Datenanalyse

Analytics und Big Data im Praxis-Check

29.12.2015 von Thomas Boué
Stauvermeidung, Malaria-Bekämpfung, Erdbebenfrühwarnung: Lesen Sie, wo Big-Data- und Analytics-Projekte in der Praxis einen konkreten Nutzen bringen.

Die Informatisierung der Fertigung wird gerne als vierte industrielle Revolution bezeichnet. Die Datenrevolution dagegen steht in einer Reihe mit der Entdeckung der Dampfkraft, Elektrizität oder Kernkraft. Sie gibt uns eine neue Quelle für die transformative Veränderung aller Bereiche des Lebens.

Ähnlich wie die Entwicklung der IT und des Internets zuvor, ist auch das Wachstum der Datenwirtschaft rasant: 90 Prozent aller historisch erhobenen Daten wurden in den letzten zwei Jahren generiert; die Geschwindigkeit, in der sie entstehen, verdoppelt sich alle zwei Jahre. Mit der scheinbar endlosen Datenflut, sprich Big Data, liegt die größte Herausforderung darin, sie sinnvoll einzusetzen. Wir zeigen anhand von Beispielen, wie breit die Spanne der Anwendungen sein kann.

Analytics und Big Data im Praxis-Check
Foto: tashatuvango - Fotolia.com

Heutzutage werden Daten millionenfach von Sensoren auf Geräten, Maschinen, Fahrzeugen, ja sogar Straßenlaternen erhoben. War ihre Speicherung einst teuer und kompliziert, ist der verfügbare Speicher inzwischen gewachsen, die Preise sind deutlich gesunken, und Datenmaterial ist zum erneuerbaren Rohstoff geworden. Diese Daten müssen gesammelt, gespeichert, analysiert und übersetzt werden, damit sinnvolle Ergebnisse erzielt werden können. Dabei spielen Softwarehersteller eine zentrale Rolle: Sie stellen Werkzeuge bereit, die es Menschen und Unternehmen erlauben, Daten und deren Strukturen besser zu verstehen.

Analytics: Schwebende Daten halten den Verkehr am Fließen

Ein bedeutendes Einsatzgebiet ist der Verkehr. So installierte die Stadt Stockholm in 1.600 Taxis GPS-Systeme zur Datenerhebung im Segment des Verkehrsflusses. Durch den Einsatz von Software zur Verkehrsdatenanalyse konnten Erkenntnisse zur besseren Planung gewonnen werden, die dabei helfen, Staus zu verringern. Die Ergebnisse: ein um 20 Prozent verringertes Verkehrsaufkommen, halbierte Reisezeiten und zehn Prozent weniger Abgase.

Auch in Deutschland arbeiten Länder und Kommunen an vergleichbaren Projekten. So helfen Verkehrsleitsysteme in Bayern dabei, Staus zu vermeiden. Dabei setzten die Planer bisher auf Daten von fest installierten Sensoren. Da diese jedoch in Abständen von 100 Kilometern liegen, war die Datenausbeute gering.

Ein aktuelles Projekt bindet deswegen Floating-Car Daten ein (Positions- und Zeitdaten aus Fahrzeugen, die sich im Verkehr befinden). Auf 2.700 Kilometern Autobahnen, Bundesstraßen und niederrangigen Straßen erfasste und verglich das System in einem Pilotversuch im Frühjahr 2015 die Daten aus Floating-Car Quellen mit denen aus dem Sensornetzwerk. Um Lücken in der Abdeckung an Wochenenden und nachts auszugleichen, zog es zudem historische Daten hinzu.

Floating-Car-Daten verbessern die Genauigkeit der Verkehrsinformationen in
Bayern.
Foto: INRIX

Die Ergebnisse zeigten die große Verlässlichkeit der neuen Datenquelle (90 Prozent Übereinstimmung mit den Daten der fest installierten Sensoren). Darüber hinaus ließ sich die Datenlage des Sensornetzwerks erheblich verbessern. Rund drei Viertel der Daten, die in diesem Zeitraum analysiert wurden, stammten aus Echtzeitdaten von Fahrzeugen im Verkehr. Diese aktuellen Verkehrsinformationen bewahren Reisende in Bayern vor Staus und reduzieren die Umweltbelastung.

Malaria-Bekämpfung mit Big Data Analytics

Doch auch dort, wo nicht Fahrzeuge, sondern Menschen in Bewegung sind, können Daten einen konkreten Nutzen bringen: Die Big-Data-Spezialistin Caroline Buckee von der Harvard School of Public Health in Boston erstellte zusammen mit ihrem Ehemann Nathan Eagle mithilfe mobiler Daten von 15 Millionen Handys in Kenia Muster für Malariainfektionen. Auf diese Weise konnten sie Infektionsherde identifizieren, um die Behörden bei der Bekämpfung der Krankheiten zu unterstützen.

So war ihnen bei ihrer Analyse eine bestimmte Mobilfunkzelle besonders aufgefallen: Menschen, die nahe der Stadt Kericho im westlichen Hochland Nachrichten verschickten oder Anrufe tätigen, reisten mit dreifacher Wahrscheinlichkeit im Vergleich zu anderen in den Landstrich nordöstlich des Viktoriasees, der von den Gesundheitsbehörden als Malariaherd identifiziert worden war.

Ein Blick auf ein Satellitenbild der Gegend offenbarte den Grund dafür: eine Teeplantage, die von Wanderarbeitern bestellt und geerntet wurde. Mit Hilfe dieser Erkenntnis konnte eine besser Strategie im Kampf gegen die Krankheit gefunden werden: Da die Infektion von Moskitos ausgeht und nicht von Mensch zu Mensch übertragen wird, war es sinnvoller, die Maßnahmen zur Eindämmung auf das Ursprungsgebiet der Seuche zu konzentrieren.

Die Big-Data-Spezialistin Caroline Buckee erstellte mithilfe mobiler Daten von 15 Millionen Handys in Kenia Muster für Malariainfektionen.
Foto: Harvard School of Public Health

Katastrophenwarnung: Wertvolle Sekunden gewinnen mit Datenanalyse

Im Frühjahr 2014 startete Kanada das Smart Oceans BC Projekt vor seiner Westküste. Es verbindet Daten der Sensorstationen des seit 25 Jahren bestehenden Ocean Networks Canada mit neuen Datenquellen und setzt auf leistungsstarke, rechnerbasierte Analyse. Im Zuge der verbesserten Analysemethoden wird das bestehende Netzwerk auch um 100 kleinere Sensoren und zusätzliche Radaranlagen erweitert.

Auch tellergroße landgestützte Sensoren sind geplant, um Erdstöße besser zu erfassen. Sie sind im Gegensatz zu den Titanstahl-verkappten, kabelgebundenen Unterwassersensoren in leicht zugänglichen Gebieten installiert und haben einen eigenen Internetanschluss.

Der größte Vorteil des Erdbebenfrühwarnung liegt darin, wertvolle Sekunden zur Vorbereitung herauszuschinden: die Erdstöße sind wesentlich langsamer als die Datenübertragung über ein Glasfasernetz, und betroffene Gebiete können etwa Züge verlangsamen, Gasleitungen sperren, Computersysteme herunter fahren oder chirurgische Eingriffe unterbrechen.

Mit Hilfe der Auswertung von Daten aus Meeressensoren und weiteren Quellen zu Strömungen, Seegang, Verkehr und Wasserqualität, setzen die Forscher die Datenanalyse auch zur besseren Vorhersage von Tsunamis ein. Die Daten zum Schiffsverkehr und zur Wetter-Entwicklung könnten auch dazu beitragen, die Planung von Schiffsrouten vor der Küste Kanadas zu verbessern. Ein weiterer Vorteil liegt in der größeren Sicherheit vor Havarien etwa von Öltankern.

Gartner Big Data Survey 2015
Big Data 2015
Zur Praxis von Big Data hat der US-Marktforscher Gartner 437 Teilnehmer seines eigenen Panels ("Gartner Research Circle") befragt. Die Ergebnisse dokumentiert das Papier "Practical challenges mount as Big Data moves to mainstream".
Adaption
Hatten 2012 noch 58 Prozent der Teilnehmer von bereits getätigten oder geplanten Investitionen gesprochen, sind es jetzt 76 Prozent. Gartner bezeichnet das als "Adaptionswelle".
Initiatoren
Gartner wollte auch wissen, wer Big Data-Initiativen anstößt. Hier zeigt sich eine deutliche Verschiebung zuungunsten der IT-Entscheider.
Ziele
In den vergangenen Jahren hat sich herauskristallisiert, welche Ziele die Unternehmen mit Big Data verbinden. An oberster Stelle steht die Kundenerfahrung (Customer Experience). Das war auch 2013 der Spitzenreiter, allerdings mit 55 Prozent der Nennungen.
Messung des ROI
24 Prozent derer, die bereits in Big Data-Lösungen investieren, messen den ROI (Return on Investment) nicht. Die anderen orientieren sich entweder an finanziellen Kennzahlen, an der Steigerung der Effizienz oder besserer Entscheidungsfindung.

Big Data Analytics: Die Regierungen sind gefordert

In der rasch voranschreitenden Evolution der Datenanalyse spielen die Regierungen eine wichtige Rolle. Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden müssen klarere Regeln zum Schutz der Privatsphäre der Anwender schaffen sowie zum freien grenzüberschreitenden Datenfluss. Sie müssen außerdem in stark nachgefragte IT-Fachkräfte investieren, um Marktchancen zu eröffnen und Unternehmen das beste Umfeld für Innovation zu bieten. Denn Daten eröffnen schier unbegrenzte Möglichkeiten. Diesen Wissens-Pool zu erschließen und zu verwerten, wird die größte Aufgabe einer rasch wachsenden Innovationswirtschaft sein, um letztlich das alltägliche Leben Aller weiter zu verbessern.