Die Geschichte des erst 2007 gegründeten Online-Forums für Bücherfreunde ist eine typische amerikanische Start-up-Geschichte. Mit einem Startkapital von 100.000 Dollar, das neben anderen Geldgebern der Investor Jon Callaghan mit seiner Finanzierungsgesellschaft "True Ventures" zur Verfügung gestellt hatte, gründeten Otis Chandler und seine Frau Elizabeth Khuri Chandler "Goodreads". Hier können Bücherfreunde Listen ihrer Bibliotheken einstellen, sich über ihre bevorzugte Lektüre austauschen, selbst Rezensionen verfassen, oder auch mit Autoren in direkten Kontakt treten. Mitglieder haben freien Zugang zu allen Inhalten.
Bis heute haben sich 16 Millionen Menschen in diesem Social Network registriert, hauptsächlich in den USA. In dieser nicht-kommerziellen Gemeinschaft zu Gehör zu kommen und Einfluss zu gewinnen – sprich letztlich Bücher (gedruckt oder als eBook) zu verkaufen –, war gerade auf dem amerikanischen Markt wichtig geworden. Schließlich musste 2011 die nach Barnes & Noble zweitgrößte Buchladenkette Borders schließen, und viele unabhängige Buchläden sind ebenfalls verschwunden. In diesem Umfeld war der Erfolg von Goodreads mehr als ein Hoffnungsschimmer für den Handel.
Das Interesse an Büchern ist keineswegs tot, auch in den USA nicht. Und ein Online-Konzern wie Amazon ist nicht zuletzt mit diesem Produktsegment so schnell gewachsen. Auch auf Amazons Buchseiten finden sich individuelle Buchbesprechungen oder Empfehlungen, meistens von der positiven Sorte. Ab und zu stößt man auch auf negative Stellungnahmen, Lobhudeleien überwiegen aber und hinterlassen häufig keinen objektiven Eindruck. Hier wird viel getürkt und gepusht.
Goodreads pochte bisher auf Unabhängigkeit
Anders bei Goodreads. Hier sind Leute dabei, die mit viel Interesse und Herzblut in der Welt der Bücher zuhause sind. Beides zusammenzuspannen – Kommerz und Passion – macht also durchaus Sinn. Goodreads hatte bisher darauf verzichtet und auf seine Unabhängigkeit gepocht. Vom Standpunkt des Retailers Amazon aus ist es dagegen nur konsequent, sich solch eine große Leserbasis zu Nutze zu machen. Wie genau das geschehen soll, ist momentan noch nicht bekannt gegeben worden.
Bekannt ist dagegen der Unmut sehr vieler Goodreads-Mitglieder. Auf der Facebook-Seite von Goodreads soll sich laut einem Bericht des amerikanischen Online-Magazins "Salon" die übergroße Mehrheit der Mitglieder, die dort einen Kommentar zum Verkauf verfasst haben, sehr negativ geäußert haben. Tenor: Die Zeit der freien Buchliebe ohne Vermengung mit dem üblen Kommerz sei vorbei. Ins gleiche Horn stoßen die Feuilletonisten – die FAZ titelte zum Beispiel am 30. März 2013: "Eine schlimme Bescherung".
Unübersichtlicher Büchermarkt
Die Meinungshoheit im Büchermarkt – zunächst in dem der USA – ist in der Tat unübersehbar. Amazon hatte mit "Shelfari" schon ein ähnliches Internet-Forum übernommen und ist auch an "LibraryThing" beteiligt. Gleich mehrere große Leserforen zu besitzen, wird nicht ohne Konsequenzen für den Markt bleiben. Viele Verlage hängen schon jetzt von der Präsenz auf den Amazon-Webseiten und von den Leserempfehlungen ab.
Irgendwann werden die drei eingekauften Communities wohl mit den Amazon-Bücherseiten "verlinkt" werden, oder man kann auf deren Webseiten direkt etwas bei Amazon bestellen. Zumindest der Qualität der Leserkommentare bei Amazon könnte das eigentlich nur gut tun. Und auch mancher Verlag wird etwas mehr verkaufen können. Zu Kulturpessimismus und Weltuntergangsstimmung besteht eigentlich kein Anlass.