Das Internet of Things (IoT), begrifflich meist synonym mit Industrie 4.0 verwendet, ist nicht aufzuhalten. Wenigstens an diesem Punkt sind sich alle einig: Maschinen, die sich gegenseitig steuern und miteinander kommunizieren, dabei die unterschiedlichsten Dinge produzieren, werden die Industrie auf der ganzen Welt maßgeblich prägen.
In zehn Jahren sei diese Vision flächendeckend Realität, sagten 72 Prozent der vom VDE (Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik) anlässlich der diesjährigen Hannover Messe befragten Industrieunternehmen.
Glaubt man dem "PwC Global Industrie 4.0 Survey", dann könnte es noch schneller gehen. Das Unternehmen hatte um die Jahreswende 2015/2016 weltweit 2000 Führungskräfte aus Industrieunternehmen in 26 Ländern gefragt, wie sie die Entwicklung beim Thema Industrie 4.0 bis zum Jahr 2020 einschätzen.
Industrie 4.0 wird die Arbeit bestimmen
Die Ergebnisse sind durchaus bemerkenswert, PwC fasste sie in acht Thesen zusammen. Die wichtigste: Im globalen Maßstab gehen die meisten Industrieentscheider davon aus, dass das in Rede stehende Thema bereits in knapp fünf Jahren maßgeblich ihre Arbeit bestimmen wird. Und sie sind bereit, schon heute in diesen Bereich zu investieren, weil sie sich viel von ihm erwarten: Der Umsatz soll - so der Mittelwert der Prognosen - um 2,9 Prozent steigen, die Kosten zugleich um 3,6 Prozent sinken.
PwC sieht Deutschland vorne
Neben solchen quantitativen Effekten erwarten die Befragten auch strukturelle. Durch den Einsatz von Internet-Technologien in der Produktion können mehr Industrieunternehmen als bisher direkte Kontakte mit Endkunden aufbauen. Mit solchen Kontakten lassen sich Produkte viel leichter als bisher mundgerecht nach Kundenwunsch entwickeln. Wichtigstes Instrument dazu ist - wie könnte es anders sein - Big Data, konsequente Digitalisierung ist folglich wichtige Voraussetzung für das bisher Beschriebene.
PwC hatte in diesem Zusammenhang auch gefragt, wie weit Unternehmen aus unterschiedlichen Ländern an diesem Punkt sind. Wobei sich anschließend getroffenen Feststellungen nicht nur aus der Befragung, sondern auch aus der PwC-Beratungspraxis speisen. Bemerkenswerterweise liegen demnach Deutschland und Japan vorne. Laut PwC-Survey sind Unternehmen dieser Länder "am weitesten, wenn es darum geht, interne Prozesse zu digitalisieren und sich dadurch horizontal über die Wertschöpfungskette mit anderen zu vernetzen."
VDE: Deutschland in der Kreisliga
Spätestens an dieser Stelle der Lektüre werden sich die Verantwortlichen der erwähnten VDE-Befragung die Augen gerieben haben. Deutschland vorne bei Digitalisierung und Industrie 4.0? Der Industrieverband VDE hatte ein ganz anderes (Selbst-) Bild der Verantwortlichen in den Unternehmen gezeichnet.
Demnach sind acht von zehn Firmen in Deutschland besorgt, dass unser Land im Innovationswettlauf angesichts der US-Dominanz bei technischer Software und Internet-Plattformen zurückfällt und irgendwann "in der Kreisliga spielt". Die Hälfte der Befragten sieht die Gefahr, dass die deutsche Industrie zu lange an klassischen Technologien, Methoden und Geschäftsmodellen festhält.
Auf die Frage, ob ihr Unternehmen sich bereits mit IoT befasst, bejahen dies nur drei von zehn Unternehmen. Entsprechend zurückhaltend schätzen sie die aktuelle Position Deutschlands im internationalen Innovationswettlauf ein.
Ein Erklärungsversuch: Wishful Thinking versus teutonisches Lamento
Über die Gründe für die unterschiedlichen Ergebnisse kann man trefflich spekulieren. Am plausibelsten ist folgender: Der VDE sagt nicht eindeutig, welche Personen aus Unternehmen er im Detail befragt hat, bei PwC waren es dagegen eindeutig C-Level-Entscheider, meist CDOs, soweit es diese Rolle außerhalb der USA überhaupt gibt. Und welcher dieser Verantwortlichen würde schon gerne sagen, dass er sich noch nicht im IoT beschäftigt hat und das Thema für unwichtig hält? Eben.
Ein Survey, wie PwC es durchführt, ist immer auch viel Wishful Thinking, während die Befragung deutscher Industrievertreter vermutlich niemals ohne klassisches teutonisches Lamento und ängstliches Händeringen auskommt.
Der Mittelstand sieht große Chancen
In diesem Sinne sehen nur 6 Prozent der vom VDE befragten Unternehmen Europa als Vorreiter, nur 7 Prozent Deutschland. Wobei zugleich die Hälfte davon überzeugt ist, dass das Internet der Dinge beziehungsweise Industrie 4.0 eine wichtige Basis für die Stärkung des Industriestandortes sein könnte. Vier von zehn Befragte erkennen darin gerade für mittelständische Unternehmen vielversprechenden Chancen.
Zudem sind 59 Prozent der deutschen Unternehmen davon überzeugt, dass IoT die Wettbewerbsfähigkeit vieler Branchen stärkt. Aus Sicht der Befragten profitieren vor allem die Dienstleistungssektoren (52 Prozent), der Maschinen- und Anlagenbau sowie der Automobilbau (je 49 Prozent). Etwa jeder Dritte prognostiziert einen deutlichen Mehrwert für die Medizintechnik, Elektroindustrie, IKT- und Energiebranche.
Mehr Arbeitsplätze erwartet
Ebenso viele glauben an ein Mehr an Arbeitsplätzen für die Gesamtwirtschaft. Neue Geschäftsmodelle und neue Produkte und Systeme sind für die Befragten die Hauptchancen des IoT, Pluspunkte zudem Effizienzsteigerungen und die Vernetzung von Prozessen im Unternehmen und Kunden. Bessere Ressourcennutzung, erhöhte Transparenz und Kostenreduktion sowie eine höhere Lebensqualität werden ebenfalls auch in Deutschland als Nutzen gesehen.
Haupthindernisse IT-Sicherheit, Standards und Mitarbeiter
Die mit Abstand größte Barriere auf dem Weg dorthin ist für 74 Prozent der vom VDE Befragten die IT-Sicherheit. Ebenfalls bemängelt werden fehlende Normen und Standards und eine unzureichende IT-Infrastruktur.
Im internationalen Maßstab - das ergab jedenfalls die zitierte PwC-Befragung, werden die Hindernisse dagegen eher nicht in unzureichenden Strukturen gesehen, sondern im Mangel an den richtigen Mitarbeitern: Genügend Talente für die digitale Transformation zu finden und an Bord zu holen, halten Industrieunternehmen im internationalen Maßstab für die größte Herausforderung.