Bei "Spaghetti-Architekturen" mit 100 Applikationen sind bis zu 5000 direkte Verbindungen möglich, wie die Unternehmensberatung McKinsey berechnete. Denn die Integration bestehender Systeme hieß meistens, Eins-zu-eins-Verbindungen aufzubauen und damit extrem komplexe Geflechte zu erzeugen. Deshalb entwickelte sich die Informationstechnologie in den vergangenen Jahren durch die wachsende Anzahl an Anwendungen, Datenbanken und anderen Systemen zu einer kaum beherrschbaren Sammlung von Verbindungen. Der Wirrwarr funktionierte zwar, CIOs mussten ihn aber aufwändig warten und waren wenig flexibel, wenn sie mit neuen Anwendungen schnell auf neue Unternehmensanforderungen reagieren sollten. Vor rund drei Jahren unternahmen Anbieter unter dem Schlagwort "EAI" den Versuch, die Komplexität der Integration zu vereinfachen.
Mit dem Aufkommen der Web-Services und der Beschreibungssprache XML (Extensible Markup Language) stand eine technische Lösung für das Problem bereit. Ein offener, allgemein anerkannter Standard für ein neutrales Datenformat rückte in das Zentrum der IT. Das Szenario ist sehr einfach: Alle zu integrierenden Systeme tauschen die Informationen über eine zentrale Komponente aus. In dieser Middleware werden die unterschiedlichen eingehenden Datenformate nach XML übersetzt und vor der Weitergabe an ein empfangendes System in dessen Datenformat übertragen. Dazwischen können verschiedene Logikschritte, wie zum Beispiel die Plausibilitätsprüfung, liegen.
Dieser Ansatz war nicht nur in der Theorie bestechend, sondern fand auch große Akzeptanz am Markt. Zahlreiche große Unternehmen führten Integrationsplattformen nach diesem Vorbild ein, neue Spezialanbieter wie Tibco oder Webmethods konnten sich innerhalb kurzer Zeit einen großen Namen machen. Laut Richard Nußdorfer, Geschäftsführer der auf EAI spezialisierten CSA Consulting, haben inzwischen rund 70 bis 80 Prozent aller Großunternehmen Integrationslösungen im Einsatz.
Den deutschen EAI-Markt bestimmen im Wesentlichen die traditionellen Infrastrukturanbieter. Laut der Gartner Group dominierte im Jahr 2003 IBM mit über 30 Prozent Marktanteil das Geschehen. Auf Platz zwei rangierte Bea Systems mit knapp sieben Prozent, gefolgt von Fujitsu-Siemens mit 6,4 Prozent. Oracle und SAP, die zunehmend von der Anwendungsseite in das Integrationsgeschäft drängen, lagen 2003 unterhalb der Fünf-Prozent-Marke. Die jungen Integrationsspezialisten tauchen in den Top Ten fast nicht auf. Nur Tibco schaffte 2003 den Sprung in die Gartner-Liste. Seebeyond oder Webmethods spielen demnach trotz ihrer innovativen Technologien und ihrer international breiten Kundenbasis keine bedeutende Rolle.
SAP, Oracle und Microsoft greifen an
Und für die Kleinen wird es zunehmend schwer: SAP, Oracle und Microsoft werfen ihre Marktmacht in den Ring und versuchen, die Kunden von ihren Integrationsplattformen zu überzeugen. SAP stellt seit einiger Zeit seine Integrationsplattform "Netweaver" in den Mittelpunkt der Produktstrategie, Oracle hat durch die Übernahme des BPM-Anbieters (Business Process Management) Collaxa im vergangenen Jahr das Integrations-Know-how zugekauft. Beide Anbieter verfügen somit nicht nur über die unternehmenskritischen Anwendungen, sondern können ihren Kunden auch die notwendige Infrastruktur zur Integration der Applikationen und Prozesse anbieten. "SAP und Oracle haben den Kundenbedarf verstanden", urteilt Nußdorfer. Allerdings sieht er den Reifegrad der Gesamtangebote noch skeptisch: "Bei SAP sind die Schnittstellen zur Non-SAP-Welt noch nicht universell einsetzbar. Oracle dagegen hat noch keine große Marktakzeptanz und müsste das Produkt strategisch positionieren." Vor allem bei SAP rechnet er jedoch damit, dass der Netweaver-Ansatz noch deutlich besser wird und die Walldorfer eine breit einsetzbare Lösung schaffen werden.
Trend zum Business Process Management
Nußdorfer beobachtet einen grundlegenden Trend hin zu BPM-Tools im Integrationsmarkt. Dabei kommt die eine Seite der Anbieter wie SAP oder Oracle von den Geschäftsprozessen her, und sie unterlegen ihr Portfolio mit Integrationswerkzeugen. Die klassischen EAI-Anbieter hingegen versuchen, von der technischen Seite in das Prozessmanagement vorzudringen. Allerdings sieht Nußdorfer bei beiden Anbietergruppen noch Nachholbedarf im jeweils neuen Feld. Sein Rat: "Die Anwender kommen um eine gemäßigte Vielfalt mit zwei bis drei Tools nicht herum, kein Werkzeug deckt heute alle Integrationsaufgaben perfekt ab."
Eine extreme Marktkonsolidierung wie etwa bei Datenbankanbietern, bei der nur wenige Player übrig bleiben, erwartet Nußdorfer nicht. Viele verschiedene Standards und unterschiedliche Anforderungen einzelner Branchen lassen genug Platz für spezialisierte Nischenanbieter mit perfekt angepassten Produkten.
Dagegen sieht Analyst Andreas Bitterer von Meta Group stärkere Marktbewegungen: "Viele traditionelle EAI-Unternehmen werden sich in den kommenden zwei bis drei Jahren vom Markt verabschieden, die Infrastrukturanbieter mit ihrem Plattformansatz machen das Integrationsgeschäft zum größten Teil unter sich aus." Die Konsolidierung habe bereits begonnen. Den vier großen Spielern IBM, SAP, Oracle und Microsoft stellt Bitterer ein grundsätzlich gutes Zeugnis aus. IBM habe unter dem Markennamen "Websphere" eine leistungsfähige Middleware versammelt und werde damit auch erfolgreich am Markt agieren. Allerdings wirke sich die Namensgleichheit zum ehemaligen Websphere-Applikationsserver negativ aus, die Wahrnehmung beeinflusse die Kunden noch sehr. Als größten Mitbewerber zu Big Blue sieht Bitterer Bea Systems, die mit ihrer Integrationsplattform Weblogic eine technologisch breit aufgestellte und vom Markt akzeptierte Infrastruktur anbieten können.
SAP habe gerade in Deutschland den Vorteil einer extrem breiten Kundenbasis. Zudem benötigen die Walldorfer die Netweaver-Technologie selbst, um ihre monolithische Anwendungslandschaft in SOA-Applikationen (Service Oriented Architecture) zu überführen.
Großes Potenzial sieht Bitterer auch bei Oracle. Obwohl der Anbieter in Sachen Integration erst seit kurzem am Markt ist und so gegenüber den Vorreitern wie Webmethods oder Tibco einigen Nachholbedarf habe, sei Oracle in der Lage, alle Komponenten einer End-to-End-Integration aus einer Hand anzubieten: "Oracle ist bei den Anwendungen und bei der Infrastruktur sehr gut aufgestellt." Allerdings habe der Datenbank-Riese durch die Übernahme von Peoplesoft nun alle Hände voll zu tun, um die Fusion umzusetzen.
Schwieriger Marktzugang für Microsoft
Eine Schwierigkeit sieht Bitterer beim Softwarekonzern Microsoft. Mit der neuen Version des "Biztalk"-Servers haben die Redmonder zwar eine technisch überzeugende Integrationsplattform mit respektablen Kundenreferenzen am Markt. Allerdings fehle Microsoft oft der Zugang zu den Chefetagen der großen Konzerne, die Gates-Company sei hier oft auf Partner angewiesen, die die Türen öffnen. Ein weiteres Plus bei IBM ist für Bitterer, dass IBM im Gegensatz zu Microsoft alle notwendigen Dienstleistungen aus einer Hand erbringen kann. Denn in einem Integrationsprojekt entfalle der größte Teil der Investitionen auf die Services.
Bitterer sagt dem Integrationsgeschäft eine gute Zukunft voraus. Viele Firmen hätten sich noch nicht mit der Prozessintegration befasst, Prozesslücken und separate Datensilos seien vielerorts noch anzutreffen: "Die Anwenderprobleme und der Markt für Integrationsplattformen sind da. Doch in der ersten EAI-Welle sei viel Geld in Projekte mit zweifelhaftem Erfolg versenkt worden, der frühere Ansatz war aus seiner Sicht zu technisch. Die Ernüchterung bei vielen Early Adopters hemmt noch immer die Investitionsbereitschaft.
Auch Wolfgang Martin, Inhaber der Unternehmensberatung Wolfgang Martin Team, sieht die kleineren Integrationsanbieter künftig in Nischenmärkten: "Die vier Großen werden dominieren. Die kleineren Firmen wie Bea oder Webmethods haben weder die Marktdurchdringung noch die Macht, um dagegenzuhalten." Tibco habe sich beispielsweise als hoch innovativer Anbieter mit technischem Vorsprung platzieren können und sei bei Anwendern, die nach der neuesten Technologie Ausschau halten, gut positioniert.
Schlechtes Marketing der Anbieter
Auch das israelische Unternehmen Magic mit seiner "I-Bolt"-Plattform habe sich einen zukunftsträchtigen Markt gesichert: Magic hat vor kurzem in den USA ein Abkommen mit SAP geschlossen und liefert die Integrationsplattform für "SAP Business One", die Mittelstandslösung der Walldorfer. "Netweaver ist hier viel zu groß. Ich erwarte, dass Magic und SAP diese Vereinbarung auch auf Europa ausweiten", so Martin.
Eine große Herausforderung für viele Hersteller, die sich in diesem Bereich etablieren wollen, ist laut Martin das Marketing. Hier vergibt der Berater teilweise schlechte Noten: "Computer Associates zum Beispiel hat Anfang März die erste ernsthafte Presseinformation zu seiner Integrationsplattform Cleverpath Aion im deutschsprachigen Raum herausgegeben." Und auch Oracle vermarktet sein im vergangenen Jahr gekauftes Produkt Collaxa bisher schlecht, obwohl es sich um gute und ausgereifte Software handelt. Um sich gegen die Marktmacht von SAP speziell im deutschsprachigen Raum zu behaupten, müsse aber ein entsprechendes Marketingbudget eingesetzt werden: "Oracles Wahrnehmung als Applikationsanbieter wird besser, nicht zuletzt durch die Peoplesoft-Übernahme. Hier besteht aber noch immer Nachholbedarf."
Auf die kleineren Integrationsspezialisten kommen schwierige Zeiten zu, so das einhellige Urteil der Marktbeobacher. Obwohl die großen Anwendungs- und Infrastrukturanbieter noch nachbessern müssen, setzt sich der allgemeine Trend auch hier fort: Anwender wollen möglichst große, wirtschaftlich starke Partner, die über ein breites Portfolio und Expertise in allen wichtigen Teilen der Unternehmens-IT verfügen.