Die Zeiten lukrativer Steuerdeals für multinationale Großkonzerne scheinen zumindest in der EU vorbei. Die Brüsseler EU-Kommission stufte am Mittwoch von luxemburgischen Behörden gewährte Vergünstigungen für den Online-Versandhändler Amazon als wettbewerbswidrig ein. Das Land soll nun von dem US-Unternehmen Nachzahlungen in Höhe von rund 250 Millionen Euro zuzüglich Zinsen verlangen. Fragen und Antworten zur Entscheidung im Überblick:
Worum genau ging es bei den Ermittlungen gegen Luxemburg?
Vor allem um die Frage, ob das Land Amazon illegale Vorteile eingeräumt hat, um das Unternehmen an sich zu binden. Die Ermittler schauten sich an, ob die Behörden es zugelassen haben, dass das Unternehmen die zu versteuernden Gewinne mit Hilfe von günstigen Berechnungsmethoden zu niedrig ansetzte. Dafür prüften sie vor allem die sogenannten Steuervorbescheide. Dies sind schriftliche Erklärungen von Steuerbehörden an Unternehmen, die im Vorhinein festlegen, wie die Unternehmenssteuer zu berechnen ist und welche Steuervorschriften angewendet werden.
Was sah der Bescheid für Amazon vor?
Er ermöglichte es Amazon, den größten Teil seiner Gewinne von einem Unternehmen des Konzerns, das der Luxemburger Steuer unterliegt (Amazon EU), auf ein Unternehmen zu verlagern, bei dem das nicht der Fall ist (Amazon Europe Holding Technologies). Der Steuervorbescheid sah insbesondere vor, dass Amazon EU eine Lizenzgebühr an die Amazon Europe Holding Technologien zahlt. Dadurch wurde der zu versteuernde Gewinn von Amazon EU um drei Viertel verringert.
Muss Amazon nun die Preise erhöhen oder Mitarbeiter entlassen?
Damit rechnet niemand. Der Konzern verzeichnete zuletzt einen Jahresgewinn in Höhe von 2,4 Milliarden US-Dollar. Amazon betonte am Mittwoch sogar noch einmal, die Mitarbeiterzahl in Europa bis Ende des Jahres um 15000 erhöhen zu wollen. Anfang 2017 arbeiteten rund 50000 Menschen für Amazon in Europa.
Profitiert Amazon noch immer von dem Steuerdeal?
Nein. Das Unternehmen versteuert Gewinne seit 2015 nicht mehr zentral in der Europazentrale in Luxemburg, sondern in einzelnen europäischen Ländern, darunter in Deutschland. Die Kommissionsentscheidung hält Amazon dennoch für falsch. "Wir sind der Ansicht, dass Amazon keine Sonderbehandlung von Luxemburg erhalten hat und wir Steuern in vollem Einklang mit dem luxemburgischen und internationalen Steuerrecht bezahlt haben", teilte das Unternehmen mit. Man prüfe nun rechtliche Möglichkeiten. Luxemburg äußerte sich ähnlich - dem Land droht unter anderem noch Ärger wegen Steuerdeals mit McDonald's.
Ist Amazon ein Präzedensfall?
Nein. Bereits 2015 hatte die EU-Kommission Steuervorteile für die Kaffeehauskette Starbucks in den Niederlanden und eine Tochter des Autobauers Fiat in Luxemburg für unzulässig erklärt. Die Staaten mussten Beträge in zweistelliger Millionenhöhe nachfordern. Eine Nachzahlung in Höhe von sage und schreibe bis zu 13 Milliarden Euro plus Zinsen droht dem US-Technologieunternehmen Apple wegen eines Steuerdeals mit Irland. Bislang weigert sich das Land allerdings, das Geld einzufordern. Die EU-Kommission kündigte deswegen am Mittwoch den Gang vor den Europäischen Gerichtshof an.
Haben die Fälle etwas mit der sogenannten "Luxleaks-Affäre" zu tun?
Die im Herbst 2014 veröffentlichten Enthüllungen zu zweifelhaften Steuersparmodellen in Luxemburg haben die Aufmerksamkeit für das Thema deutlich erhöht und weitere Ermittlungen angestoßen. Die Verfahren zu den genannten Regelungen begannen allerdings bereits vor der "Luxleaks-Affäre".
Welche Rolle spielt EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker?
Kritiker werfen Juncker vor, in seiner Zeit als Luxemburger Regierungschef (1995-2013) Steuervermeidungsmodelle zumindest geduldet zu haben. Dieser bestreitet allerdings jegliche Verantwortung.
Die Steuersparmodelle gingen vermutlich auf die Kosten anderer EU-Länder. Warum konnte das System überhaupt so lange funktionieren?
Das ist noch immer eine der großen offenen Fragen. Möglicherweise haben etliche Staaten zweifelhafte Praktiken genutzt, um Unternehmen in ihrem Land zu halten - und deswegen andere nicht angeschwärzt. Eine EU-Richtlinie zur Zusammenarbeit in Steuerfragen sieht eigentlich bereits heute vor, dass die Finanzbehörde eines Mitgliedstaates andere EU-Länder informiert, wenn sie den Verdacht hat, dass ein Unternehmen fragwürdige Steuersparmodelle nutzt.
Gibt es Hoffnung, dass die Verfahren der EU-Kommission zu mehr Steuergerechtigkeit führen?
Zumindest ein bisschen. Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager wies am Mittwoch darauf hin, dass Länder wie Luxemburg und Zypern bereits Änderungen an ihren Steuersystemen vorgenommen haben. Gleichzeitig betonte sie, dass noch deutlich mehr getan werde müsse. Als Schritt in die richtige Richtung gilt ein von Deutschland ausgehender Vorstoß für ein neues europäisches Modell zur stärkeren Besteuerung globaler Internet-Riesen wie Google und Apple. (dpa/rs)