Aus den Hallen strömt der Geruch von Öl und Metall. Maschinen lärmen. Ingenieure schrauben an den riesenhaften Turbokompressoren für Prozessluft und -gase sowie an Turboexpandern für Tieftemperatur, Prozess- und Erdgasanwendungen. Zu den Kunden der Atlas Copco Energas (ACE) zählen die chemische Industrie, Kraftwerke oder die Öl- und Gasindustrie. "Wir sind ein Projekt-, kein Serienfertiger", erklärt Qualitätsmanager Uwe Menter, "es kommt alle Jubeljahre mal vor, dass wir dieselbe Maschine zweimal bauen."
Folglich scheuen sich die ACE-Manager auch nicht, in der IT einmalige Lösungswege zu gehen. Seit fast 20 Jahren setzen die Kölner SAP R/2 ein. Jetzt migriert das Unternehmen ohne Zwischenschritte auf R/3 Enterprise Release 4.7. Das ist kein leichtes Unterfangen: Die alte Lösung unterstützte die spezifischen Anforderungen eines Einzelfertigers nur bedingt, daher wurden in der Vergangenheit viele Anpassungen und Erweiterungen am Kernsystem vorgenommen. Daneben integrierte ACE eine Reihe verschiedener Fremdapplikationen, unter anderem Paisy für die Personalverwaltung oder Inteps für die Konstruktionssteuerung.
Nach dem Willen der schwedischen Muttergesellschaft, dem schwedischen Industriekonglomerat Atlas Copco A.B., sollen die selbst gestrickten Anwendungen jetzt nicht nur in Köln, sondern konzernweit durch Standardfunktionen ersetzt werden. Zentralisieren und Outsourcen lautet die Devise der Schweden, die sie 2003 im Rahmen einer auf 20 Jahre ausgelegten IT-Strategie beschlossen haben. ACE übernimmt hierbei eine Vorreiterrolle für den Gesamtkonzern. Für die Kölner war der Druck besonders hoch, da SAP ab Ende dieses Jahres R/2 nicht mehr unterstützen wird.
Umweg über R/3 4.6c entfällt
Als Berater holten sich die Kölner das Unternehmen Uniorg aus Dortmund ins Haus. "Entscheidend war das Uniorg-Konzept, das entgegen der Empfehlung von SAP die direkte Migration auf das aktuelle R/3 Release 4.7 gewährleistet", begründet Menter, dem auch die Leitung des Projektes obliegt, seine Wahl. "Damit entfällt der Umweg über das Release 4.6c, was dann später wieder zu einem zusätzlichen Aufwand geführt hätte." Dass SAP selber diesen Weg zunächst kritisch kommentierte beziehungsweise keine Garantie für ein Gelingen bieten wollte, ärgert die Kölner im Nachhinein. Erst nachdem mit der Deutsche Bahn AG ein prominenter Kunde von R/2 gleich auf Mysap ERP umstieg, wurden die Töne aus Walldorf versöhnlicher.
Bei aller Kritik räumt jedoch auch SAP ein, dass die geringe Zahl der noch verbliebenen R/2-Kunden den Aufwand zur Entwicklung der Migrations-Tools nicht gelohnt hätte und man diese zudem nicht mehr rechtzeitig zur Verfügung hätte stellen können. "Die Tools hätten frühestens im ersten Quartal 2004 zur Verfügung gestanden" so die Walldorfer auf Anfrage. "Der dann noch zur Verfügung stehende Zeitraum hätte nicht mehr ausgereicht, um ein Migrationsprojekt vernünftig vor Ende des Produktlebenszyklus von R/2 (31.12.2004) zu beenden."
Für ACE hätte die Schleife über Release 4.6c unnötigen Mehraufwand bedeutet. "In 4.7 sind Funktionalitäten, die wir benötigen", erklärt Menter seine Vorliebe für den Release-Stand Enterprise (4.7). "Mit einer Version 4.6c hätten wir wieder anfangen können, das System um weitere Add-ons zu ergänzen." Vor allem das für die Integration der Unternehmensprozesse wichtige Modul Projektsteuerung (PS) hätte nicht in vollem Umfang in der Version 4.6c zur Verfügung gestanden.
Der Zeitrahmen für das Projekt wurde mit 15 Monaten eng gesteckt. "Wir haben bis Ende des Jahres Zeit, wollen aber Anfang Oktober fertig sein", sagt Menter. Geplant ist eine Big-Bang-Migration, also die R/2-Installation zu einem festen Stichtag auf R/3 umzustellen. Mit sportlichem Ehrgeiz hat dies allerdings wenig zu tun, für ACE ist dies vielmehr die einzig durchführbare Möglichkeit. "Ein Parallelbetrieb ist von unserer Datenstruktur her illusorisch", erklärt IT-Leiter Werner Thelen. "Wenn sämtliche Anwendungen doppelt laufen, besteht die Gefahr, dass wir uns verzetteln." Er denkt dabei an die letzte Migration auf R/2 5.0j vor sechs Jahren und an die Fehler, die damals gemacht wurden. Um die Umstellung nicht zu mächtig werden zu lassen, entschloss man sich seinerzeit, viele Daten zu löschen. "Wir mussten kappen", erinnert sich Thelen. "Und alles, was älter als sieben oder acht Jahre war, verschwand."
Für den Produzenten, dessen Maschinen über Jahrzehnte im Einsatz sind, stellte sich diese Entscheidung letztlich als fatal heraus. "So vor die Wand fahren wollen wir nicht noch einmal." Denn die Kunden von ACE beginnen im Schnitt erst fünf Jahre nach dem Kauf, Ersatzteile anzufordern. Da jede Maschine eine Sonderanfertigung ist, müssen sämtliche Daten - vom Auftragseingang über die Dokumentation und die Zeichnungen bis hin zur Bauweise einzelner Komponenten - rund 20 Jahre griffbereit sein. Bis zu 1500 Ersatzteile werden jährlich geordert; müssen die Angaben erst umständlich nachgeforscht werden, behindert das den gesamten Geschäftsablauf.
Im Augenblick ist die wesentliche Herausforderung der Kölner die Aufbereitung und Zusammenführung dieser Daten aus den unterschiedlichen Anwendungen. Hier schwebt nämlich noch ein großes Fragezeichen über dem Projekt, denn im Zuge der jetzigen Migration wird ACE das erste Mal sämtliche Geschäftsdaten auslesen, ohne genau zu wissen, wie viel Zeit dies in Anspruch nehmen wird. Bislang erfolgte beispielsweise die Terminierung nicht über das SAP-System. Dies hatte zur Folge, dass in den einzelnen Abteilungen unzählige Tools noch nebenbei liefen und gesondert mit Daten gefüttert wurden. "Jede Abteilung weiß genau, was sie bei sich bearbeitet, aber den Überblick hat keiner", sagt Thelen.
Mit den Schritten, die bislang gemacht wurden, sind alle Beteiligten zufrieden. Erste Tabelleninhalte konnten übernommen werden und werden nun von den Fachabteilungen überprüft. Noch hält sich deren Aufwand allerdings in Grenzen. Er wird erst mit dem Anstieg des Datenvolumens wachsen. Richtig knifflig wird es, wenn die Daten der noch offenen Fertigungsaufträge übertragen werden müssen. "Schließlich wollen wir so damit arbeiten, als ob es R/2 nie gegeben hätte", wünscht sich Thelen.
Key User investieren 70 Prozent ihrer Zeit
Rund 35 ACE-Mitarbeiter sind in das Projekt involviert. Geplant ist, dass die Key User rund 70 Prozent ihrer Zeit dem Projekt widmen müssen. Noch wird in getrennten Arbeitsgruppen gearbeitet, doch mit Fortschreiten des Projekts, wenn etwa die Überführung der Service-Abwicklung oder des Ersatzteilmanagements an die Reihe kommen, werden die einzelnen Bereiche zunehmend Hand in Hand arbeiten müssen. Um an den echten Datenbeständen und Prozessen lernen zu können, wurde eigens ein Trainingszentrum eingerichtet, in dem bis zu zehn Mitarbeiter geschult werden können.
Eine weitere Herausforderung im Rahmen der Migration ist die Montageabwicklung mit bewertetem Projektbestand über das Modul Projektsteuerung, da diese bisher selten implemetiert wurde. Für den Abgleich zwischen den Planwerten und dem tatsächlichem Ablauf, der inklusive aller Kostenelemente überschaubar sein soll, gibt es keine Standardlösung. Nicht nur innerhalb des eigenen Konzerns kann man von diesen Erfahrungen profitieren.