Die Stadtwerke Kiel (SWK) versorgen mit knapp 1.000 Mitarbeitern die schleswig-holsteinische Landeshauptstadt samt Umland mit Strom, Gas, Wasser und Fernwärme, außerdem Kunden in ganz Norddeutschland mit Gas und Strom. Insgesamt 49 Prozent der Stadtwerke gehören der Stadt Kiel. 51 Prozent sind im Besitz des Mannheimer MVV-Konzerns, dem auch Anteile an der Energieversorgung Offenbach (EVO) und anderen regionalen Energie-Unternehmen gehören.
Beim Thema Collaboration hatten es die Kieler bis vergangenes Jahr mit gewissen Altlasten zu tun. "Wir hatten keine homogene Plattform für den Austausch von Informationen in der Projektarbeit und über Arbeitsgruppen hinweg und es gab keinen Single Point of Entry", schildert SWK-CIO Stefan Fahl die Ausgangslage. Die war schon länger unbefriedigend gewesen, weil sie der angestrebten Digitalisierung der Prozesse entgegengestanden hatte. Weiterer Handlungsbedarf ergab sich, da Microsoft Collaboration-relevante Produkte abgekündigt hatte.
Seit 2018 gibt es in den Gesellschaften der MVV-Gruppe dezentrale CIO-Organisationen mit je eigenen Themenpriorisierungen. Was man sich in Kiel, Mannheim und Offenbach allerdings teilt und in vierzehntäglichen Sitzungen des CIO-Boards steuert, ist unter anderem die übergreifende Plattformstrategie. "Und die läuft hinaus auf Cloud First und möglichst weitgehende Standardisierung", berichtet Fahl.
Wie die Schwestergesellschaften entschieden sich auch die Kieler für Office 365 mit Sharepoint als Collaboration-Lösung - in Verbindung mit der Oberfläche Coffeenet des schweizerischen Herstellers Monday Coffee. Letzteres war für Stefan Fahl und sein Projektteam unter Leitung von Fred Sörnsen mit einer speziellen Erwartung respektive Befürchtung verbunden. "Wer Sharepoint und Office 365 einführt, muss ja damit rechnen, schon bald im ersten Reorganisationsprojekt zu stecken", so der CIO. "Das wollten wir vermeiden."
Die mandantenfähige Lösung Coffeenet war bereits vor zwei Jahren mit Unterstützung des Dienstleisters Yuunido aus dem friesischen Jever bei der Offenbacher Schwestergesellschaft EVO umgesetzt worden. Mit deren CIO René Stolte tauschte sich Fahl intensiv aus und wählte auf der Basis dieser Referenz - aber auch aus Kostengründen und um Synergien zu erzielen - denselben Implementierungspartner.
Coffeenet reduziert die Freiheitsgrade bei der Implementierung von Office 365 und Sharepoint, indem es standardisierte Strukturen vorgibt, etwa innerhalb eines Projekts oder einer Abteilung. So wird verhindert, dass die nicht immer sehr IT-affinen Mitarbeiter traditioneller Unternehmen überfordert werden.
Zentrale Ablageorte für Dokumente
"Mit Office 365 und Sharepoint gibt es unterschiedlichste Möglichkeiten der Dokumentenablage und -verteilung und der Rechtevergabe, erläutert Fahl. Mit Coffeenet dagegen fänden die Anwender beim Kieler Energieversorger einen zentralen Einstiegspunkt vor. Damit würden zentrale Ablageorte und ein standardisiertes Berechtigungskonzept vorgegeben - mit Wirkung auf alle genutzten Apps und Dokumente. Der CIO: "Egal, wo ich mich befinde, ich habe immer einheitliche Strukturen".
Nimmt Microsoft Änderungen an Office 365 oder Sharepoint vor, werden die Templates und Oberflächen von Coffeenet durch den Hersteller entsprechend angepasst und als Versions-Upgrades ausgeliefert. Anpassungen an spezifische Bedarfe innerhalb der Multimandantenumgebung, etwa die Umsetzung der Corporate Identity einzelner Anwender wie SWK oder EVO, setzte der Projektpartner Yuunido um.
Zwar habe man sich, so Fahl, bereits in der Projektvorbereitung eng mit den Coffeenet-erfahrenen Kollegen bei EVO abgestimmt und konnte so einige "Anfängerfehler vermeiden". Die unterschiedlich ausgeprägte Anwendungskompetenz des Personals jedoch, sagt der CIO im Rückblick auf das Projekt, erwies sich als die größere Herausforderung.
Denn unter den zirka 900 SWK-Usern gebe es die gesamte Bandbreite: von jungen Mitarbeitern mit ausgeprägter IT-Affinität bis hin zu Mitarbeitern, die motiviert werden mussten, sich mit einer für sie neuen Technik wie Office 365 auseinanderzusetzen - von dem damit verbundenen Kulturwandel ganz zu schweigen. Teils hätten sogar Grundkenntnisse bei der Bedienung von PCs gefehlt.
"Das haben wir anfangs unterschätzt", räumt Fahl ein. Man musste schließlich an der Kieler Förde mehr Zeit und Geld als erwartet in Schulung und Change-Management investieren, um IT-Kenntnisse und Change-Bereitschaft in der Belegschaft auf einen Stand zu heben, der den Anforderungen des Collaboration-Projekts entsprach. Eine besondere Rolle kam dabei den Abteilungsleitern zu, die speziell geschult wurden, um bei der Einführung der neuen Lösung vorbildhaft vorangehen zu können. Der CIO: "Das hat gut gewirkt."
Dazu kam erhöhter Aufwand durch Abstimmungen hinsichtlich der Security unter Cloud-Bedingungen. Und bei Soluvia, der Shared-Service-Gesellschaft im MVV-Konzern, musste Know-how für den Office-365-Support aufgebaut werden.
"Nicht ganz ohne" war auch die agile Umsetzung des Projekts, die höhere und mehr Anforderungen an Entscheider aus den Fachabteilungen stellt als traditionelle IT-Projekte nach dem Wasserfall-Modell. "Für einige Mitarbeiter bei SWK war das Neuland", sagt Fahl, für den die agile Arbeitsweise jedoch zu einem umfassenden Kulturwandel gehört. Nach seiner Einschätzung habe man das Projekt auf diese Weise schließlich "sehr gut umgesetzt."
In gewisser Weise profitierten die Kieler von der Coronakrise. "Das Collaboration-Projekt bedeutet einen riesigen Kulturwandel für das Unternehmen", urteilt Fahl. "Durch Corona hat der einen ganz deutlichen Schub bekommen".
Die Infrastruktur war anfangs nicht für ortsunabhängiges Arbeiten ausgelegt, so dass die IT-Tochter vor großen Aufgaben stand: mehr Zugangsmöglichkeiten über VPN-Gateways schaffen und Hardware, von Headsets über Monitore bis hin zu Notebooks, auf einem leergekauften Markt besorgen. "Das war schwierig", erinnert sich Fahl. "Aber die IT hat das gut hinbekommen."
Gegenwärtig arbeiten rund vier Fünftel der Büro-Belegschaft von zuhause, was nicht nur ein Technik-Thema ist. "Wir haben, mit Blick auf die Zukunft, mit der Personalvertretung über mobiles Arbeiten gesprochen und hier konzeptionell einiges zuwege gebracht", äußert sich der CIO zufrieden. Das werde jetzt laufend vor dem Hintergrund der Corona-Erfahrungen reflektiert.
"Die Pandemie hat Berührungsängste abgebaut und zum Kulturwandel beigetragen", kommentiert Fahl. Skype for Business etwa werde nun intensiv genutzt; die bevorstehende Ablösung durch Microsoft Teams sei dann nur noch ein vergleichsweise kleiner Schritt. Aber man werde auch in Zukunft nicht den Weg in Richtung fünf Tage Home Office einschlagen. Der CIO: "Wir sind ja kein Startup."