Das Spektrum an IT-basierten Lösungen für das Gesundheitswesen ist breit: Es reicht von spezieller Software für "Life Sciences“ (Biotechnologie, Pharmaindustrie), Servern, Storage, Netzwerken bis hin zu ERP-Programmen, KIS & PACS, Medizintechnik oder in steigendem Maße zu mobilen Geräten und Apps. Dabei hapert es wegen begrenzter Budgets und des Kostendrucks oft an den einfachsten Dingen. Zudem sind die Healthcare-IT-Abteilungen traditionell unterbesetzt.
Auf der Medica, einer der weltweit größten Messen für das Gesundheitswesen, die Mitte November wieder in Düsseldorf stattfand, zeichneten sich vor allem zwei Trends ab: die medizinische Cloud und der Einsatz mobiler Geräte. Zeitgleich mit der Medica erschien eine Studie des Consulting-Unternehmens Accenture mit dem Titel "Technology Vision 2012: What it means for Life Sciences“.
Die allgemeine Trend-Aussage von Accenture geht dahin, dass sich Unternehmen mit gut aufgestellter IT-Ausrüstung gegenüber Konkurrenten auf dem Markt eher durchsetzen als solche, die hinter der technologischen Entwicklung zurückbleiben.
Aus den Medica-Schwerpunkten und der Accenture-Studie lassen sich acht Trends für die Healthcare-IT ableiten.
1. Die medizinische Cloud
Die Cloud im Gesundheitswesen kommt. Um die Vernetzung von Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten zu unterstützen, haben IBM und "Healthcare IT Solutions“, die IT-Tochter des Universitätsklinikums Aachen, im Hochsicherheits-Rechenzentrum des Klinikums eine private Cloud implementiert. Auf der Medica war dies eines von mehreren vorgestellten Cloud-Angeboten. Es dient laut IBM dem Austausch von Gesundheitsinformationen auf der Basis medizinischer Fallakten.
IBM verwaltet und betreibt die Cloud-Infrastruktur des Rechenzentrums von Healthcare IT Solutions. Die IT-Tochter des Klinikums war auch mit an der Entwicklung der elektronischen Fallakte beteiligt. Eine weitere "Medical Cloud“ wurde von der CompuGroup Medical vorgestellt: Laut Anbieter soll sie die "erste gesetzeskonforme Cloud-Lösung für das Gesundheitswesen“ sein.
2. Einsatz mobiler Geräte
Kurze Kommunikationswege sind gerade im Healthcare-Bereich entscheidend. EinTrend auf der diesjährigen Medica waren Systeme für Alarmierung und schnelle Reaktion von Seiten des medizinischen Personals. So stellte Siemens Enterprise Communications mit "OpenScape Health Connect“ eine verbesserte Kommunikationsform vor.
Sie ermöglicht laut Hersteller eine "durchgängige IP-basierte Kommunikation im Krankhaus und sorgt gleichzeitig für einen reibungslosen Informationsfluss für Belegschaft und Patienten“. Integrierte draht- und funkbasierte Netzwerklösungen von Enterasys Networks sorgen für die nötige Performance. Unterschiedliche Endgeräte und Betriebssysteme lassen sich einbinden, womit auch Bring Your Own Device (BYOD) im Krankenhaus prinzipiell möglich wird.
Die Deutsche Telekom, das Rote Kreuz sowie der Schweizer Uhrenhersteller Limmex stellten auf der Medica einen neuen mobilen Notrufdienst vor. Eine Limmex-Uhr mit eingebautem Mini-Handy am Handgelenk soll in Notsituationen schnelle Hilfe per Knopfdruck holen. In der Schweiz ist dieser Service bereits angelaufen, in Deutschland ist er Mitte November ans Netz gegangen.
Laut Telekom wählt die Uhr automatisch bis zu zehn individuell hinterlegte Nummern – etwa von Familienmitgliedern, Freunden oder auch der Firmenzentrale – nacheinander so lange an, bis jemand antwortet. Alternativ könnten sich die Hilfesuchenden auch mit einer der Notrufzentralen des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) verbinden lassen, die 24 Stunden besetzt sind.
3. Context-basierte Dienstleistungen
Laut Accenture wird die nächste Welle von digitalen Services durch Informationen über den jeweiligen Aufenthaltsort und die Umgebung bestimmt, in denen sich der Nutzer gerade befindet. "Real-time“ Signale aus der physikalischen Umwelt ermöglichen es, verbesserte Gesundheitslösungen anzubieten. Dazu müssen allerdings zunächst einige grundsätzliche Informationen auf mobilen Geräten oder in der Cloud gespeichert sein.
Smartphones und schnelle 3G- oder 4G-Verbindungen erlauben es schon jetzt, Patienten mit nützlichen Infos zu versorgen. Die Clarityn-App informiert zum Beispiel über lokale Pollen-Werte und liefert Details über medizinische Dienste in der näheren Umgebung. Und die Pharma-Firma Pfizer hat in Israel eine App für Patienten mit Blasenproblemen herausgebracht, die über öffentliche Toiletten in der jeweiligen Nähe und aktuelle Hilfestellungen sowie Helpline-Kontakte aufklärt.
Accenture selbst ist eine Partnerschaft mit der Alzheimer Association eingegangen, um ein Geschäftsmodell für die so genannte "Comfort Zone“ zu entwickeln: Dabei geht es darum, Alzheimer-Patienten, ihren Familienangehörigen und dem Pflegepersonal einen Location-Dienst zur Verfügung zu stellen, falls sich diese verirren und nicht zurückfinden. Boehringer Ingelheim arbeitet an Sensor-Apps für Diabetes Typ 2, die Monitoring mit Behandlungstipps verbinden.
4. Strukturierte und unstrukturierte Daten verbinden
Neue Datenarchitekturen berücksichtigen die zunehmende Bedeutung unstrukturierter Informationen. Was heute unter dem Schlagwort "Big Data“ läuft, wird von Accenture positiv bewertet, da man im medizinischen Bereich neue Möglichkeiten der IT erhalte, viele und komplexe Patienteninformationen auszuwerten. Neue Geschäftsmodelle für "Health Outcome Analytics“ oder "Personalized Medicine“ würden entstehen.
5. Industrialisierte Datendienste
Bei Accenture verweist man auf den Nutzen geteilter Daten: In gemeinsamen Cloud-Pools abgelegte große Datenmengen könnten je nach Interesse der beteiligten Unternehmen oder Organisationen durchforstet und analysiert werden. Vorausgesetzt sind natürlich die Einhaltung von Sicherheits- und Konformitätsregelungen und -Gesetzen, gerade wenn es um sensitive Patientendaten geht.
Profitieren von der Entkopplung der Daten von einzelnen Applikationen, die bisher meist in Silos vorgehalten werden, könnten laut Accenture die medizinische und pharmazeutische Forschung und Entwicklung. Außerdem ließen sich so neue Simulationsmodelle konstruieren, um die Auswirkungen von Medikamenten oder klinischen Eingriffen mittels einer vergrößerten Datenbasis zu überprüfen. Die globale Healthcare User Group "GS1“ entwickelt derzeit in diesem Zusammenhang neue Standards für die Patientensicherheit.
6. Soziale Netzwerke als Motor der Healthcare-IT
Soziale Netzwerke, so die Einschätzung von Accenture, werden nicht nur als Marketinginstrument für Unternehmen funktionieren. Eine größere Bedeutung werde ihnen als Tool für Collaboration zukommen, besonders innerhalb der Life-Science-Unternehmen, aber auch außerhalb im Ecosystem der Gesundheitswirtschaft und der medizinischen Einrichtungen. Gemeinsames Ziel müsse es sein, die ansteigenden Kosten im Gesundheitssystem im Griff zu behalten. Die Abteilungen für Forschung und Entwicklung, Marketing oder Vertrieb könnten mit dem Einsatz von IT-gestützten Collaboration-Tools früher als bisher Ideen und Erfahrungen austauschen. Vielerorts befinden sich schon Programme wie Yammer, Jive oder Chatter im Einsatz, obwohl es noch an der nötigen Umstellung der individuellen Verhaltensweisen mangelt.
7. Platform-as-a-Service (PaaS) ändert Geschäftsprozesse
Mit der Verbreitung von Tablets und Apps in den Vertriebsabteilungen der Unternehmen nimmt die Nutzung von Cloud-Services zu. Dies bietet laut Accenture zugleich die Chance, weitere Geschäftsfelder über externe Dienste zu nutzen. IT könne sich so aus der Rolle des Kostenoptimierers befreien und direkt auf die Geschäftsprozesse einwirken. Bei kapitalintensiven IT-Installationen kann es zudem zu Einsparungen kommen, wenn man zu der Anmietung von Kapazitäten nach dem "On-Demand“-Modell übergeht.
Das Pharmaunternehmen GlaxoSmithKline hat zum Beispiel für mehr als 100.000 Mitarbeiter an hunderten von Standorten auf Microsoft Office 365 inklusive Exchange, SharePoint, Office Communicator und Office Live Meeting umgestellt. Und Roche hat vor kurzem angekündigt, zu Googles Cloud-basierten Geschäftsanwendungen einschließlich Gmail und Google Docs zu wechseln. Von diesem Schritt betroffen sind weltweit 90.000 Mitarbeiter, die zukünftig nicht mehr mit zwei verschiedenen Mail- und Kalendersystemen arbeiten müssen.
8. Offene Grenzen absichern
Bei Accenture geht man davon aus, dass sich auch Unternehmen aus dem medizinischen Bereich auf mehr Security-Verletzungen einstellen müssen. In dem Maße, in dem produktive Daten in die Cloud verlegt oder für Shared Pools zur Verfügung gestellt werden, sind Organisationen anfälliger für Angriffe. In der Folge müssen neue Verteidigungslinien aufgebaut werden, vor allem was die Datenbasis und den Datenaustausch angeht. Da voraussichtlich mehr Attacken die Firewall und andere Schutzmechanismen passieren werden, müssen neue Security-Zonen geschaffen werden, die vom Rest der Unternehmens-IT abgeschottet sind – so wie es etwa passiert, wenn E-Mails in eine externe Cloud ausgelagert werden.