Kritik an mangelndem Datenschutz reißt nicht ab

Ärzte weiter gegen elektronische Gesundheitskarte

18.06.2008 von Nicolas Zeitler
Das Bundesgesundheitsministerium zeigt sich wenig beeindruckt von der neuerlichen Ablehnung der geplanten elektronischen Gesundheitskarte durch die Ärzteschaft. Die Datenschutz-Bedenken der Mediziner weist man in Berlin zurück. Kritiker sprechen sich unter anderem gegen die im Zuge des Gesundheitskarten-Projekts geplanten elektronischen Patientenakten (EPA) aus, die zentral gespeichert werden sollen. Diskutiert werden Alternativ-Konzepte, bei denen jeder Patient seine eigene elektronische Akte bei sich trägt.
Das elektronische Rezept und ein Verzeichnis von persönlichen Daten auf der Gesundheitskarte sollen künftig für jeden Bürger verpflichtend sein.
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Auf dem 111. Deutschen Ärztetag in Ulm lehnten die Mediziner die Karte in der geplanten Form ab. Das Vorhaben müsse neu konzipiert und dabei die Datensicherheit stärker berücksichtigt werden. Die Tagungsteilnehmer fordern unter anderem, dass Alternativen zur zentralen Datenspeicherung erprobt werden, beispielsweise Speichermedien in der Hand des Patienten.

So gebe es USB-Karten, mit denen sich alle Ziele erreichen ließen, die das Ministerium mit der eGK anstrebe. Eine derartige Lösung mache auch die "derzeitige Mammutkonstruktion mit Zentral-Servern" überflüssig, weil die Daten beim jeweiligen Bürger gespeichert wären. Zudem sei die Gefahr des Datenmissbrauchs geringer. Der Ärztetag droht in einem Beschluss das Ende der Mitarbeit am Projekt Elektronische Gesundheitskarte an, sollte das Vorhaben nicht neu konzipiert werden.

Aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) heißt es, die neuerliche Ablehnung der Karte sei im Vergleich mit den Protesten im Vorjahr "eher ein Sturm im Wasserglas". Gesundheitsministerin Ulla Schmidt betonte auf dem Ärztetag, der "strenge Schutz der sensiblen Patientendaten" sei gesetzlich verankert. Die Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern hätten der Karte "ein sehr gutes Zeugnis ausgestellt".

Lösungen auf Basis von USB-Speichern, wie sie die Ärzte fordern, gibt es indes schon. So versprechen die Erfinder von "Maxidoc" mit ihrem Produkt die Funktionen der elektronischen Patientenakte "mit bestehender Technik und minimalem Aufwand". Kern der Lösung ist ein USB-Stick mit 35 Gigabyte Speicherkapazität, den jeder Bürger wie einen Schlüsselanhänger mit sich herumtragen kann. Darauf können seine Gesundheitsdaten, Befunde und auch Röntgenaufnahmen gespeichert werden.

Jeder bleibe so Herr seiner Daten. Ein weiteres Plus für die Sicherheit sei, dass die Daten zum Auslesen nicht übers Internet übertragen werden müssen. Zudem verursache Maxidoc nur geringe Kosten. Der Stick könnte ohne zusätzliches Lesegerät an jeden Praxis-Computer mit USB-Schnittstelle angeschlossen werden. Die nötige Software ist ebenfalls auf dem Speichermedium hinterlegt und kann von dort beim Arzt installiert werden. Der Mediziner muss sich dann noch beim Hersteller registrieren und über ein Fax mit Praxisstempel nachweisen, dass er zum Umgang mit den Patientendaten berechtigt ist.

Kein Interesse im Ministerium

In einen durch Passwort geschützten Bereich auf dem Stick könnten Mediziner über eine spezielle Maxidoc-Software neue Befunde eintragen und abspeichern. Spezielle Notfalldaten wie die Blutgruppe oder Medikamenten-Unverträglichkeiten werden hingegen auf einem offen zugänglichen Teil des USB-Sticks gespeichert, so dass sie auch dann abrufbar sind, wenn ein Patient bewusstlos ist.

Der Club der Gesundheitswirtschaft hat an das junge Unternehmen "Maxidoc" unlängst seinen Zukunftspreis verliehen. Die "zündende und verblüffende" Idee könne "den Zwist um die Gesundheitskarte mit einem Schlag verstummen lassen", teilte der Club mit. Im Gesundheitsministerium allerdings habe man sich nicht interessiert an der Erfindung gezeigt, heißt es von "Maxidoc".

Bessere Kommunikation

Das BMG erwartet sich von der Karte vor allem eine bessere Kommunikation zwischen den an der Krankenversorgung Beteiligten. Bisher bewahren die einzelnen Ärzte Untersuchungsergebnisse und Angaben über den Gesundheitszustand eines Patienten in der Regel bei sich auf. Über die Gesundheitskarte soll eine schnelle Bündelung all dieser Informationen möglich sein.

Das soll nicht nur unnötige Doppeluntersuchungen vermeiden sondern auch verhindern, dass ein Arzt dem Patienten etwa ein Mittel verschreibt, das der laut seiner gespeicherten Daten nicht verträgt. Ein weiterer Effekt der Gesundheitskarte sollen Effizienzsteigerungen im Gesundheitswesen sein. Als Beispiel nennt das Ministerium Rezepte, die künftig nicht mehr vom Arzt ausgedruckt und später in Abrechnungszentren der Apotheken wieder eingescannt werden müssten.

Die elektronische Gesundheitskarte soll mit einer Reihe von Funktionen ausgestattet sein, die zum Teil verpflichtend, zum Teil freiwillig für den Bürger sind. Grundsätzlich sollen auf der mit einem Lichtbild des Inhabers ausgestatteten Karte Verwaltungsdaten gespeichert werden, neben Name und Geburtsdatum des Patienten auch dessen Versichertenstatus für die Abrechnung.

Keine Papierrezepte mehr

Weitere Pflichtfunktion wird das elektronische Rezept sein. Es soll die nach Angaben des Ministeriums bisher jährlich mehr als 700 Millionen Papierrezepte vollständig ersetzen.

Als freiwillige Funktionen der Gesundheitskarte sind die Anlage eines Notfalldatensatzes und einer Arzneimitteldokumentation möglich. Letztere soll einem Arzt etwa zeigen, welche Medikamente sein Patient bereits verordnet bekommen hat. Doppelverordnungen oder auch Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Arzneimitteln will man so ausschließen. Auch die aus Datenschutzgründen kritisierte elektronische Patientenakte (EPA) soll eine freiwillig nutzbare Funktion der Gesundheitskarte sein.

Projekt mit Verzögerungen

Bis die elektronische Gesundheitskarte bei allen 80 Millionen Versicherten in Deutschland im Einsatz ist, dürfte indes noch einige Zeit vergehen. Erstmals angekündigt hatte Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) das Projekt im Jahr 2003. Anlaufen sollte es 2006. Auseinandersetzungen zwischen Krankenkassen, Ärzten und Apothekern über Organisation und technische Umsetzung verzögerten das Projekt jedoch.

Derzeit befindet sich die neue Karte in mehreren Regionen Deutschlands im Test. Reibungslos verlaufen die Versuche nicht. So setzten die Testärzte in der Region Flensburg in Schleswig-Holstein Ende März die Erprobung der freiwilligen Anwendungen aus. Der Test scheiterte an der für die Nutzung etwa der EPA nötigen Eingabe einer Geheimnummer. Gerade die darauf angewiesene Gruppe von Menschen sei "in der Realität nicht in der Lage, adäquat und zeitgerecht eine Pin in eine Tastatur einzugeben" oder sich diese zu merken, teilten die Projektleiter mit.

Zweifel gibt es zudem daran, ob die laut BMG 1,6 Milliarden Euro an Einsparungen mithilfe der Karte wirklich zu erzielen sind. Gerade wenn die freiwilligen Anwendungen nicht flächendeckend genutzt würden, stehe dies in Frage, heißt es etwa aus der FDP-Fraktion im Bundestag.

Und dass viele Patienten auf Funktionen wie die elektronische Akte verzichten werden, vermutet etwa Reiner Kern von der Kassenärztlichen Vereinigung. Gegenüber unserer Schwesterpublikation Computerwoche sagte Kern, Patienten wollten etwa eine HIV-Diagnose oder Angaben über die regelmäßige Einnahme von Psychopharmaka sicher nicht auf einem zentralen Server abgelegt wissen.