Das Jahr 2004 war kein gutes Jahr für die Saarbrücker Cosmos Direkt Versicherungen. Bei einer Marktuntersuchung zum E-Mail-Service von Versicherungen landete das Unternehmen auf Platz 82 von 100 Testteilnehmern. "Mit dem Ergebnis konnten wir natürlich nicht zufrieden sein und haben das zum Anlass für eine komplette Reorganisation der E-Mail-Prozesse genommen", sagt Thomas Stürmer, IT-Leiter und Geschäftsführer der Dienstleistungstochter Cosmos Finanz-Service GmbH. Seit vergangenem Jahr verteilt nun ein auf künstlicher Intelligenz (KI) basierendes System automatisch die eingehenden E-Mails an den richtigen Sachbearbeiter. Zuvor mussten Mitarbeiter die E-Mails aus dem Sammel-Account händisch an den jeweiligen Sachbearbeiter weiterleiten.
Das neue Response-System versieht jetzt die ankommenden E-Mails auch mit einer aus Textbausteinen zusammengesetzten Antwort-E-Mail. Der zuständige Sachbearbeiter muss die vorgefertigte Antwort-E-Mail nur noch bearbeiten und eventuell noch leicht ändern. "Wir konnten gleichzeitig die inhaltliche Qualität und die Reaktionszeit verbessern und die durchschnittliche Bearbeitungszeit um etwa ein Viertel verkürzen", sagt Stürmer.
Das E-Mail-System sortiert und verfasst die Antworten auf Basis der Einordnung in unterschiedliche Kategorien, wie etwa "Schadenmeldung Hausrat", "Angebot Kfz-Versicherung" oder "Beschwerde Lebensversicherung". Insgesamt gibt es zurzeit 75 Kategorien. "Die Erkennung der eingehenden E-Mails liegt bei über 90 Prozent", sagt der IT-Leiter. Etwa 250 Mails durchlaufen jetzt täglich das System.
Für die größte deutsche Versicherung ohne Geschäftsstellen, Außendienst und Maklervertrieb spielt Service eine besonders wichtige Rolle. "Mit einer automatisch generierten Antwort, dass wir die E-Mail erhalten haben und uns darum kümmern, ist heute kein Kunde mehr zufrieden", weiß Stürmer. Deshalb lautet seine Vorgabe: eine qualifizierte Antwort - spätestens nach 24 Stunden.
Dreh- und Angelpunkt der E-Mail-Verarbeitung ist jetzt das Response-System "Mailminder" des Saarbrücker Anbieters Xtramind. Es sortiert Mails nach dem patentierten, auf KI-Algorithmen basierenden Mustererkennungsverfahren "Advance Pattern Recognition". Xtramind ist ein Spin-off aus dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), wo auch das Verfahren entwickelt wurde.
Erkennung ohne Schlüsselworte
Anders als Selektionsmethoden, die auf dem Auffinden von Schlüselwörtern beruhen, erkennt das System wiederkehrende Muster, die mit reiner Worterkennung unentdeckt bleiben. E-Mails klassifiziert die Lösung selbst dann korrekt, wenn die Schlüsselworte im Text gar nicht vorkommen. Schreibt ein Kunde beispielsweise eine Schadensmeldung für die Kfz-Versicherung, ohne dass das Wort "Schaden" oder "Kfz" im Text vorkommt, wird die E-Mail trotzdem richtig zugeordnet.
Für KI-Liebhaber: Als Ergebnis einer linguistischen Voranalyse entsteht ein Standardtext (normalisieren), der dann mit Wahrscheinlichkeitsverfahren klassifiziert wird. Die gute Nachricht für Laien: In der Praxis läuft das viel einfacher: "Wir haben das System anfänglich mit jeweils 20 bis 30 E-Mails einer Kategorie gefüttert. Das reicht, um das Muster zu erkennen - danach läuft die Kategorisierung vollautomatisch", sagt IT-Leiter Stürmer. Ihm war außerdem sehr wichtig, dass sich das System einfach warten, anpassen und erweitern lässt. Stürmer: "Wir wollten auf keinen Fall IT-Kapazitäten mit der Systemwartung und Konfiguration binden. Am Mailminder können zwei Sachbearbeiter alle nötigen Anpassungen selbst machen."
KI-Lösungen sind umstritten
Stürmer hat selbst während seiner Informatikausbildung an der Universität Erlangen mit dem Schwerpunkt Künstliche Intelligenz studiert und war sowohl beim DFKI als auch beim IBM-Wissenschaftszentrum in Heidelberg als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich KI tätig. Aber es war nicht die Faszination der KI-Algorithmen, die ihn von der Lösung überzeugte: "Gerade KI-Lösungen gelten bei professionellen Anwendungen oft noch als wenig performant und nicht wirklich praxistauglich“, sagt Stürmer. Entscheidend waren für ihn letztlich zwei Faktoren: Gartner hatte die Lösung ausgezeichnet bewertet, und die Testphase bei Cosmos übertraf die Erwartungen.
Die Integration des Mailminders in die Lotus-Notes-Umgebung - dem Mail-Standard des Cosmos- Mutterkonzerns AMB-Generali - verlief reibungslos. "Innerhalb von vier Wochen war das System eingerichtet und in Betrieb genommen", blickt Stürmer zurück. "Am längsten hat es gedauert, die Berechtigungen und Freischaltungen in den Produktionssystemen zu organisieren."
Inzwischen liegt die Direktversicherung bei Marktstudien immer auf den vordersten Rängen. Um auch in Zukunft oben zu bleiben, plant Stürmer zurzeit den Ausbau des Systems: "Wir wollen in Zukunft unseren gesamten Brief- und Faxverkehr mit dem Response-System verarbeiten. Wir scannen ohnehin schon den gesamten Schriftverkehr für die Archivierung."