Im Oktober ist es endlich soweit, voraussichtlich jedenfalls: Microsoft bringt sein neues Betriebssystem Windows 8 auf den Markt. Die zahlreichen Fragen aus Anwendersicht werden bis dahin nicht geklärt sein, und auch danach nicht so bald. Auf eine Ankündigungsoffensive des Giganten reagierte die Analystenwelt jetzt erst einmal gespalten. Gartner prophezeit den Anbruch einer neuen Ära – wobei aber bis zum Ende des alten Zeitalters noch fast ein Jahrzehnt vergeht. Axel Oppermann, Analyst der Experton Group, ist sogar innerlich zerrissen: Ein Teil in ihm möchte offenbar miteinstimmen in den marketinggetriebenen Jubelchor, eine andere Seite reagiert mürrisch.
Oppermann hat den Zwiespalt in einer gedoppelten Analyse zum Ausdruck gebracht: Einen Abschnitt schrieb er als nach eigenen Worten „unbekümmerter Schönseher“, der Windows 8 sofort und unbedingt haben will. Ein zweites Kapitel aus Sicht des „effizienzorientierten Skeptikers“ urteilt hingegen: „Viel Lärm um wenig.“
Das Fazit des Analysten macht klar, dass die negative Sicht doch überwiegt. „Die Privatanwender, Entscheider in Unternehmen und Multiplikatoren […] bekommen derlei viele Infos zu unterschiedlichsten Themen, dass ihnen (zunächst) gar nicht auffällt, wie viele Informationen ihnen eigentlich vorenthalten werden“, so Oppermann.
Zu Surface fehlen noch viele Infos
So fehlten belastbare Informationen zu wichtigen Aspekten der neuen Produktreihe mit Namen „Surface“: nämlich zu Laufzeit der Akkus, Verkaufsstart oder Preispunkten der unterschiedlichen Varianten. „Aussagen, dass die Produkte zu wettbewerbsfähigen Preisen auf den Markt kommen werden, reichen insbesondere Entscheidern in Anwenderunternehmen nicht aus“, mäkelt der Analyst.
Die Detailbeschreibung von Surface als „Kombination des hauseigenen Betriebssystems mit selbstentwickelter Hardware“ packt Experton immerhin in den euphorischen Teil. „Microsoft hat den etablierten OEMs gezeigt, wie durch Ingenieurskunst und visionäre Stärke differenzierende Produkte geschaffen werden“, frohlockt Oppermann in einer Passage. Als Zeichen für „Innovationskraft und Coolness“ sei Surface zu verstehen, Entscheider in Unternehmen erhielten „ein durchdachtes Konzept aus Hardware und Software, welches durch Applikationen die jeweiligen Wünsche und Bedarfe umfassend erfüllen kann“.
WinRT ein "technologischer Sprung"
Surface komme dann auch gleich in zwei Varianten daher, die sich deutlich in Ausstattung und Zielmarkt unterscheiden. Eine Variante des Surface-Tablets habe Windows 8 Pro als Betriebssystem und laufe mit einem x86-Prozessor von Intel. Die andere Variante basiere auf Windows Runtime (Windows RT). „Windows RT wiederum ist eine Windows-8-Edition für ARM-basierte Tablets“, so Experton.
Just an dieser Stelle sieht Gartner aber den entscheidenden Quantensprung. Der Übergang von Windows New Technology (Windows NT) als Überbegriff für die vielen jüngeren Microsoft-Betriebssysteme zu Windows RT als Laufzeitumgebung für Anwendungen auf dem Metro-Desktop in Windows 8 markiere den Beginn eines neuen Zeitalters.
„Windows 8 ist mehr als ein größeres Windows-Upgrade – es ist ein technologischer Sprung“, sagt Gartner-Analyst Stephen Kleynhans. Vergleichbares sei zuletzt 1993 passiert, als Microsoft sich von DOS ab- und Windows NT zuwendete. Der damalige Übergang war allerdings erst 2001 mit der Markteinführung von Windows XP abgeschlossen. Mit einer ähnlichen Übergangsperiode ist auch jetzt zu rechnen.
Win32-Programme laufen auch weiterhin
Auf Basis einer Kombination aus HTML, JavaScript und CSS können – auf dem Desktops, aber auch auf mobilen Endgeräten – mit Windows RT Apps entwickelt werden, deren lizenzierter Vertrieb dann über das Windows Store läuft. Dank des Windows RT-Programmiermodells, eines neuen User Interfaces und des weiterhin angebotenen Supports für Windows NT können Nutzer laut Gartner weiterhin Win32-Programme in Betrieb halten und gleichzeitig WinRT-Apps entwickeln.
Gartner bezeichnet WinRT als Anstrengung, mit der Microsoft im mobilen Zeitalter Relevanz behalten möchte. „Windows 8 ist der Beginn von Microsofts Bestrebungen, auf Marktnachfrage und Wettbewerber zu reagieren, indem ein gemeinsames Interface und ein gleiches Programmierungs-API-Set von Telefonen bis hin zu Servern bereitgestellt wird“, so Gartner-Analyst Michael Silver.
Wechsel auf Metro erst 2013 sinnvoll
Dennoch werden die meisten User laut Gartner-Prognose Win32-Applikationen noch mindestens zehn Jahre und länger verwenden. Metro sei ein neues Interface-Modell, das Firmen an die nächste Windows-Generation binde. Gleichwohl benötigten sie viele Jahre für die Migration ihrer Anwendungen auf das neue Modell.
Mindestens fünf Jahre verstreichen nach Einschätzung von Gartner, bis die neuen Apps alle Anwendungsgebiete in einer Organisation durchdringen. Die Analysten raten allerdings ab 2013 zu einem Wechsel auf Metro, falls die Entwicklung neuer Win32-Anwendungen geplant sein sollte.
Zunächst sollte man sich dabei auf externe Apps konzentrieren, erst danach auf interne. Wer frühzeitig auf Windows 8 migriere, werde dennoch bis 2015 überwiegend mit Win32-Applikationen und dem Desktop Browser arbeiten, so Gartner. Bis 2020 werde die Basis aber zu 90 Prozent Metro sein.
Microsoft überdenkt Security- und Steuerungs-Architektur
Kleynhans ordnet die Entwicklung als Reaktion auf den Bedeutungsverlust des klassischen PCs ein. „Smartphones und Tablets nehmen für eine wachsende User-Schar die Rolle als primäres Endgerät ein – und die meisten dieser Geräte kommen von anderen Anbietern als Microsoft“, so der Analyst. „Microsoft antwortet auf den Konkurrenzdruck, indem es nicht nur die Ausgestaltung seiner Produkte überdenkt, sondern auch ihre Security- und Steuerungs-Architektur.
Wenngleich Gartners Tenor deutlich wohlwollender klingt als der von Experton, sind sich beide doch darin einig, dass in diesem Herbst kein schneller Umsturz geschehen wird. Die neue Produktfamilie sei gewiss „kein Gassenhauer“, so Oppermann. „Anwenderunternehmen werden zögerlich reagieren, da die Summe an respektablen Alternativen umfassend ist.“
Lob für Windows Phone 8
Lobende Worte des innerlich zerrissenen Analysten gibt es indes für Windows Phone 8. „Windows Phone 8 überzeugt durch eine noch flexiblere Nutzung der interaktiven Kacheln über eine abermals verbesserte Bedienerschnittstelle, und differenziert sich weiterhin stark vom Android- und iPhone-Einerlei“, so Oppermann. „Die Abkehr vom CE-Kernel führt zu einer weiteren Annäherung an andere Windows-Formfaktoren, und so an ein noch konsistenteres Bedienerlebnis.“