Kaum ein Tag vergeht, an dem man nicht in irgendeiner Personalmeldung liest, wie ein neuer Head of IT, CIO, Leiter IT oder ähnliches inthronisiert wird. Nach seinen Zielen befragt, ist die Antwort des IT-Managers in der Regel, dass der Gute - ja es ist weiterhin in den meisten Fällen ein Mann - digitale Transformation, Agilität, Cloud First und sonstige Buzzwords als vorrangige Prioritäten nennt.
Weiterhin gibt es auch viele Meldungen über erfolgreiche Transformationen, denen zufolge die IT jetzt alles in der Cloud macht und total agil ist. Was oft fehlt, sind klare Fakten, anhand derer Erfolg gemessen wird. Das leistet dem Phänomen "Operation gelungen Patient tot" Vorschub.
Bei näherer Betrachtung solcher Projekte stellt sich leider oft heraus, dass Unternehmen trotz erfolgreicher "Agilisierung und Cloudifizierung" schlechte Zahlen schreiben können.
Setzen wir die richtigen Prioritäten?
Vor diesem Hintergrund müssen wir uns als IT-Berufsstand die Frage stellen, ob wir die richtigen Prioritäten setzen und ob wir gut beraten sind, periodisch alle gemeinsam den neuesten Trends hinterher zu laufen. Der Satz "You never get fired for hiring IBM" hat in abgewandelter Form scheinbar weiterhin Gültigkeit, nur dass man heute anstelle von IBM möglicherweise diverse Technologietrends einfügen muss.
Vielleicht ist es wichtig, sich ab und zu vor Augen zu führen, was die Existenzberechtigung, der "raison d' être" für die meisten IT-Gruppen in Organisationen ist. Der Chief Information Officer ist auf einem hohem Abstraktionsniveau dafür verantwortlich, Informationen im Unternehmen so nutzbar zu machen, dass sie nachhaltig den Kundennutzen für die Organisation mehren. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, ist aus meiner Sicht ein sehr einfacher Leitsatz essentiell, der als Orientierung für viele IT Organisationen sehr hilfreich wäre. Es geht darum, die richtigen Dinge zu machen und die Dinge richtig zu machen.
Wir reden zu viel über Tools und Methoden
In der öffentlichen Diskussion unterhalten wir uns aber nach meinem Geschmack viel zu häufig über den zweiten Teil, die Dinge richtig machen, also die Methoden und die Tools. In der Diskussion herrscht scheinbar auch ein gewisser Normierungszwang: Wer heute nicht agil transformiert, muss sich zwangsläufig aus der Zeit gefallen fühlen. Dabei gibt es durchaus eine Daseinsberechtigung, vielleicht sogar eine Überlegenheit industrieller Fertigungsmethoden, die dann eher der Wasserfall-Methodik folgen. Vielleicht als Analogie: Ich möchte in keinem Flugzeug sitzen, das mit agilen Methoden zusammengebaut wurde. Und die Avionik-Software sollte auch kein MVP (Minium Viable Product) sein.
Zurück zur Ausgangsfrage: Ist eine stärkere Fokussierung auf das Was nicht dringend geboten, bevor die Diskussion über das Wie stattfindet? Dem Kunden ist es im Zweifel egal, ob die Dienstleistung mittels Cloud-Plattformen in agiler Weise geliefert wird, solange es einen erkennbaren Mehrwert für Ihn gibt.
RoI-Betrachtung greift zu kurz
Die Auswahl der richtigen Prioritäten klingt trivial. In der Praxis zeigt sich aber immer wieder, dass sie alles andere als einfach ist. Jede Funktion oder Fachabteilung hat ihre eigene Vorstellung davon, was sie realisieren möchte und wo sie sich verbessern will. Eine einfache Priorisierung nach dem Return on Investment springt aber oftmals zu kurz, weil sie andere Aspekte eines ausgewogenen Investitionsportfolios außer Acht lässt.
Weiterhin werden oftmals sowohl von der Funktion als auch der IT unrealistische Annahmen bezüglich der Kosten und Wirkung von Maßnahmen getroffen. In Ermangelung eines wirksamen Post-Mortem-Controllings hat dies oft keine weiteren Konsequenzen. Es führt aber zu einer asymmetrischen Interessenlage: Der IT Verantwortliche wird unter Umständen für ausufernde Kosten zur Rechnung gezogen, wohingegen der Funktionsauftragsgeber in den seltensten Fällen Fragen hinsichtlich der Wirksamkeit von Technologie Maßnahmen zu beantworten hat. In dieser Situation ist es für die Funktion vollkommen normal, Maximalforderungen hinsichtlich Zeitfenster und Funktionalität aufzustellen.
Gemeinsame Verantwortung für IT-Projekte
Dringend notwendig hingegen ist eine gemeinsame Verantwortung sowohl für die Kosten- als auch die Ergebnisseite eines Projektes. Um dieser Rolle gerecht werden zu können, bedarf es auf der IT-Seite profunder Kenntnisse der Inhalte und Prozesse der betreuten Funktion. Nur so ist ein Dialog auf Augenhöhe möglich. Weiterhin ist in dieser Rolle ein hohes Maß an Sozial- und Kommunikationskompetenz unabdingbar, da kontroverse Diskussionen in der Bedarfsklärung nicht unüblich sind. Mit Bedarfsklärung ist nicht etwa die Lösungsauswahl oder das Design gemeint. Es geht darum, ein gemeinsames Verständniss darüber herzustellen, was mittels Technologieeinsatz erreicht werden kann und was dieser kostet.
Eine so bewertete "Wunschliste" kann dann in einem professionellen Portfolio Management mit den Zielen der Organisation verknüpft und als Gesamtportfolio bewertetet werden. So ausgerüstet ist der IT Verantwortliche auch jenseits der Digitalisierungswelle gut gewappnet für Geschäftsleitungsdiskussionen über Sinn und Zweck von IT Ausgaben.
Ein derart stringentes Anforderungs- und Priorisierungsmanagement, gepaart mit einer zuverlässigen Lieferung, egal ob mit agilen oder traditionellen Methoden, bildet die Grundlage einer gut funktionierenden IT-Funktion. Mit Anforderungsmanagement ist keinesfalls das passive Warten auf Anfragen gemeint, sondern eine proaktive Partnerschaft, um den Technikeinsatz im Unternehmen zu optimieren.
Jenseits aller Technologie- und Methodenkompetenz ist das Verständnis, wie Technologie in einem bestimmten Geschäftsumfeld Wert generieren kann, essentiell für eine performante IT. Gleiches gilt für die Fähigkeit, dies glaubhaft zu vermitteln. Hier gibt es sowohl in der Ausbildung als auch im öffentlichen Diskurs noch erheblichen Verbesserungsbedarf.