Künstliche Intelligenz (KI) kann in den kommenden Jahren in Deutschland beträchtliche Wirkungen entfalten. Davon überzeugt ist in jedem Fall McKinsey. Die Berater arbeiten in einer Studie mit dem Titel "Smartening up with Artificial Intelligence (AI) - What's in it for Germany and its Industrial Sector?" heraus, dass KI bis 2030 zum Wachstumsmotor für die deutsche Industrie werden kann.
Demnach könnte das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands durch den frühen und konsequenten Einsatz von intelligenten Robotern und selbstlernenden Computern um bis zu 4 Prozent oder umgerechnet 160 Milliarden Euro gesteigert werden. Dies entspricht laut McKinsey einem zusätzlichen jährlichen Wachstum von 0,25 Prozentpunkten oder 10 Milliarden Euro.
Höhere Ausbeute bei Halbleiterherstellern
"Nicht nur volkswirtschaftlich, auch aus Sicht der Unternehmen verspricht KI Vorteile", sagt Harald Bauer, Senior Partner im Frankfurter Büro von McKinsey. "Sie gibt Mitarbeitern die Möglichkeit, sich ständig wiederholende oder gefährliche Arbeiten an Computer und Roboter abzugeben und sich auf wertschöpfende und interessante Aufgaben zu konzentrieren."
Anwendungsfälle aus 5 Branchen
Anschaulich machen die Berater die Potenziale, indem für ausgewählte Branchen Use Cases aufgezeigt werden. Konkret nimmt die Studie fünf Branchen in den Blick: Luftfahrt, Fahrzeughersteller, Automobilzulieferer, Maschinenbauer und Halbleiterhersteller. Den Einfluss, den insgesamt acht KI-Anwendungsfälle aus drei Kategorien auf diese Branchen haben, zeigt eine Übersichtsgrafik (siehe oben).
Für Luftfahrt, Automobilhersteller und ihre Zulieferer beispielsweise wird laut Studie vor allem das autonome Fahren prägend sein. Großen Einfluss auf die Hersteller von Halbleitern hingegen haben KI-Anwendungen, die bei der Fertigung die Ausbeute erhöhen.
In der Studie wird für jeden der acht Use Cases dessen spezifisches Potenzial herausgearbeitet - geordnet wie angemerkt nach drei Kategorien. Die Kernaussagen sehen im Überblick so aus:
A. Produkte und Dienstleistungen
Künstliche Intelligenz ist eine der wesentlichen Voraussetzungen für selbstfahrende Autos. 2030 könnten bis zu 15 Prozent der neu zugelassenen Fahrzeuge autonom fahren, meinen die Berater.
1. Autonomes Fahren: Angesichts von zu erwartenden Wachstumsraten von bis zu 40 Prozent können es sich Automobilhersteller und ihre Zulieferer nach McKinsey-Einschätzung überhaupt nicht leisten, dem Thema abhold zu bleiben. Angesichts der höheren Leistungsfähigkeit der computerisierten Fahrzeuge gegenüber traditionellen Autos kann es aber in Richtung 2040 eine Stagnation der Verkaufszahlen geben. Wachstumschancen liegen laut Studie neben dem autonomen Fahren auch in ergänzenden Services, die das Mobilitätserlebnis verbessern.
B. Fertigungsbetrieb
Eine um 20 Prozent verbesserte Anlagennutzung ist laut McKinsey möglich, wenn durch KI beispielsweise Wartungsarbeiten vorausschauend durchgeführt werden. In gleichem Umfang ist eine höhere Produktivität bei einzelnen Arbeitsschritten durch die gezielte Zusammenarbeit von Robotern und Mitarbeitern machbar.
2. Vorausschauende Wartung: Substanzielles Verbesserungspotenzial ergibt sich nach Ansicht der Berater aus einer besseren Störungsprognose. Je nach Ausgangslage kann KI die Verfügbarkeit um mehr als eine Fünftel erhöhen. Inspektionskosten können bis zu einem Viertel sinken, die jährlichen Gesamtwartungskosten bis zu einem Zehntel.
3. Mitarbeitende und kontext-bewusste Roboter: Die Vision lautet bekanntlich, dass Menschen und Roboter Seite an Seite zusammenarbeiten. McKinsey sieht im deutschen Fertigungssektor ein Automatisierungspotenzial von 55 Prozent, was Kapazitäten für zusätzlichen Wert schaffende Aktivitäten freischaufle.
Alleine in Bereich der Logistikprozesse seien beispielsweise Produktivitätsgewinne von 5 bis 10 Prozent und eine Senkung der Reisezeiten um 15 bis 20 Prozent möglich. Kollaborative Roboter seien vor allem für Aufgaben relevant, die nicht in Gänze automatisierbar sind. Produktivitätssteigerungen könnten sich auf ein Fünftel belaufen.
4. Maximierung der Fertigungsausbeute: Durch KI-basierte Testalgorithmen können Beeinträchtigungen in der Fertigung um bis zu 30 Prozent gesenkt werden. McKinsey nennt dafür vier Ursachen: Erstens lässt sich die Ausschussrate signifikant reduzieren; zweitens wird weniger an Gerätschaften und Wartungsarbeit benötigt, was die Effektivität erhöht; drittens werden Testprozeduren billiger; viertens lässt sich der Arbeitsfluss stabilisieren.
5. Automatisierte Qualitätstests:Hier sieht McKinsey Potenzial für Produktivitätssteigerungen um bis zu 50 Prozent. Durch auf Deep Learning basierende Systeme sind etwa Verbesserungen um 90 Prozent bei der Fehlerentdeckung möglich - im Vergleich zu menschlichen Inspektionen.
C. Geschäftsprozesse
Eine Optimierung der Lieferkette - beispielsweise durch exaktere Abverkaufsprognosen - könne zu einer Reduktion der Lagerhaltungskosten um die Hälfte führen, so McKinsey. In der Forschung und Entwicklung seien Kostenreduktionen und kürzere Markteinführungszeiten möglich. In indirekten Geschäftsbereichen wie der IT könne KI 30 Prozent der Tätigkeiten übernehmen.
6. Verbessertes Lieferkettenmanagement:KI könnte Prognosefehler um 30 bis 50 Prozent reduzieren. Die Berater gehen allerdings davon aus, dass im Supply Chain Management (SCM) noch mehr Potenzial schlummert. Das beinhaltet immens gesunkene Verkaufsausfälle wegen nicht vorrätiger Produkte, geringere Lagerbestände und niedrigere Transportkosten.
7. Hochleistungsprojekte in Forschung und Entwicklung: Auch hier sind Produktivitätssteigerungen drin - je nach Branche bis hin zu 15 Prozent. Beschleunigen lässt sich auch die Time-to-market.
8. Automatisierung von Supportfunktionen: Ein Beispiel hierfür sind IT Service Desks, deren Automatisierungsgrad laut Studie auf 90 Prozent zu steigern sein könnte. Generell gibt es hier eine Fülle an Anwendungsmöglichkeiten, deren Vorteile in größerer Genauigkeit, mehr Skalierbarkeit und Geschwindigkeit sowie besserer Erfolgskontrolle liegen.
5 Tipps für Anwender
Für die Anwender haben die Berater fünf Empfehlungen zur Hand:
Unternehmen sollten die Chancen der KI verstehen, für sich selber Pilotprojekte festlegen und dabei die Wirtschaftlichkeit nicht aus den Augen verlieren.
Ferner sollten intern KI-Kompetenzen aufgebaut werden. Ratsam ist dabei auch die Zusammenarbeit mit spezialisierten Drittanbietern.
Es empfiehlt sich, granulare Daten zu speichern. Und zwar, wo immer es geht - denn sie sind der Treibstoff für KI- Anwendungen.
Bestehendes detailliertes Wissen über die eigenen Produkte und Fertigungsverfahren sollte mit neuen KI-Anwendungen kombiniert werden.
Schließlich gilt es, kleine Tests schnell auf den Weg zu bringen. Dafür sind laut Studie keine riesigen Investitionen notwendig. Agilität sei aber eine Erfolgsvoraussetzung.