Warranty Analytics, Early Defect Detection

Ad-hoc-Reaktion bei Qualitätsproblemen

13.05.2014 von Oliver Häußler
Durch die frühe Erkennung von Fehlerquellen bei wartungsanfälligen Produkten können Hersteller viele Millionen Euro einsparen. Die Zuverlässigkeit bislang eingesetzter Business-Intelligence-Systeme lässt sich systematisch verbessern. Derzeit testet die Automobilbranche neue Methoden und hegt große Erwartungen an die Qualitätsoptimierung im Reparaturservice.

Der größte Anteil des Gewinns bei Automobilherstellern wird nicht mit dem Verkauf der Produkte, sondern mit deren Service erwirtschaftet. Jede Vermeidung von Kosten - wie Gewährleistungskosten und die frühzeitige Abstellung von Fehlern wirkt sich unmittelbar auf den Profit aus.

Da die Technologie hochentwickelt und das vernetzte Zuliefersystem durch internationale Hersteller von Einzelkomponenten äußerst komplex ist, erhöht sich die Anfälligkeit für Störungen und der Wartungsaufwand wird größer. Den Automobilherstellern ist das durchaus bewusst. Seit Jahren holen sie aus dem Werkstattbereich Rückmeldungen ein, um Informationen einerseits zur Verbesserung der Produkte und andererseits zur Beschleunigung des Services zu gewinnen.

Dennoch kommt es immer wieder zu Problemen. Das bisherige System liefert offensichtlich nicht alle relevanten Informationen.

Die Prozesse werden beschleunigt

Automobilhersteller betreiben große Abteilungen, die sich ausschließlich mit dem Thema Feldbeobachtung und Warranty Analytics befassen. Darunter versteht man die Analyse von Ursachen, die zu Gewährleistungsfällen werden und die Nachverfolgung des Lösungswegs, wie die Probleme in den Werkstätten tatsächlich behoben werden konnten. Die dort beschäftigten Experten sammeln eine große Anzahl an Daten - von der Reklamationserfassung über die Arbeitsprotokolle, hin zu verschickten Ersatzteilen - und versuchen, diese über eine Business-Intelligence-Lösung systematisch auszuwerten, um Probleme zu analysieren und notwendige Maßnahmen daraus abzuleiten.

Mit neuen Methoden wie sie beispielsweise von Hewlett-Packard entwickelt wurden, wird derzeit in Pilotanwendungen erprobt, wie sich die Prozesse beschleunigen lassen und wie man die Fehleranalyse verbessern kann. Dabei wird angestrebt, möglichst alle relevanten Daten systematisch zu erfassen und sie mit bestehenden Daten automatisch zu verknüpfen.

Falsche Ursachenbeschreibungen lassen sich vermeiden

Martin Eichhorn: "Mit dem Wissen, dass Fehler auftauchen, können Werkstätten viel Zeit bei der Reparatur sparen."
Foto: HP

Hintergrund: Bei Kfz-Reparaturen kommt es häufig vor, dass neue Themen während des Arbeitsprozesses entstehen, wenn der Mechaniker beispielsweise erkennt, dass eine andere als die beschriebene Ursache für den Defekt verantwortlich ist. Wird diese Erkenntnis nicht erfasst, so ordnet das BI-System dem Fehler die falsche Ursachenbeschreibung zu, was wiederum zu falschen Schlussfolgerungen in der Auswertung führt.

"Es gibt immer wieder neue Fälle, die während der Reparatur aufkommen", sagt Martin Eichhorn, Client Principal Analytics & Data Management, HP Enterprise Services. Diese beschreiben die Werkstätten dann in Freitextform und senden sie als Feedback in die Zentrale zurück. Gerade diese Informationen in Verbindung mit dem "O-Ton" des Kunden bei der Serviceannahme seien wichtig, um schnell und effektiv neue Themen zu identifizieren und entsprechende Maßnahmen einleiten zu können. Wurde diese Art der Information bislang nicht oder nur rudimentär ins BI-System eingefügt, so erfassen und erkennen neue Warranty-Analytics-Lösungen auch Original-Töne in unterschiedlichen Sprachen, die beispielsweise über Audio- oder Videoformate erfasst werden.

Das funktioniert in der Praxis folgendermaßen: Der Werkstattannahmemeister erfasst die Kundenangabe im Freitext auf einem Formular. Der Mechaniker versucht, den Fehler zu finden. Er diktiert in ein Audioaufnahmegerät, was er konkret gemacht hat, ob die Maßnahme den Fehler behoben hat oder nicht, was er außerdem versucht hat und mit welcher Maßnahme er schließlich die Reparatur erfolgreich abschließen konnte.

Damit fließen wichtige Daten, die bislang nicht erfasst wurden, in die Zentrale zurück. "Vor allem bei zuvor unbekannten Fehlern sind diese Informationen ausschlaggebend", sagt Eichhorn, denn "mit dem Wissen, dass hier ein Fehler auftaucht und wie er sich beheben lässt, können Werkstätten viel Zeit bei der Reparatur sparen". Gegebenenfalls kann diese Information auch der Produktentwicklung behilflich sein, um dem Fehler schon bei der Produktion vorzubeugen.

Fehler, von denen bislang keiner etwas wusste

Arian van Huelsen: "Wir können in Echtzeit eine Häufung von Themen identifizieren und weiterverarbeiten."
Foto: HP

Die Besonderheit der neuen Methode liegt darin, dass sich Freitexte in beliebigen Formaten erfassen und in bestehende BI-Systeme einbinden lassen. Dabei werden unterschiedliche Sprachen und Dialekte verstanden und übersetzt. HP hat ein System entwickelt, das den manuellen Analyseprozess automatisiert. Es kann alle Daten aufnehmen und verstehen und führt automatisch ein Clustering durch, bei dem Schwerpunkte analysiert werden, wobei die semantische und phonetische Suche im Kontext extrahiert wird.

Das bedeutet am Beispiel des im O-Ton des Kunden beschriebenen Klapperns, dass eine Zuordnung der Fehlerbeschreibung zum Reparaturergebnis erfolgt. Das System wird um die neu hinzukommende Information erweitert bzw. trainiert und kann künftige Eingaben mit ähnlicher Beschreibung entsprechend zuordnen. "Damit können wir in Echtzeit eine Häufung von Themen identifizieren und weiterverarbeiten", sagt Arian van Huelsen, Big Data Solution Architect bei HP Enterprise Services. "Häufen sich bestimmte Themen schwerpunktmäßig, kann der Automobilhersteller schnell darauf reagieren".

Eine Besonderheit des Systems liegt darin, dass es sogenannte "Unknown unknowns" erkennt, also Fehler, von denen bislang keiner etwas wusste, die aber auftreten können und sich in "Known knowns", also bekannte Fehler umwandeln oder besser noch: im Vorfeld beheben lassen. Die Lösung ermöglicht sogar eine Vorbeugung von Fehlern, denn durch statistische Algorithmen kann ermittelt werden, dass beispielsweise am Bauteil XY unter 80 Prozent Wahrscheinlichkeit ein Fehler eintreten wird.

Enorme Zeiteinsparung bei Gewährleistungsfällen

Derzeit sind Warranty-Analytics-Lösungen in der Automobilbranche noch in der Pilotphase. Ihre Funktionsfähigkeit wird getestet und das System anhand ausgewählter Produktbereiche systematisch trainiert. Bewährt es sich, wird es bestehende BI-Lösungen um die neuen Methoden zur Erfassung von weiteren Informationen innerhalb der Prozesskette ergänzen. Ziel ist es, sämtliche Informationen logisch miteinander in Verbindung zu bringen, um die richtigen Erkenntnisse zu Fehlerursachen und -voraussagen abzuleiten. Für die Automobilindustrie bietet Warranty Analytics damit eine große Chance, ihren Servicebereich zu verbessern und dank Ad-hoc-Redaktion bei Qualitätsproblemen die Möglichkeit, kostbare Zeit bei Gewährleistungsfällen einzusparen.

Ausblick

Die zugrunde liegende Technologie von HP bietet die Möglichkeit, die Bedeutung unstrukturierter Daten wie Freitext, Audio oder Video zu erkennen, automatisch zu klassifizieren und dadurch auswertbar zu machen. Dadurch entsteht ein enormes Potential für eine Vielzahl weiterer Anwendungsfälle. Die Vorteile ergeben sich besonders dort, wo aufgrund des Volumens der auszuwertenden Daten oder der hohen Varianz, wie zum Beispiel der Mehrsprachigkeit, heute auf eine systematische Beobachtung verzichtet werden muss.

Oliver Häußler, freier Journalist in München