IBM kennt sich aus mit Wettbewerbsklagen. Prominente Beispiele der vergangenen Jahre heißen PSI, T3 oder CCIA. Das Start-up Platform Solutions (PSI) hatte Big Blue noch Anfang 2007 "Monopolmissbrauch" und "unlauteren Wettbewerb" vorgeworfen, bevor IBM die Firma Mitte 2008 kaufte. Im Januar 2009 reichte dann die US-Firma T3, ein Reseller von PSI-Systemen, bei der EU eine Anti-Trust-Klage gegen IBM ein. Eine Klage gleichen Inhalts hat das US-Department of Justice (DOJ) zwar im Oktober in den USA zurückgewiesen. Dafür befasst sich das DOJ aber seit September näher mit einer Anti-Trust-Klage der Computer and Communications Industry Association (CCIA) gegen IBM. Mitglieder der CCIA sind unter anderem AMD, eBay, Fujitsu, Google, Microsoft, Oracle, Red Hat und Yahoo. Microsoft hat in T3 investiert, wie schon vorher in PSI.
Noch in den 80er-Jahren hatte IBM etwa 80 Prozent des Server-Markts dominiert. Der Anteil ist inzwischen auf ungefähr 30 Prozent gesunken, wobei die Mainframes, die besonders in großen Unternehmen und in öffentlichen Institutionen eingesetzt werden, nach wie vor ein so verlockendes Geschäft sind, dass sich viele Konkurrenten gerne ein paar Scheiben davon abschneiden würden. Kein Wunder, dass man bei IBM ein wenig nervös ist.
Neuester Anlass: Das US-Unternehmen Neon hat mit "zPrime" ein Tool entwickelt, das zwischen unterschiedlichen Workloads und CPUs im Mainframe umschalten kann. Eine solche Möglichkeit für den Offload von Prozessorlast hat IBM selbst vorgesehen, um Workloads je nach Applikation und Anforderung automatisch von den General-Purpose-CPUs zu den Specialty Engines zIIP (z Integrated Information Processor) und zAAP (z Application Assist Processor) zu verschieben.
Mit den zIIP-Engines werden rechenintensive Work-loads wie zum Beispiel für Datenbanken erledigt, während zAAP mehr für Applikationen mit Java-Code bereitsteht. Für Specialty Engines wie zIIP und zAAP hatte IBM deutlich günstigere Preise festgelegt, um auch solche Anwendungen auf den Mainframe zu holen, die sonst eher in der Unix- oder x86-Welt zu Hause sind. Wer mit Neons zPrime automatisch mehr Rechenoperationen auf die beiden Specialty Engines rüberziehen kann, spart Millionen Euro pro Jahr.
Mehr ein juristisches Problem
Wie Michael Weiß, deutscher Region Manager der Mainframe-Anwendergruppe GSE (Guide Share Europe), berichtet, hat sich die Problematik von der technischen auf die juristische Ebene verschoben: "Viele Unternehmen, die IBM-Mainframes einsetzen, haben zPrime gründlich technisch geprüft und stehen einem Einsatz positiv gegenüber. Hauptmotivation ist dabei die Reduktion der Kosten. Die juristische Evaluierung gestaltet sich hingegen ungleich komplexer und langwieriger." Da die Reaktion von IBM unklar ist, schließen sie erst einmal keine Verträge mit Neon ab. In den USA sollen sich 20 Kunden öffentlich zu ihrem Neon-Einsatz bekannt haben, in Deutschland ist es gerade einmal ein Unternehmen. Die anderen – und das sind Hunderte große Unternehmen und Regierungsstellen – warten ab.
Mark Anzani, IBMs Vice President and Chief Technology Officer und in dieser Funktion für die gesamte System-z-Plattform verantwortlich, hat in einem Brief an IBM-Kunden die Sicht von Big Blue zu der zPrime-Software dargestellt. Bezeichnenderweise verbreitete der IBM-Manager dabei eher allgemeine juristische Formeln. Anzani schreibt: Bevor Anwender Arbeitslasten von Applikationen, die nicht explizit für die Nutzung auf den Specialty Engines deklariert sind, auf die zAAP- und zIIP-CPUs übertragen, sollten sie vorher prüfen, ob sie nicht gegen IBMs Customer Agreement oder gegen Big Blues "Licensed Internal Code" (LIC) verstoßen. Anzani betont, dass nur solche Software, die von IBM ausdrücklich als zIIP- und zAAP-konforme Applikationen ausgewiesen ist, auf diesen Specialty Engines eingesetzt werden darf. Kunden, die sich nicht an IBMs Program License Charges halten, müssten damit rechnen, dass die Lizenzgebühren steigen könnten.
Für den Analysten Rakesh Kumar von Gartner liegt der Ball weiterhin bei IBM. Gartner geht davon aus, dass IBM an einer technischen Lösung arbeitet, um das Loch wieder zu schließen, das Neons zPrime erst ermöglicht hat. Für IBM hängt sehr viel davon ab, denn die Aufspaltung der Prozessoren und Workloads in eine Abteilung zur Bestandssicherung des Legacy Business (mit hohen Preisen) und eine alternative Abteilung (auf der gleichen technischen Basis, aber zu niedrigeren Preisen), um neue Applikationen auf den Mainframe zu holen, ist die Conditio sine qua non, um das Geschäft mit den Großrechnern langfristig zu retten. Und das macht etwa 25 Prozent des gesamten Umsatzes von IBM aus.