Der Baseler Chemiekonzern Hoffmann-La Roche macht vor, wovon andere Unternehmen träumen: Mit Hilfe einer durchgängigen SAP-Landschaft und konsolidierten Tools mit entsprechender Integration brütet der Vorstand des Baseler Chemiekonzerns bereits am achten Tag nach Ende des Geschäftsjahres über den neuen Zahlen. Das ist zwar kein Fast Close per Knopfdruck, aber immerhin ein verdammt schneller Geschäftsabschluss.
Noch wartet die Fachwelt darauf, dass der gesamte Prozess nirgendwo mehr hakt. Bisher vergeblich. Selbst einer der Vorreiter unter den DAX-Unternehmen, der Münchener Mischkonzern Siemens, benötigt 15 Tage für den Weltabschluss. Der Bonner Telekommunikationskonzern Deutsche Telekom liefert seinen Konzernabschluss inzwischen am 18. Arbeitstag ab – und veröffentlicht das gesamte Zahlenwerk für den Jahresabschluss nach 43 Tagen, doppelt so schnell wie noch vor vier Jahren. Und besser als das durchschnittliche DAX-Unternehmen, das das Thema „schneller Jahresabschluss“ offensichtlich schleifen lässt.
Anders die Deutsche Telekom. Hier ist Geschwindigkeit seit einigen Jahren Chefsache. Innerhalb der letzten vier Jahre ist die Zeit bis zur Veröffentlichung der Jahresabschlüsse auf der Bilanzpressekonferenz kräftig zusammengeschrumpft: „Wir haben uns in den letzten Jahren von 78 Tagen auf nun 43 verbessert“, bemerkt Olaf Danne, der Fast-Close-Projektleiter der Deutschen Telekom. Eines der DAX-Schwergewichte, Siemens, ist inzwischen bei 27 Tagen angelangt.
„Die Zeitleiste für die unterjährige Berichterstattung großer Konzerne reicht bei sehr schnellen Unternehmen bis zum zehnten Kalendertag“, bestätigt der Leiter der CFO-Services beim Beratungshaus Deloitte Consulting, Christoph Greving: „Für den Jahresabschluss dauert der Prozess erfahrungsgemäß noch ein paar Tage länger.“ In Deutschland gelten Börsenvorschriften, die die Abgabe der Geschäftszahlen bis zum 90. Tag vorschreiben. Entsprechend lassen sich die meisten DAX-Unternehmen die Geschäftszahlen von den Wirtschaftsprüfern zwischen dem 60. und 90. Tag testieren.
Hauptmotivation sollte nach Ansicht von Greving allerdings das schnelle Reporting im Management sein: „Es kann wettbewerbsentscheidend sein, Zahlen früh auf dem Tisch zu haben.“ sagt Greving: „Mir ist das Scheitern einer Akquisition bekannt,weil jene Kennzahlen ein paar Tage zu spät kamen, die für die Kaufentscheidung unbedingt nötig waren“. Daraus folgt nach Grevings Erfahrung ein Vorsprung vor dem Wettbewerb. Und nicht nur das: „Die Schnellsten haben die niedrigsten Kosten und die beste Qualität“, ist Greving überzeugt.
Zeitnah valide Zahlen liefern
Telekom-Mann Danne sieht das ähnlich: „Eine gezielte Reaktion auf aktuelle Marktsituationen erfordert schnelle und valide Unternehmensinformationen“, formuliert er das Ziel der Telekom. Der im Corporate Information Office von Siemens für die „Bereitstellung der Konzernapplikationen des Abschlusses“ zuständige IT-Manager Karl Finkenzeller muss so zeitnah wie möglich Informationen darüber weitergeben können, wie die Geschäfte gerade stehen. Da reicht es nicht, monatlich nur einzelne Eckdaten wie etwa den Umsatz für den Konzern herauszugeben. „Wir haben ‚Full Financial Statements‘ mit monatlichen Zahlen für die Segmente wie Automation and Control oder Power, aber auch detaillierte Zahlen über die drei darunter liegenden Ebenen – wie die Geschäftsgebiete, -zweige und -segmente.“
Carsten Wember von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG registriert derzeit unter DAX-Unternehmen einen Relaunch des Themas Fast Close: „Viele versuchen, nochmal Zeit zu gewinnen, nachdem vor einigen Jahren bereits Fast-Close-Projekte gemacht wurden“, sagt der Berater aus dem Bereich Advisory. „Zudem ist die Qualität der Daten jetzt ein Riesenthema.“
Schnell macht die Unternehmen der gesunde Mix aus standardisierten Finanzsystemen und der alltäglichen Suche nach Verbesserungen. Immerhin 29 Prozent der „Gemeinkosten im Finanzbereich“ resultieren einer Studie des Beratungshauses Bearingpoint zufolge aus „nicht-wertschöpfenden Prozessen“ – wie etwa manueller Datenübertragung, Warten auf fehlende Unterlagen und Pflege von Excel-Sheets.
Nach Ansicht von Finkenzeller liegt die Vorreiterrolle von Siemens vor allem daran, dass „CF“ – also der Bereich Corporate Finance – schon früh erkannt habe, dass die besondere Herausforderung bei den Gesellschaften liegt. „Hier entstehen die Daten, und die müssen in die Schnittstelle reinpassen“, so Finkenzeller. Durch eine „Shared Service Initiative“ hat Siemens übergreifend über die Gesellschaften standardisierte SAP-Anwendungen eingesetzt. Im Rahmen des Projektes „Spiridon“ schaffte Siemens eine weitgehend einheitliche Finanzwelt. Die Basis bildet SAP R/3, das Accounting und Controlling wickelt Siemens über das entsprechende Modul Fi-Co ab. Eine besondere Rolle spielen allerdings das SAP-Tool SEM (Strategic Enterprise Management) und die dazugehörige Suite BSC 4.0 zur Geschäftskonsolidierung (Business Consolidation Suite).
„Wir setzen die Suite seit Oktober 2004 ein. Jetzt buchen wir bereits die originären Transaktionen ausnahmslos auf Segmentebene und haben damit einen wesentlichen Schritt bei der Integration von Abschluss und Management-Reporting vollzogen“, erläutert Siemens-Manager Finkenzeller. Im Konsolidierungssystem lassen sich die Daten der Gesellschaften gut und schnell zu konsolidierten Abschlüssen der Segmente und des weltweiten Konzerns weiterverarbeiten.
Harmonisiert beschleunigen
Bei der Deutschen Telekom verliefen die Neuorganisation der IT und das Projekt Fast Close parallel. „Im Projekt IBIS, dem Integrierten Berichts- und Steuerungssystem, haben wir die Systeme harmonisiert – und dabei gleichzeitig auf die Beschleunigung geachtet“, erläutert Fast-Close-Projektleiter Danne. „Mit der neuen Systemlandschaft IKOS, dem Internen Konsolidierungs-System, können wir über eine Datenerfassung hinweg für alle Gesellschaften Ist-, Plan- sowie Segmentabschlüsse konsolidieren – mit Hilfe des Konsoldierungsmoduls SAP EC CS.“
Zunächst jedoch sezierte Telekom-Manager Danne die Prozesse.Mit anfangs 25 Mitarbeitern analysierte Danne jeden einzelnen Arbeitsschritt. Heute hängt im dritten Stock des Projekt-Office im Zentralbereich Corporate Control in Bonn der ein Meter fünfzig mal drei Meter große Plan mit unzähligen kleinen Kästchen, die durch feine Linien miteinander verbunden sind – die Prozesslandschaft, von der ersten Transaktion bis hin zum fertigen Jahresabschluss. „Aus der Automatisierung der nur noch wenigen verbleibenden manuellen Arbeitsschritte einer Abschlussperiode holen wir noch einige Zeit heraus“, so Dannes Erfahrung mit der „Handarbeit“ im Fast-Close-Geschäft.
Ein wichtiges Instrument für Danne zur Prozessoptimierung ist ein Content-Management-System, das die IT-Tochter der Telekom, T-Systems, auf der Basis einer Software des niederländischen CMS-Spezialisten Tridion gebaut hat und Prosa nennt. Konzernberichte nach HGB sowie US-GAAP oder Quartalsberichte unterstützt der Bonner TK-Konzern nun elektronisch. Prosa regelt, wer an welchen Prozessen beteiligt ist, macht nachvollziehbar, was wann von wem an Berichten und Reportings geändert wurde, und schafft durch ein Ampelsystem eine Übersicht, wo ein Bericht dem ursprünglichem Zeitplan hinterherhinkt. „Zudem kann Prosa mit dem Business Warehouse von SAP verknüpft werden“, erläutert Danne, wodurch die Zahlen automatisch abgeglichen werden können, sofern sich nachträglich noch etwas ändert.
15 Arbeitstage hat die Telekom durch Prosa seit dem Start in 2003 für die Veröffentlichung des Geschäftsberichts und der parallelen Publikation des Jahresberichts an die US-Börsenaufsicht (20-F) an Zeit gespart. „Vom Zeitpunkt des endgültigen Zahlenwerks bis zur Veröffentlichung vergehen jetzt nur noch maximal 30 Tage“, berichtet Danne.
Doch der Fast-Close-Mann hat noch weitere Ideen. Mit Hilfe eines Tools für die Prozesse setzt er eine Art stundenaktuellen Produktionsplan auf: So sind beispielsweise an einem Arbeitstag die Abschreibeverläufe des Anlagevermögens (AfA-Prozess) in einer Nacht abzuarbeiten. Dann schaltet das Projektteam alle an diesem Prozess beteiligten Telekom-Mitarbeiter in einer Telefonkonferenz zusammen und überwacht gemeinsam, ob die definierte Qualität und die vereinbarten Zeiträume exakt eingehalten werden. Treten Probleme im Abschlussprozess auf, stellt Danne „Trouble-Shooter“ auf, um sie kurzfristig zu beheben. „Dieses Vorgehen hat die Qualität maßgeblich verbessert, sodass zwischenzeitlich wesentliche der oben beschriebenen Funktionen aus dem Fast-Close Projekt in die Regelorganisation überführt wurden“, erläutert Danne – also in den Alltag.
Acht Millionen Buchungen
Auch Siemens findet weitere Ansätze, mit denen der Konzern die Zeit zu Monats-, Quartals- und Jahresabschlüssen weiter drückt: das so genannte Intercompany Clearing. Brauchte der Konzern bisher für die Abstimmung und Konsoldierung zwischen den Einzelgesellschaften mehrere Tage, hat Siemens-Mann Finkenzeller seit 2001 eine Lösung ohne jeglichen Zeitverlust parat – seit kurzem sogar mit einer „Querplausibilitätsprüfung“, um sämtliche Kontenstände der Verrechnungen prüfen zu können. „Das Intercompany Clearing umfasst alle Lieferungen und Leistungen innerhalb der Siemens- Gesellschaften“, sagt Finkenzeller, der von acht bis neun Millionen Rechnungen mit einem Gesamtvolumen von 30 bis 40 Milliarden Euro ausgeht. „Früher wurde eine Rechnung gestellt und natürlich die Forderung sofort gebucht, während auf der Empfängerseite aus unterschiedlichsten Gründen zum Abschlusszeitpunkt die Einstellung der Verbindlichkeiten noch ausstand“, erläutert IT-Manager Finkenzeller. Dadurch entstanden schnell Differenzen von mehreren Millionen Euro.
Die Idee ist einfach und die dafür nötige Technik altbekannt. Die Rechnungs- und Zahlungstransaktionen laufen konzernintern ausnahmslos auf elektronischem Wege per EDI (Electronic Data Interface). „Die zugehörigen Zahlungen werden in Form von Lastschriften unmittelbar auf gleichem Wege hinterhergeschickt“, erläutert der IT-Manager. Die Ab- und Verbuchung in den Gesellschaften und auf den zentralen Konzernverrechnungskonten der „Inhouse-Bank“ laufen also nun automatisch gleichzeitig. „Ohne elektronische Rechnung gibt es keine elektronische Lastschrift; ohne Lastschrift kein Geld“, erläutert Finkenzeller den EDI-Service, den derzeit die Siemens-IT-Tochter SBS betreut. Zwei Tage hat Finkenzeller so gewonnen – und zudem Abstimmungsdifferenzen verhindert.
Die Beschleunigung ist jedoch nie beendet. Immer wieder gibt es Reorganisationen, die den Ablauf bremsen und neue Prozesse, Schnittstellen sowie Integrationen erfordern. Bei der Akquise der Siemens AG von VA Tech etwa wurde eine Task Force gebildet, die zunächst eine Brücke zum VA-Tech-System von Hyperion geschlagen hat. Vorsysteme mussten parallel dazu umgebaut werden. „Inzwischen bauen wir die Brücke wieder ab“, so Finkenzeller, dem sicher bald wieder was Neues einfällt, wie er mit seinen IT-Werkzeugen den einen oder anderen Tag gutmachen kann. Und eines Tages müssen Siemens-Vorstände nicht länger Däumchen drehen , wenn einige Baseler Manager längst neue Pläne schmieden.
Interview mit Thomas Kreuzer, CIO von TUI
Die TUI gibt keine Zahlen darüber heraus, wann der Konzernabschluss fertig ist. Ist der TUI-Jahresabschluss besonders kompliziert?
Nein. Wir haben unsere Zahlen gegen Ende Januar vorliegen. Die TUI besteht aus einer Vielzahl von Einzelunternehmen und wandelt sich momentan – weg vom Industriekonglomerat hin zu einem Logistik- und Touristikkonzern. Und jedes akquirierte Unternehmen bringt seine Buchhaltung mit. Das schafft Inhomogenität.
Wie wollen Sie die Finanzdaten künftig schneller zusammenbekommen?
Wir setzen in Irland, England, Skandinavien und Mitteleuropa bereits Oracle Financials als Standard ein. Um andere Buchhaltungssysteme einbinden zu können, haben wir Trace – die TUI Reporting And Consolidation Engine. Mit diesem Tool konsolidieren wir die Finanzdaten der Einzelgesellschaften. Es basiert auf dem Produkt Magnitude der Firma Cartesis. In dieses standardisierte System können die Gesellschaften ihre Ergebnisse hineinspielen. Manche tippen jedoch ihre Zahlen noch händisch ein. Doch wir streben einen Single-Instance-Ansatz an.
Was verstehen Sie darunter?
Wir werden zusammengehörige Business-Ebenen zusammenziehen und so die Instanzen für Oracle Financials reduzieren. Wir machen zunächst die jeweiligen lokalen HGB-, US-GAAP- und IFRS-Abschlüsse und daraus einen globalen IRS-Abschluss. Das wird den Abschluss erheblich schneller machen.
Was ist besonders wichtig für einen schnellen Abschluss?
Klare Vorgaben für die Gesellschaften, bis wann verlässliche Geschäftsdaten geliefert werden müssen. Zudem setzen wir 2006 ein übergreifendes Konsoldierungsprojekt auf, für den einheitlichen und globalen Einsatz von Oracle Financials und Trace. Und wir werden verbindliche Policies für die Einzelunternehmen entwickeln – in Bezug auf die Qualität der Daten und die Geschwindigkeit.
Wo sehen Sie die wichtigste Hürde?
Bei einem derart heterogenen und dezentralen Unternehmen wie der TUI müssen wir die Geschäftsführer in den Gesellschaften überzeugen. Eins ist klar: Es gibt noch keinen Knopf, auf den ich drücke – und alles ist konsolidiert.