fertigkeiten die einzelnen Kompetenzstufen fordern. Das Konzept zeichnet auch den Ausbildungspfad von einem Level zum nächsten vor. Beides - Kompetenzstufe und Weiterbildung - verknüpft immer Praxis und Theorie, setzt sich also aus Berufserfahrung und gezielter Weiterbildung zusammen. Je nach Kompetenz kann das heißen, dass die Kollegen ihr Wissen zu Prince2 oder ITIL, Marketing oder Finanz-Management, Verhandlungstaktik, Kommunikation oder zur Messung von Kundenzufriedenheit erweitern müssen. Und je nach Stand der Fähigkeiten werden die nächsten Schritte für das kommende Jahr festgelegt.
Trainingsinvestitionen verdoppelt
Wer wann was absolviert, koordiniert ein jeweiliger Kompetenzverantwortlicher. Er trägt Sorge dafür, dass sein Bereich die geforderten Entwicklungen mitmacht, kümmert sich um die Inhalte der Trainings und stellt sicher, dass das vermittelte Wissen immer auf der Höhe der Zeit ist. So weit, so gut. Das Konzept steht, die Kosten sind eingeplant. "Trotz der Einsparungen im IT-Budget werden wir unsere Trainingsinvestitionen in diesem Jahr genau verdoppeln", sagt Press.
Der erste Haken: Externe Schulungsspezialisten helfen wenig weiter. "Das Angebot an geeigneten Fortbildungen ist dünn", muss Press feststellen, gerade bei veränderten Kompetenzen im mittleren Management. Also behilft sich der CIO mit einer anderen Lösung: Er schaut sich unter den Experten bei seinen IT-Partnern um. Diese liefern eigentlich Software und Services für Stora Enso, aber jetzt sind es beispielsweise ihre Marketing-Künste, die Press interessieren. Oder ihre Expertise im Projekt-Management oder in der Modellierung von Geschäftsprozessen. Mit Outsourcing-Partner SIS etwa gründet der CIO eine Business Academy, um den Bereich "Business Transformation" voranzubringen.
Der zweite Haken lässt sich nicht so leicht aus der Welt schaffen: "Mit diesem Programm bringen wir nicht nur das Unternehmen voran, es bedeutet auch für jeden Einzelnen eine Chance zur Weiterentwicklung", denkt Press, als er das Konzept im Oktober vergangenen Jahres seinen Kollegen präsentiert. Alles ist sorgfältig vorbereitet: Ein Kommunikationskonzept begleitet BIS Learn. Darin werden die Veränderungen begründet, die Kompetenzen beschrieben, die einzelnen Schritte erläutert und Ansprechpartner sowie weitere Informationsquellen genannt.
Jetzt ist Psychologie gefragt
Mit einem gewissen Maß an Skepsis hatte der CIO gerechnet. Die Organisation hatte gerade eine Umstrukturierung und ein Kostensenkungsprogramm hinter sich. Doch die Ablehnung, die ihm tatsächlich entgegenschlug, war größer als erwartet. "Das Konzept hat einen hohen Druck ausgelöst", beschreibt Press. "Die Leute dachten, dass wir sie erneut überprüfen und dann aussortieren wollen."
Aufhalten lässt sich der CIO nicht. Jetzt ist Psychologie gefragt, es geht letztlich auch hier um Change-Management. Press redet und erklärt, holt Mediatoren aus der HR-Abteilung mit ins Boot und macht hier und da Zugeständnisse. "Ich kann das Misstrauen verstehen", sagt er. Über Jahre hat sich in der IT kaum etwas verändert, und nun steht gleich alles auf dem Prüfstand. Hinzu kommt, dass die Einstufung der Kompetenzen bei manch einem ordentlich am Selbstvertrauen kratzt. Da hat jemand jahrelang als Service-Manager gearbeitet, und nun stellt sich heraus, dass er im Sinne des neuen Trainingsprogramms als "Basis" eingestuft wird.
"Wir müssen den negativen in einen positiven Druck umwandeln", sagt Press. Letztlich wird das nur mithilfe der Zeit gehen. Ungefähr die Hälfte seiner Leute, schätzt Press, steht mittlerweile hinter dem Konzept und betrachtet es auch als eine persönliche Chance. Die andere Hälfte ist skeptisch. Noch. Denn auch wenn der Überzeugungsaufwand höher ausfällt als gedacht: An dem jetzt eingeschlagenen Weg führt nichts vorbei - es sei denn, man gibt den Gedanken auf, dass die IT etwas zum Unternehmenswert beiträgt.