Seit 20 Jahren geistert der Begriff des Enterprise Architecture Managements (EAM) durch die Fachabteilungen von Konzernen und sorgt mit seinen strikten Governance-Vorgaben für Angst und Schrecken beim Business. Soweit das Vorurteil. An dieser Wahrnehmung sind allerdings gleich mehrere Aspekte falsch:
Erstens betrifft Enterprise Architecture Management keinesfalls nur große Unternehmen.
Zweitens steht gelungenes Architekturmanagement heute nicht mehr für harsche Vorschriften, Blockade und Kontrolle.
Auch wenn es bei der Digitalisierung vorrangig um neue Geschäftsmodelle und eine radikale Kundenzentriertheit geht, bildet die IT die Grundlage der Transformation. Um den gestiegenen Anforderungen nach Flexibilität, Agilität und Schnelligkeit gerecht werden zu können, muss sich die IT wandeln: Unternehmen müssen wissen, wie Applikationen und Technologien mit Prozessen, Geschäftsmodellen und Organisationen zusammenhängen und abhängig voneinander entwickelt werden sollten.
Unternehmen, die hier nicht über die notwendige Transparenz verfügen und den passenden Überblick haben, werden nicht - oder nur sehr langsam - digitalisieren können. Diese Thematik betrifft jedes Unternehmen. Ganz egal, wie groß oder klein es sein mag. Deshalb sollten kleine und mittlere Unternehmen (KMU) Architekturmanagement einführen, um die Digitalisierung meistern zu können.
Es gibt gute Nachrichten: Unternehmensarchitektur muss nicht wehtun, vorausgesetzt Sie wenden passende auf den Mittelstand zugeschnittene Vorgehensweisen und Werkzeuge an. Zugegeben, die Auswahl an Methoden für kleinere Unternehmen ist recht rar gesät, da sich fast alle EAM-Akteure am Markt auf Konzerne stürzen.
Nachfolgend geben wir Ihnen acht Tipps an die Hand, mit denen Sie für die Einführung von EAM gewappnet sind.
1. Verstehen, was Unternehmensarchitektur leistet und warum sie so wichtig ist
EAM sorgt dafür, dass Sie wissen, wie Ihre Applikationen, Technologien mit Ihren Geschäftsmodellen, Prozessen und der gesamten Organisation zusammenhängen. EAM bricht Silos auf und versetzt Sie in die Lage, die genannten Bereiche abhängig voneinander vorantreiben zu können. Ohne EAM geht es zwar prinzipiell auch, doch um ein Vielfaches langsamer.
2. Hören Sie auf mit Excel-Tapeten und Visio-Bildern, nutzten Sie schlanke EAM-Tools
Hand aufs Herz: Wie oft haben Sie schon versucht, Ihre IT-Landschaft in Excel-Listen zu erfassen und hübsche Bilder zu malen? Bitte verstehen Sie das nicht falsch. Listen und Bilder sind wichtig! Es geht nicht darum, Excel per se zu verteufeln. Excel ist, wenn es für seinen eigentlichen Zweck verwendet wird, ein tolles Werkzeug. Das sind eine Büroklammer und ein Kaugummi auch. Doch nur TV-Serienstar MacGyver schafft es damit, wirklich effektiv zu arbeiten und auch nur, weil ihm in der Not nichts Anderes zur Verfügung steht.
Es gibt mittlerweile schlanke EAM-Tools am Markt, mit denen der Einstieg binnen weniger Stunden ohne große Schulungen gelingt. Mithilfe von EAM-Tools werden Daten zentral erfasst. Sie haben dann die Möglichkeit, unterschiedlichste Visualisierungen auf Knopfdruck erstellen zu lassen und dabei die Perspektive ähnlich wie bei einem Rubik-Zauberwürfel binnen weniger Sekunden immer wieder zu ändern, ohne jedes Mal händisch zeichnen zu müssen.
Der Unterschied ist so gewaltig, als würden Sie aufhören mit einer Zahnbürste den Fußboden eines Flughafens putzen zu wollen und stattdessen einsehen, dass es mit einer motorisierten Kehrmaschine viel schneller geht.
3. Setzen Sie ruhig mal auf Studierende - wie KTR Systems
Dass EAM auch bei KMU funktioniert und Studierende dabei sehr hilfreich sein können, zeigt das Beispiel des mittelständischen Maschinenbauers KTR Systems GmbH auf. Das Unternehmen aus dem westfälischen Rheine stellt Antriebskomponenten, Bremssysteme sowie Hydraulik-Komponenten und Kühlsystemen für den Maschinen- und Anlagenbau her.
Das EAM-Thema kam ins Rollen, als KTR Systems seinen neuen IT-Leiter Olaf Korbanek eingestellt hatte und dieser eine völlig unklare Systemlandschaft vorfand. Mittels einer Bachelor-Arbeit wurde der erste Bebauungsplan erstellt und in einem Freeware-Tool dokumentiert. Die Akzeptanz im Team ist gewachsen, doch das Tool war von der Bedienung her so antiquiert, dass der Bebauungsplan wieder erodierte und der gute Dokumentationsstand in Gefahr geriet.
"Der erste Wurf einer Einführung eines kostenlosen Tools ist gescheitert. Insofern war es mir absolut wichtig, dass das Team bei der Toolauswahl hundertprozentig involviert war. Mit den späteren Verantwortlichen des EAM-Systems haben wir daher eine Masterarbeit betreut, die die Auswahl des späteren Systems beinhaltete und die Kollegen hatten weitreichend freie Hand bei der finalen Entscheidung", so Olaf Korbanek.
Ein Praktikum und eine anschließende Masterarbeit wurden genutzt, um nach einem passenderen EAM-Tool zu suchen, die Akzeptanz weiter zu erhöhen und das Architekturmanagement in die alltäglichen Abläufe der IT zu integrieren. Die Wahl fiel am Ende auf iteraplan, das nun ein integraler Bestandteil der IT ist. Gerade bei der Einführung eines EAM-Tools gibt es viel Fleißarbeit. Studierende können hier eine große Unterstützung darstellen.
4. Erfassen Sie keine Datenleichen, sondern nur das, was wirklich Nutzen stiftet
Viele Unternehmen machen den Fehler, dass sie zu viele Daten erfassen und mit der Pflege nicht hinterherkommen. Dabei ist oft ein Großteil der Daten nicht relevant. Häufig ergeht es gerade Firmen so, die neu im Besitz eines EAM-Tools sind. Gehen Sie also stattdessen nach dem Taschenlampenmodell vor: Leuchten Sie den Weg nur dort aus, wo Sie auch langgehen. Sehen Sie also davon ab, den ganzen Raum ausleuchten zu wollen. Wenn Sie Unternehmensarchitektur als Disziplin einführen, ist es empfehlenswert, eine ganz konkrete Fragestellung herauszupicken.
Genauso hat es der Maschinenbauer KTR Systems gemacht und sich die Ablösung eines Systems, das viele Abhängigkeiten hatte, herausgepickt. Durch den Einsatz von EAM konnten sie den Ablöseaufwand um mindestens 50 Prozent reduzieren und das Risiko blieb im Verlauf immer beherrschbar. Gleichzeitig konnten durch die rasche Ablösung unangemessene Lizenzkosten vollständig vermieden werden.
Frage-Checkliste
Stellen Sie sich vor dem Erfassen der jeweiligen Daten folgende Fragen:
Habe ich einen Abnehmer für die Daten beziehungsweise ist überhaupt jemand interessiert?
Liegen die Daten maschinenlesbar vor (zum Beispiel in Form einer Excel-Tabelle oder in einem Drittsystem wie beispielweise einer Configuration Management Database (CMBD)). Falls ja, bietet sich ein Excel-Import an. Sollten Daten öfter benötigt werden, ist eine dedizierte Schnittstelle wichtig.
Wenn die Daten nicht maschinenlesbar vorliegen, ist der Aufwand der manuellen Beschaffung (zum Beispiel Infos im Kopf von Frau Müller) gerechtfertigt beziehungsweise die Daten dem Nutznießer so wichtig, dass dieser Aufwand sich lohnt? Wenn nicht, dann lassen Sie die Informationen bei Frau Müller. Mut zur Lücke heißt die Devis.
5. Brechen Sie Unternehmenssilos auf und setzen Sie sich an einen Tisch
Die Kunst bei der in Punkt 4 erwähnten Taschenlampenvorgehensweise ist es, grob zu erahnen, in welche Richtung man denn in Zukunft laufen möchte. Um dies beantworten zu können, müssen sich die IT-Abteilung und das Business an einen Tisch setzen und gemeinsam über die Zukunft sprechen. Schon allein das scheint in vielen Unternehmen eine unüberwindbare Hürde zu sein.
Unternehmensarchitektur fördert solche interdisziplinären Dialoge, der Impuls muss jedoch aus dem Unternehmen selbst kommen. "Es ist meine Grundüberzeugung, dass ein Tool kein grundsätzliches Problem löst", so Olaf Korbanek von KTR Systems. "Wir haben die EAM-Einführung daher in einen laufenden Kulturwandel eingebunden. Wir haben ein Ticketsystem eingeführt, das Changemanagement etabliert und haben uns darauf geeignet, alle Änderungen an Systemen im EAM in dieses Change-Request-Verfahren einzubinden. Dadurch ist die Lösung aktuell, wird von den Mitarbeitern getragen und entpuppt sich nicht als Strohfeuer".
Ein EAM-Tool hilft dabei als Dolmetscher und Brücke zwischen den beiden Welten tätig. Beispiel: Wenn das Business die Anforderung hat, Peaks zum Weihnachtsgeschäft bei einem Webshop abzufedern, dann kann die IT das für sich in "Wir brauchen mehr Load-Balancer und Server-Cluster" übersetzen.
6. Machen Sie sich vor dem Erfassen der Daten Gedanken über deren Zukunft
Ihr EAM-Tool sollte nicht als Lagerhalle für Messis enden. Daher empfiehlt es sich, vorab zu überlegen, ob Daten einmalig erfasst oder langfristig aktuell gehalten werden sollen. Es gibt zentrale Pflegekonzepte, bei denen nur ein bis zwei Leute die Daten pflegen und dezentrale Vorgehensweisen, bei denen jeder Verantwortliche sein kleines Puzzleteil im Unternehmen aktuell hält. Welche Variante für Sie sinnvoller ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. Wichtig ist, dass Sie die Aktualität und das Ausmisten nicht dem Zufall überlassen.
7. Einfach starten und nur bei Bedarf später die Komplexität erhöhen
Viele EAM-Anfänger tun sich schwer damit, die Daten im richtigen Detaillierungsgrad zu erfassen und sind tendenziell zu granular unterwegs. Das Bild 10-Berge zeigt anschaulich, dass es bei EAM nur darum geht, die Zusammenhänge verschiedener Bereiche zu erfassen. Aus EAM-Sicht kann es zum Beispiel hilfreich sein, zu verstehen, dass es einen Stornoprozess in der Abteilung X gibt und an diesem Prozess System Y und Z beteiligt sind.
Ich muss aber nicht wissen, wo genau Frau Müller das Häkchen im System Y setzt und wer ihre Urlaubsvertretung ist. In der Realität wird es viele Grauzonen geben, wo die Sachlage initial nicht ganz absehbar ist. Hier lautet die Devise: Am Anfang lieber weniger detailliert erfassen. Später kompliziert zu werden ist einfacher, als hinterher zu vereinfachen.
8. Nutzen Sie Sensibilisierungsworkshops
Es gibt EAM-Akteure am Markt, die auch für kleinere Unternehmen ein- bis zweitägige Workshops anbieten, um vor den größten Stolpersteinen zu warnen. Auch wenn die Zeit gerade in kleineren Unternehmen bei der hohen Aufgabendichte knapp ist, lohnt es sich bei dem Thema initial ein paar Tage mehr zu investieren. Sie sparen sich im Nachhinein ein Vielfaches an Zeit und Kosten.
Checkliste für das richtige, leichtwichtige EAM-Tool im Mittelstand
Mitgeliefertes Metamodell (siehe Grafik unten "Metamodell")
Einfache und intuitive Bedienbarkeit (auch ein Gelegenheitsnutzer sollte ohne Schulung zurechtkommen)
Falls Ihr Unternehmen bereits mit Cloud-Technologien arbeitet, ist ein Tool als Software-as-a-Service (SaaS) ohne aufwändige Installation zu favorisieren. Andernfalls sollten Sie sich für einen Anbieter am Markt entscheiden, der sowohl Cloud- als auch On-premise-Ansätze unterstützt, sodass Sie später flexibel wechseln können
Out-of-the-Box-Visualisierungen
Leicht selbst anpassbare Oberfläche, sodass beispielsweise die eigene Firmenfarbe und das Logo eingefügt werden können (wichtiger Aspekt für die Akzeptanz im Unternehmen)
Verschiedene Export- und Importmöglichkeit (Excel und Standard-Schnittstellen)
Die Möglichkeit zu automatisieren, um das Tool mit minimalen Personalaufwand betreiben zu können
KTR Systems GmbH | Einführung EAM-Tool
Branche | Maschinen- und Anlagenbau |
Zeitrahmen | drei Monate |
Mitarbeiter | vier Mitarbeiter |
Aufwand | zwei Personenmonate |
Produkte | iteraplan |
Dienstleister | iteratec GmbH |
Einsatzort | weltweit |
Internet |