Mehr als viele andere Arbeitnehmer können IT-Spezialisten hierzulande die Qual der Jobwahl genießen, während ihre Arbeitgeber unter dem Fachkräftemangel ächzen. Diese Erkenntnis ist zwar nicht neu, aber eine Studie der Meinungsforscher von Aris unter 1500 Geschäftsführern und Personalchefs im Auftrag des Branchenverbandes Bitkom nährt sie mit frischem Futter. Wenngleich die subjektive Sorge wegen des Fachkräftemangels im Vergleich zum Vorjahr einen Tick weniger ausgeprägt scheint, so hat sich die objektive Lage auf dem Stellenmarkt doch verschärft.
43.000 offene Stellen für IT-Experten gibt es laut Studie zurzeit in der Bundesrepublik. Damit ist erstmals seit Ausbruch der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise wieder das Niveau der Jahre 2007 und 2008 erreicht. 2009 war die Zahl offener Stellen auf 20.000 eingebrochen, seither geht es stetig aufwärts. Im Vergleich zum Vorjahr gab es einen Anstieg um 5000 respektive 13 Prozent. Innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren hat sich die Richtgröße sogar verdoppelt.
25.000 offene Stellen bei Anwenderunternehmen
„Der Bedarf an IT-Fachkräften ist erneut kräftig gestiegen“, kommentiert Bitkom-Präsident Dieter Kempf die Entwicklung. „Die etwas eingetrübten Wachstumsaussichten der Gesamtwirtschaft haben noch keine Auswirkungen auf den IT-Arbeitsmarkt.“
25.000 der offenen Stellen haben aktuell die Anwender zu vergeben. 18.000 der freien Jobs entfallen auf die ITK-Branche selbst. Davon 15.000 freie Jobs haben Anbieter von Software und IT-Services zu vergeben. Den Rest machen fast gänzlich Hardware-Hersteller aus – inklusive digitaler Consumer Electronics. In der Telekommunikationsbranche gibt es demgegenüber nur 600 offene Stellen für IT-Spezialisten.
In der Gesamtwirtschaft suchen 79 Prozent der Firmen nach Anwendungsbetreuern respektive Administratoren. 24 Prozent haben Stellen für IT-Berater zu vergeben, elf Prozent für Software-Entwickler. Differenziert man den Arbeitsmarkt nach Anwendungstyp, haben mit 62 Prozent die betriebswirtschaftlichen Applikationen die Nase vorne. 30 Prozent der Firmen suchen nach Profis mit Spezialgebiet IT-Sicherheit. Erst danach folgt der Bedarf nach Fachkräften mit ganz modernem Profil. Zwölf Prozent suchen Spezialisten für Cloud Computing, sechs Prozent Fachleute für Apps und mobile Anwendungen.
"Tablet-Boom schlägt durch"
Speziell in der ITK-Branche gibt es einen drastischen Engpass in der Software-Entwicklung. Drei von vier Firmen suchen in diesem Bereich Spezialisten. IT-Berater sowie IT-Profis für den Bereich Marketing und Vertrieb sind in jedem vierten Unternehmen gefragt, Anwendungsbetreuer respektive Administratoren in jedem fünften. Acht Prozent der Firmen suchen nach Projektmanagern, sieben Prozent nach IT-Sicherheitsexperten.
Die Einsatzfelder der gesuchten Fachkräfte erscheinen hier naturgemäß etwas innovativer als in der Gesamtwirtschaft: zu 27 Prozent ist es Cloud Computing, zu 13 Prozent Social Media, knapp vor mobilen Apps. Neun Prozent suchen Spezialisten für Embedded Systems. Am größten ist aber trotz alledem auch in der ITK-Branche der Bedarf an Experten für betriebswirtschaftliche Anwendungen und IT-Sicherheit mit 31 beziehungsweise 28 Prozent.
„Der Boom bei Tablets und die Absatzrekorde bei Smartphones schlagen hier unmittelbar auf den Arbeitsmarkt durch“, kommentiert Bitkom. Betrachtet man wiederum alleine die ITK-Branche, ist die Zahl der Beschäftigten seit 2007 konstant gestiegen. Am Jahresende werden es laut Bitkom-Prognose 886.000 Mitarbeiter sein, davon 654.000 in der eigentlichen IT.
Nach Einschätzung der befragten Unternehmen bleibt der Fachkräftemangel ein gravierendes Problem. Jedes zweite Unternehmen gibt an, dass aktuell ein Mangel an IT-Spezialisten herrscht. Das sind zwar etwas weniger als im Vorjahr mit 58 Prozent. Allerdings erwartet auch jedes zweite Unternehmen, dass sich in Zukunft der Fachkräftemangel weiter verschärft. Nur acht Prozent der Unternehmen meinen, dass der Fachkräftemangel künftig eine geringere Rolle spielen wird.
Die höchsten durchschnittlichen Jahresgehälter einschließlich Sonderzahlungen zahlten laut Studie 2011 mit 60.853 Euro die Energieversorger. Es folgen die ITK-Branche mit 58.610 Euro, der Fahrzeugbau mit 53.572 Euro, die chemische Industrie mit 52.564 Euro und der Maschinenbau mit 50.938 Euro.
Versorger zahlen am besten
„Die Beschäftigtenzahl in der Branche könnte noch viel höher sein, wenn mehr Fachkräfte vorhanden wären, um den Bedarf der Unternehmen zu decken“, schlussfolgert Kempf aus der Studie. Der Kampf gegen den Fachkräftemangel muss laut Bitkom auf drei Säulen fußen: Reform des Bildungssystems, Qualifizierungsoffensive und verstärkte Zuwanderung auch von außerhalb der EU.
Der Branchenverband begrüßt deshalb, dass seit 1. August freie Stellen leichter durch hochqualifizierte Ausländer aus Nicht-EU-Ländern besetzt werden können. Die Bundesregierung hat dazu die „Blaue Karte EU“ in deutsches Recht umgesetzt und so unter anderem die Verdienstgrenzen gesenkt. „Vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen ist das von entscheidender Bedeutung“, so Kempf. Auf Basis des alten Zuwanderungsrechts lag die Zahl der IT-Spezialisten, die zuletzt aus Ländern außerhalb der EU nach Deutschland kamen, bei weniger als 2500 pro Jahr.
An den Schulen soll laut Bitkom insbesondere besser vermittelt werden, dass es sich bei der IT um eine Querschnittstechnologie für alle Lebensbereiche handelt. Es gehe bei der Arbeit mit Computern um Kreativität, Gestaltung und den Kontakt mit Menschen. An den Hochschulen haben laut Bitkom im vergangenen Jahr zwar 48.000 Studenten ein Studium der Informatik begonnen, aber bei einer Abbrecherquote von rund 50 Prozent werden in einigen Jahren nur 20.000 bis 25.000 Absolventen übrig bleiben. Der Verband fordert deshalb eine ausreichende Mittelausstattung an den Hochschulen und eine Anpassung der Lehre an das veränderte Lernverhalten der Studenten.
Die Studie „Der Arbeitsmarkt für IT-Fachkräfte“ ist bei Bitkom erhältlich.