Aus dem Wipro Center for Business Resilience

8 Problemfelder in der digitalen Transformation

15.10.2014 von Peter Kreutter und Paul W. J. de Bijl
Kaum ein anderes Thema dominiert die aktuelle Agenda von Unternehmen heute mehr als die Frage nach den Auswirkungen der "Digitalen Transformation". Wie radikal diese Konsequenzen sein können, zeigt die Krisenstimmung in Teilen der Handelsbranche oder der Medien- und Presselandschaft.
Peter Kreutter, Direktor, Stiftung WHU.
Foto: WHU

Der Umgang mit den Chancen und Risiken der Digitalisierung gestaltet sich management-seitig zweifellos als eine äußerst sportliche Aufgabe. Wie gehen Manager nun damit um?

Zwei Beispiele aus dem Fußball verdeutlichen die möglichen Extrempunkte der Grundhaltungen, die die Führungsebenen diesbezüglich an den Tag legen. Das eine Extrem ist das Zitat des früheren Sportdirektors von Eintracht Frankfurt, Rolf Dohmen: "In Dortmund muss man auch mal einen 1:3-Rückstand halten können." So oder so ähnlich argumentiert ein Teil der Führungskräfte in Unternehmen. Schrumpfende Umsätze im Kerngeschäft werden schöngeredet. Der Wettbewerb wird schon von vornherein als verloren hingenommen. Man arrangiert sich mit der Rolle des Verlierers oder des Prügelknaben. Als Konsequenz werden Schritt für Schritt die Ansprüche an sich selbst reduziert und ersatzlos jegliche Ambitionen für eine Verbesserung der Situation gestrichen. Das langfristige Ergebnis dieser Geisteshaltung dürfte jedem klar sein - in der Wirtschaft wie im Sport. Eintracht Frankfurt verlor das Spiel gegen Dortmund übrigens am Ende mit 1:6.

Paul W.J. de Bijl, Professor and der WHU.
Foto: WHU

Es gibt aber auch ein anderes Extrem, das sich ebenfalls mit einer fussballerischen Anekdote beschreiben lässt - der über den Alemannia-Aachen-Spieler Günter Delzepich. Der 1,91 Meter große und über 100 Kilo schwere Hüne war bekannt für seinen harten Schuss. Mit Mitspielern wettete er einmal, dass er einen Medizinball von außerhalb des 16-Meter-Raums ins Tor schießen könne, ohne dass der Ball den Boden berührt. Delzepich verlor diese Wette - er schoss den Ball über das Tor! Schiere Kraft allein oder - im übertragenen Sinne - marktbeherrschende Stellung und finanzielle Leistungsfähigkeit sind nur notwendige, aber nicht hinreichende Bedingungen. Erfolg bedarf letztendlich der konsequenten Umsetzung - oder wie die österreichische Schriftstellerin Marie von Ebner-Eschenbach zu sagen pflegte: "Für das Können gibt es nur einen Beweis: das Tun."

Auch bei strategischen Veränderungsprozessen gibt eine ganze Reihe von Stolpersteinen. In seinem vielfach zitierten Artikel "Leading Change: Why transformation efforts fail" aus dem Jahr 1995 skizziert Harvard-Professor John P. Kotter acht dieser zentralen Stolpersteine aus Management-Sicht und erarbeitet entsprechende Lösungsempfehlungen. Auch heute haben Kotters Argumente nichts an Aktualität verloren. Im Gegenteil, sie sind gerade im Kontext der Digitalen Transformation aktueller denn je, wie bereits das erste Problemfeld, das Kotter sieht, unterstreicht.

WIPRO - Center for Business Resilience

Dr. Peter Kreutter und Dr. Paul W.J. de Bijl sind Mitglieder des neu gegründeten "Wipro Center for Business Resilience" an der WHU – Otto Beisheim School of Management. Als Thinktank und offene Plattform fokussiert sich das Wipro Center for Business Resilience auf Forschungsfragen zur Sicherung des langfristigen Unternehmenserfolges und den Einfluss neuer Technologien auf die Industriestrukturen sowie Unternehmensstrategien. Einer der Schwerpunkte der Forschungs- und Transferarbeit ist, wie sich diese Veränderungen in Familienunternehmen vollziehen.

Weitere Information erhalten Sie per Mail von peter.kreutter@whu.edu.

Problemfeld 1

Die Notwendigkeit und die Dringlichkeit des Wandels werden nicht frühzeitig erkannt beziehungsweise nicht breit und konsequent ins Unternehmen transportiert.

Neben allen rationalen strategisch-wirtschaftlichen Argumenten wird häufig unterschätzt, mit welch hohen emotionalen und psychologischen Barrieren solche Veränderungen für die gesamte Belegschaft verbunden sind. So müssen Mitarbeiter bestehende, oft unbewusste über Generationen geprägte Weltbilder aufgeben. Wer beispielsweise im Möbelhandel mit dem Paradigma sozialisiert wurde, dass man Kunden vor allem mit noch mehr Auswahl auf noch mehr Ausstellungfläche in immer noch größeren Möbelhäusern gewinnt, wird sich mit den Geschäftsmodellen der neuen Wettbewerber wie Home24 schwertun. Deren - oft junge - Klientel braucht oft nicht einmal mehr den Flagshipstore, sondern "begnügt" sich mit innovativen Websites, die ein neues, eigenständiges Einkaufserlebnis schaffen. Ähnliches gilt für die deutsche Presselandschaft, wie jüngst drei Redakteure der FAZ in einem lesenswerten Artikel mit dem Titel "Zeitungskrise: In eigener Sache" reflektiert haben. Sie erzählen die Geschichte der 23-jährigen Ella, die keine Zeitung kauft, sondern ihre Informationen ad hoc im Netz sucht. O-Ton: "Ella ist eine Gefahr für Verlage, unmittelbar und langfristig". Doch nehmen tatsächlich alle Mitarbeiter diese Gefahr so unmittelbar wahr? Heute in den Verlagen vielleicht - doch wie war es vor sechs Jahren? Wie schafft man es als Führungskraft, positives Momentum und Bereitschaft bei der Belegschaft für die Veränderungsmühen? Wie bringt man die eigenen Manager aus der "analogen Komfortzone"?

Zu warten, bis ausreichend hoher wirtschaftlicher Druck da ist, der für alle direkt erfahrbar ist, könnte eine scheinbar naheliegende Strategie sein. Zeigt doch die Praxis, dass sich in schwierigen Zeiten weitreichende, schmerzhafte Veränderungen leichter durchdrücken lassen. Man denke nur an die große Stahlkrise in den 1980ern und die folgenden massiven Zechenschließungen. Ein frühzeitiger Kapazitätsabbau in ähnlicher Größenordnung wäre ohne externen Druck nie denkbar gewesen. Doch bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass gerade im Kontext des digitalen Wandels "Abwarten die Zukunft kostet". Einerseits sorgt ein negatives Umfeld für paralysierte Mitarbeiter. Die Kreativität, die es zum Umbau bestehender beziehungsweise zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle braucht, bleibt dann zwangsläufig auf der Strecke. Oder die besten Köpfe verlassen schnell das Unternehmen. Andererseits limitieren knappe Budgets den Spielraum für neue, zukunftsgerichtete Investitionsprojekte. Man arbeitet mit halbgaren Kompromisslösungen und spart sich zu Tode.

Das eigentliche Gegenargument ist jedoch ein anderes: Komplexe Veränderungsprozesse kosten viel Zeit. Wer also rechtzeitig fertig sein will, muss frühzeitig anfangen. Noch in guten Zeiten bereits den Wandel zu initiieren ist dabei nicht trivial. Insbesondere dann nicht, wenn die eigene Branche oder das eigene Unternehmen über Jahre mit attraktiven Wachstumsraten, Renditen oder gar der Marktführerschaft glänzen konnte beziehungsweise noch glänzt. Nicht umsonst gibt es im angelsächischen Raum das geflügelte Wort von "Leaders tend to lose".

Es ist ureigenste Führungsaufgabe rechtzeitig und mit Nachdruck das Gefühl für die Notwendigkeit der Veränderung zu erzeugen, ohne dabei gleichzeitig Angst und zu große Unsicherheit bei der Belegschaft und anderen Stakeholdern auszulösen. Gleichzeitig ist Fingerspitzengefühl gefragt, denn wer zu häufig Feuer ruft, ohne dass es brennt, wird irgendwann nicht mehr gehört - selbst wenn dann die Hütte tatsächlich lichterloh brennt. Der Handwerkskasten erfolgreicher CEOs bietet in diesem Kontext den einen oder anderen Kniff, mit dem das Gefühl einer Krise provoziert wird, etwa durch gezielte (buchungstechnische) Verschlechterung der eigenen Zahlen. Doch selbst der charismatischste CEO kann die digitale Transformation eines Unternehmens nicht im Alleingang anschieben und stemmen, was sich in Problemfeld 2 widerspiegelt.

Problemfeld 2

Es wird keine starke Führungskoalition aufgebaut, die für den digitalen Wandel steht und diesen treibt.

Wer sich tiefer in Erfolgsgeschichten großer Transformationsprozesse, beispielsweise Apple aber auch IBM in den späten 1990ern, einarbeitet, wird schnell feststellen, dass die Führungspersönlichkeiten stets - wie Kotter es nennt - eine starke "Guiding Coalition" etabliert hatten. Teil derer waren ausgewählte junge und kreative Köpfe, erfahrene Projekt-Manager und vor allem das Top-Management. Denn eines steht außer Frage: Großer strategischer Wandel, so auch der digitale Wandel, muss immer top-down und kann nie bottom-up entstehen. Nur wenn er von der Unternehmensleitung initiiert wird, gleichzeitig aber von der Belegschaft mitgetragen und ausgerollt wird, besteht eine Chance auf Erfolg. Scheitern Transformationsprozesse so stinkt der Fisch mindestens genauso oft vom Kopf her, wie Widerstände der Belegschaft die Ursache sind.

Damit sollte auch klar sein, dass es eben nicht reicht, ein paar Digital Natives mit einigen externen Beratern als Projektteam ins Rennen zu schicken, das wohlwollend vom Vorstand beobachtet wird. Versuche, eine Start-up-Atmosphäre zu kopieren, springen zumeist zu kurz. Denn Start-ups haben eben nicht nur einige Vorteile, sondern auch Organisationsstrukturen, die nicht für größere Einheiten brauchbar sind, sowie ein extrem hohes Risiko und damit sehr geringe Überlebenschancen. Möchte man dies als etabliertes Unternehmen ebenfalls kopieren? Sicherlich nicht!

Nochmals: Das Top-Management muss der Ausgangspunkt und Treiber der Veränderungen sein. Für den digitalen Wandel muss insbesondere sichergestellt sein, dass in der Führungsgruppe kein "Disconnect" zwischen CEO/CFO und CIO/CTO besteht. Wir alle kennen die leidige Diskussion um die Notwendigkeit einer stärkeren Berücksichtigung der IT-Belange bei strategischen Fragestellungen, wie bei der Prüfung von Akquisitionen. Das beständige Klagen sowohl der Business- als auch der IT-Seite hinsichtlich der gegensätzlichen, unverständlichen Interessenlagen ist ebenfalls Legion. Ob nun der CIO oder doch vielleicht eher der CTO die kritischere Position im Team ist, hängt wesentlich davon ab, welche Faktoren im Geschäftsmodell vom digitalen Wandel betroffen sind beziehungsweise wie die Vision für die Zukunft aussieht. Es macht zwangsläufig einen wesentlichen Unterschied, ob man als Herausforderung die Digitalisierung der Prozesskette auf der Back-Office-Seite im Blick hat oder ob es darum geht, einem bisher analogen Produkt ein digitales Herz einzuhauchen.

Wie man als Top-Manager den digitalen Wandel vorantreiben kann, macht aktuell Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner vor. Statt sich wie der eine oder andere Top-Manager hinter Arbeitsgruppen, Gremien oder Beraterzirkeln zu verstecken, führt er von der Spitze aus. Zwar ist heute keinesfalls klar, ob seine aggressive Umstrukturierung des Medienhauses letztlich von Erfolg gekrönt ist, aber Zögerlichkeit kann man ihm aktuell nicht vorwerfen.

Kritiker, wie der Spiegel-Kommentator Markus Brauck, sehen bei ihm aber andere Schwachstellen. Sie werfen ihm vor, mit seinen Desinvestments einen "verlegerischen Offenbarungseid" zu leisten und dies zu rechtfertigen mit einem "vagen Versprechen auf bessere Zeiten in einer nebulösen digitalen Zukunft". Gerade eine belastbare Vision ist für den erfolgreichen digitalen Wandel aber unverzichtbar.

Problemfeld 3

Die Vision des Wandels fehlt beziehungsweise ist nicht operationalisierbar.

Es klang zu Beginn bereits an, dass digitaler Wandel nicht um des digitalen Wandels willen geschieht, sondern es einer Vision bedarf, die als Richtschnur skizziert, wohin die Reise für ein Unternehmen geht. "Wir werden zum Google der XY-Industrie" oder "Alle unsere Produkte werden zu Apps" als Vision zu formulieren mag bestenfalls noch den modischen Zeitgeist treffen. Es erfüllt aber nicht wichtige Kriterien, die eine Vision erfüllen soll. Sie soll vorstellbar, erstrebenswert, machbar, fokussiert, flexibel und vermittelbar sein. Unterzieht man Visionen von Unternehmen für deren digitale Zukunft diesem Lackmustest, scheitern viele vor allem an zwei Punkten. Erstens der Frage der Machbarkeit, das heißt, bietet die Vision tatsächlich erreichbare Ziele vor der Hintergrund des bestehenden Status quo des Unternehmens und des Umfeldes? Und zweitens: Ist die Vision fokussiert, also klar genug formuliert, um als Entscheidungshilfe im Transformationsprozess zu dienen? Hier muss sich der CIO mit seiner Technologieexpertise in die Visionsentwicklung einbringen und auch für einen Reality-Check sorgen dürfen, ohne gleich als Bremser gebrandmarkt zu werden.

Beispielhaft für die genannten Schwachstellen sei hier nur der Versuch des Ex-Siemens-CEOs Löscher genannt, unter der Vision der "Green City" seine Geschäftsfelder Gebäudetechnik, Mobilität und Stromverteilung zusammenzulegen und den großen Städten gebündelte Produkte mit einem digitalen Backbone anzubieten. So wurde der Aspekt der Machbarkeit von vielen Experten bereits vorab kritisch gesehen - aus ganz pragmatischen Gründen: Für ein entsprechendes "Produkt" gibt es bei vielen Kommunen einfach kein zuständiges Buying-Center. "Green City" bietet nicht ausreichend Fokus, was sich unter anderem darin äußert, dass der Versuch der Kommunikation dieser Vision schnell zum Spiel mit Worthülsen wurde.

Ein bekanntes, positives Beispiel für eine starke Vision kommt aus den frühen Tagen der IT-Industrie. Bill Gates und Paul Allen hatten bei der Gründung von Microsoft die Vision "a computer on every desk and in every home" vor Augen. Mit dieser Vision schufen sie ein Bild der Zukunft, das intuitiv vorstellbar war, selbst in einer Zeit, in der Computer noch größer waren als Garagen. Als Leitlinie ermöglicht diese Vision, Zielgruppen abzuleiten (Desk = Büro und Home = Privater Bereich) und indirekt auch die Rahmenparameter festzulegen. Wie teuer darf ein Computer sein, dass ihn sich jeder leisten kann? Selbst wenn er günstig genug ist, wie leicht muss er für jedermann zu bedienen sein, und - der zentrale Aspekt - welchen Nutzen muss er für dessen Probleme bieten? Diese sind im Business natürlich andere wie zu Hause. Last but not least ist diese Vision extrem schnell und gut zu kommunizieren. Auch dies ist ein wichtiger Erfolgsfaktor.

Problemfeld 4

Die Vision und die Veränderungslage werden nicht, zu wenig oder über die falschen Kanäle kommuniziert.

Es gibt die alte Führungsregel des "you can't overcommunicate". Aber selbst viel Kommunikation kann den Versuch der digitalen Transformation ad absurdum führen, wenn diese nur über die traditionellen Kanäle stattfindet. Es mutet geradezu grotesk an, wenn sich etwa ein namhaftes Handelsunternehmen digital neu ausrichten will und das Führungsteam mit den Mitarbeitern noch über E-Mail-Verlautbarungen und die Projekt-Intranet-Seite kommuniziert. Einsatz von Social-Media-Instrumenten? Fehlanzeige!

Digitaler Wandel betrifft nicht nur die Geschäftsmodelle, sondern auch die Art und Weise der Kommunikation durch Führungskräfte. Man kann von "Doppelter Digitaler Transformation" sprechen: im Geschäftsmodell und in der Führungskommunikation. Wer auf die Nutzung von Social-Media-Elementen verzichtet, verschenkt wichtiges Potenzial im Change-Prozess. Erlauben es diese Instrumente doch besser als je zuvor, unter anderem einen kommunikativen Rückkanal zum Management zu schaffen? Wer so beständig den Finger am Puls der Belegschaft hat, kann früher Ängste und Unsicherheiten erkennen beziehungsweise gezielt das Reservoir an Ideen und positiver Begeisterung nutzen. Die GE-Manager Sylvain Newton und Roland Deiser sehen in einer Analyse sechs Skill-Dimensionen, die Führungskräfte im Bereich Social Media aufbauen müssen.

Besonders relevant sind die drei auf der persönlichen Ebene genannten Aspekte. Hier gilt es für Führungskräfte, schnell in die Rollen des Producers, des Distributors und des Recipients hineinzuwachsen. Sicherlich wird niemand erwarten, dass ein deutscher CEO klassischer Prägung von 0 auf 100 zum fanatischen Twitterer wird oder eigene YouTube-Channels einrichtet. Schließlich sollten Führungskräfte gerade in der Kommunikation authentisch sein und müssen, wenn sie mit der Nutzung von Social Media beginnen, diese auch längerfristig durchhalten. Es gibt eine ganze Reihe von CIOs, etwa Oliver Bussmann, der CIO der UBS, die hier als Rollenmodell dienen und als Erfahrungsträger Sparringspartner für ihre anderen Vorstandskollegen sein können. Diese Chance sollten CIOs nutzen, wenn sich diese bietet.

Dass sich auch Vorstände aus dem Business-Bereich zunehmend auf einen solchen Entwicklungspfad zu einer stärkeren Social-Media-Nutzung begeben, zeigt das Beispiel des Produktionsvorstands eines deutschen Industrieunternehmens. Begonnen hat er vor gut fünf Jahren mit einer formlosen Mail zum Wochenabschluss via BlackBerry, die an seine Direct Reports und deren Coreteams ging. Sie enthielt eine persönliche Sicht auf die wichtigen Entwicklungen der Woche und führte schnell dazu, dass im Nachgang offene Folgediskussionen im Mail-Verteiler entstanden. Seit 2013 ist ein maximal 30 Minuten dauernder Live-Videochat etabliert, bei dem nach einem siebenminütigen Eingangs-Statement des Chefs jeder Teilnehmer die Möglichkeit zum direkten Feedback und zum eigenen Input hat. Man kann sich lebhaft vorstellen, mit welchen Vorbehalten und Unsicherheiten die ersten Video-chat-Runden gestartet wurden. Gefühlt kann es doch etwas anderes sein, ob man sich vom Sofa aus mit Freunden via Skype austauscht oder sich am Flughafen in den Videochat mit dem Chef und Kollegen begibt. Im besagten Fall hat sich dieses Gefühl bei allen Beteiligten aber schnell gelegt.

Problemfeld 5

Hindernisse für die Umsetzung nicht aus dem Weg räumen und wichtige Voraussetzungen nicht schaffen.

Neue Initiativen scheitern häufig daran, dass nicht konsequent unnötiger Sand im Getriebe der Umsetzung entfernt wird. Im Sinne des großen Strategen Carl von Clausewitz gilt: "Wer die Ziele will, muss auch die Mittel wollen!" - sprich, es müssen immer die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Natürlich wird in digitalen Veränderungsprozessen zwangsläufig nach neuen IT-Applikationen und IT-Infrastruktur gerufen: Multi-Channel-fähige Shop-Systeme, Big-Data-Lösungen oder ganz pauschal eine agilere IT. Es ist ebenso unbestritten, dass gerade IT-Legacy-Systeme eine der größten Barrieren sind, die aus dem Weg zu räumen beziehungsweise, falls möglich, konsequent zu integrieren sind.

Voraussetzungen müssen aber auch in anderen Bereichen geschaffen werden. Auch diese haben vielfach direkte Kontaktpunkte mit der IT. Dies gilt beispielsweise für die Controlling-Systeme. Bilden die bestehenden Informationsangebote statisch die alten Strukturen ab oder bieten sie nur vorstrukturierte, periodische Auswertungen, gleicht das schnell einem Blindflug durch die neue digitale Welt. So zeigt eine Studie des Instituts für Management und Controlling der WHU (Business Partner 2.0 - Wie IT-Trends die Rolle des Controllers verändern), dass die zeitgemäße Steuerung von Unternehmen weitaus stärker die Aspekte Self-Service, Mobilität sowie Echtzeitdaten berücksichtigen muss.

Durch die gezielte Integration von internen und externen Daten im Verbund mit schnelleren Zugriffs- und Verarbeitungsgeschwindigkeiten eröffnen sich neue Anwendungsfelder für Controlling-Maßnahmen mit Echtzeitdaten. Beispielsweise hilft im Online-Handel der Einsatz von Simulationen und Advanced Analytics, knappe Ressourcen gezielt einzusetzen und mit hoher Treffgenauigkeit zu jedem Zeitpunkt die richtigen Kundengruppen zu adressieren. Auch im Bereich der Mobilität müssen weitere Voraussetzungen geschaffen werden. Konkret auf den Führungsalltag bezogen reicht es heute eben nicht mehr aus, das Excel-Sheet mit den jüngsten Vertriebszahlen aufs Tablet zu bringen. Mobilität erfordert mehr. Die Nutzer diese Geräte erwarten intuitive Bedienung, hohe Interaktionsmöglichkeiten mit den Applikationen und gute Visualisierung - alles Aspekte, durch die sich klassische Controlling-Anwendungen bisher eher nicht ausgezeichnet haben. Je besser Echtzeitdaten und Mobilität ineinandergreifen, desto stärker gewinnt der dritte Faktor an Bedeutung: Self-Service-Lösungen. Ein gut aufgebauter Self-Service soll es der Business-Seite ermöglichen, direkt auf die Unternehmensdaten zuzugreifen und ohne große Unterstützung durch das Controlling bedarfsgerechte Analysen zu fahren. Für den CIO und die IT gilt es, hier den Schulterschluss mit dem Controlling zu suchen, um sich intern gemeinsam als Business-Partner 2.0 zu positionieren, wie dies die Autoren der WHU-IMC-Studie vorschlagen. Nur dann wird es möglich sein, den Grad an Steuerungstransparenz zu erreichen, den die schnelldrehenden digitalen Geschäftsmodelle erfordern.

Resilience - Call for Papers

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Weitere Information und den Call for Papers erhalten Sie per Mail von peter.kreutter@whu.edu.

Problemfeld 6

Quick Wins stellen sich nicht ein oder werden nicht systematisch geplant.

Transparenz und Sichtbarkeit braucht man auch für etwas Grundlegendes im Transformationsprozess: die ersten Erfolge! Sie reduzieren Unsicherheit in Veränderungsprozessen für Mitarbeiter, aber auch für Kunden. Sie helfen, wichtiges weiteres Momentum aufzubauen, und nehmen Kritikern und Zweiflern den Wind aus den Segeln. Hier gilt es, das richtige Maß zwischen hoher Geschwindigkeit und den "richtigen" ersten Erfolgsmeldungen zu finden. Nehmen wir ein aktuelles Beispiel, mit dem Generationen von uns in der Jugend groß geworden sind. In einem umfangreichen Magazin- und Web-Relaunch stellte sich die Zeitschrift "Bravo" in den letzten Tagen neu auf. Dies war mehr als notwendig, denn wurden in den späten 1990ern noch knapp eine Million Hefte verkauft, lag die Auflage zuletzt bei weniger als 145 000. Gerade mit Blick auf die junge Leserschaft muss beim Sprung in die Smartphone-Welt der erste Schuss sitzen, denn einen zweiten gibt es oft nicht mehr. Ebenso wie attraktive Web-Seiten-Angebote oder Apps teils lawinenartig über Mund-zu-Mund-Propaganda neue Kunden und Nutzer gewinnen, gilt oft auch der umgekehrte Fall: Die App, die nicht funktioniert, oder der nicht geplante oder schlecht platzierte Quick Win wird schnell zum ersten Sargnagel.

Problemfeld 7

Das Weiterbeschreiten des Veränderungspfades stockt, weil der Mut fehlt, die alten Zöpfe komplett abzuschneiden. Und

Problemfeld 8

Die Veränderungen werden nicht in der Unternehmenskultur verankert.

Diese beiden Problemfelder hängen eng zusammen. Selbst wenn der digitale Wandel erfolgreich auf den Weg gebracht wurde und sich erste Erfolge zeigen, besteht die große Gefahr, Angst vor der eigenen Courage zu bekommen. Man bleibt auf halbem Wege stehen oder fällt sogar wieder in die alte Welt zurück. Um erneut ein Beispiel aus der aktuell so unter Druck stehenden Handelsbranche zu bemühen: Das Warenhaus Karstadt steht, wenn man Presseberichten glauben darf, erneut vor einem weiteren Kahlschlag mit der Schließung weiterer Häuser. Als Grund für die Misere wird neben Management-Fehlern die zerstörerische Wirkung des Internets für den Handel bemüht. Dabei hätte Karstadt-Quelle alle Chancen gehabt, hier eine führende Rolle zu spielen. So berichtete die Computerwoche in einem Artikel vom 31.8.2001, dass der Konzern seinen E-Commerce-Umsatz im ersten Halbjahr um 125 Prozent auf 356 Millionen Euro steigern konnte. Als Ziel für das Gesamtjahr wurden mehr als 700 Millionen Euro avisiert. Wer glaubt, dass dies dazu geführt hat, den digitalen Hebel ganz auf Vollgas zu stellen und den stationären Handel systematisch zu reduzieren, irrt. Trotz dieser - selbst im heutigen Vergleich mit Zalando - attraktiven Umsatzgröße kam das damalige Karstadt-Quelle-Management zu folgendem Schluss: "Für das Warenhaus ist das Internet ein Marketing-Instrument und kein Umsatzbringer" und setzte entsprechend "wenig Hoffnung ins Web". Es gelang mithin nicht, den digitalen Handel tiefer in der Kultur und dem Selbstverständnis des Hauses zu verankern.

Bemerkenswert ist in der Aussage, dass das Warenhaus als Fixpunkt gesehen wird, um den sich alles dreht beziehungsweise drehen muss. Man mag es nur für eine semantische Feinheit halten, ob sich ein Unternehmen als Warenhauskonzern oder als Handelsunternehmen bezeichnet, das Signal für das Selbstverständnis aus unternehmenskultureller Sicht kann jedoch ein diametral unterschiedliches sein: Die einen definieren die Firma über die "Brick and Mortar", die anderen über den Kundennutzen des Bereitstellens von Gütern - ob nun analog oder digital.

Abschließend kann sicherlich kritisch angemerkt werden, dass natürlich jede Form von Veränderung, so auch der digitale Wandel, mit Unsicherheit behaftet ist und man sich fragen muss, ob man solche Risiken überhaupt eingehen muss - es könnte ja auch anders kommen. Hier lässt sich erneut auf ein Zitat von Carl von Clausewitz verweisen: "Sooft Kühnheit auf die Zaghaftigkeit trifft, hat sie notwendig die Wahrscheinlichkeit des Erfolges für sich, weil Zaghaftigkeit schon ein verlorenes Gleichgewicht ist."

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