Viele SAP-Anwender suchen immer noch nach der für sie passenden Transformationsmelodie. Das wurde wieder einmal auf dem diesjährigen Jahreskongress der Deutschsprachigen SAP-Anwendergruppe (DSAG) deutlich, den die Veranstalter unter das Motto "Dreiklang der Zukunft: Anwender, SAP und Partner als Taktgeber der Transformation" stellten. Von einem Wohlklang kann allerdings keine Rede sein. Misstöne stören deutlich hörbar die Harmonie zwischen SAP und ihren Kunden.
Das belegen Zahlen aus Umfragen der Usergroup. Diesen zufolge gibt die Hälfte der befragten SAP-Anwender nach wie vor an, bis dato noch nicht sehr weit mit der eigenen digitalen Transformation gekommen zu sein. Mit der Geschwindigkeit des Wandels auf technischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ebene könnte demnach gerade einmal gut jeder Zehnte der Befragten problemlos mithalten, 59 Prozent einigermaßen und ein knappes Viertel ist offenbar aus dem Transformationstakt und hat schon den Anschluss verloren.
Cloud ist der richtige Weg, aber auch on-premises
Inwieweit SAP mit ihrem strikten Cloud-Kurs den Kunden in Sachen digitaler Wandel unter die Arme greifen kann, ist unklar. Immerhin bestreitet bei der DSAG heute niemand mehr, dass die Cloud ein wesentlicher Treiber in der digitalen Transformation von Unternehmen ist. "Aus DSAG-Sicht sind Cloud und Cloud-Enterprise-Resource-Planning-Systeme (Cloud-ERP) für viele Anwendungsfälle und Branchen der richtige Weg", sagte Jens Hungerhausen, Vorstandsvorsitzender der DSAG.
Aber auch On-Premises-Systeme würden aus DSAG-Sicht noch einige Zeit eine hohe Relevanz behalten, stellte der DSAG-Chef klar. Das betreffe beispielsweise Branchen mit hoher Prozesskomplexität, oder sei aufgrund von rechtlichen beziehungsweise datenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen oder individuellen Anforderungen erforderlich. "Die Zukunft wird also auch weiterhin hybrid sein", ist Jens Hungershausen überzeugt. "Einfach zack in die Cloud, geht nicht."
Doch mit Blick in diese Zukunft treiben die SAP-Anwender nach wie vor viele Fragen um. Zum Beispiel, wie sie den Mehrwert der Cloud nutzen können und nach der Flexibilität des Betriebsmodells. Zudem müsse klar ersichtlich sein, welche Kosten mit einer vermehrten Cloud-Nutzung einher gingen oder auch durch die Nutzung von nachgelagerten Services anfallen könnten.
Viele Anwender fühlen sich von SAP-Innovation abgehängt
Neben den Kosten beschäftigt die SAP-Klientel auch das Thema Innovationen. Diese dürften nicht nur in der Cloud zur Verfügung gestellt werden, fordern die Anwendervertreter und sehen Diskussionsbedarf mit ihrem Softwarelieferanten. "Die Benachteiligung von On-Premises-Kunden bei Innovationen, der wahrgenommene Druck bezüglich einer Umstellung auf die Cloud und die zunehmende Abhängigkeit von SAP seien exemplarisch genannt", merkte Hungershausen an.
SAP hatte im vergangenen Jahr angekündigt, neue Features und Funktionen vor allem rund um künstliche Intelligenz (KI) und das Hype-Thema Generative AI nur noch seinen Cloud-Kunden mit dazu passenden RISE- beziehungsweise GROW-Verträgen zu offerieren. On-Premises-Anwender sowie Kunden, die mit dem Update auf S/4HANA im eigenen Rechenzentrum geblieben sind, bleiben außen vor. An dieser Prämisse halten die Walldorfer weiter fest.
SAP-Vorstand Thomas Saueressig, der den Bereich Customer Services & Delivery verantwortet, beteuerte zwar, alle Kunden mitnehmen und vor allem auch den Weg in Cloud einfacher machen zu wollen. Auf dem DSAG-Kongress machte der SAP-Manager aber auch klar: "Die Cloud ist Voraussetzung für SAPs KI."
Diese Botschaft kommt bei den Anwenderunternehmen indes gar nicht gut an. "SAP lässt zahlreiche treue Kunden im Regen stehen", schimpfte Hungershausen vor einem Jahr auf dem DSAG-Jahreskongress in Bremen. In Leipzig auf dem Jahreskongress 2024 Mitte Oktober bemühte sich der DSAG-Vorstandsvorsitzende zwar um einen konzilianteren Ton. An den grundlegenden Meinungsverschiedenheiten hat sich indes nichts geändert. Dass sich SAP in Sachen KI primär auf die Cloud konzentriere, "bietet allerdings Stoff für angeregte Diskussionen zwischen DSAG und SAP über die Anbindung, beziehungsweise Nutzung der entsprechenden Ergebnisse auch in den On-Premises-Systemen", hieß es in einer Mitteilung der Anwendervereinigung.
KI-Modelle müssen ja nicht von SAP kommen
Die DSAG-Verantwortlichen lassen unmissverständlich durchblicken, dass es andere Wege gebe, KI einzusetzen. Die Features müssten nicht zwangsläufig von SAP kommen. Der Generative AI Hub in der SAP Business Technology Platform (BTP) ermögliche schließlich den Zugriff auf große Sprachmodelle wie zum Beispiel von Amazon Web Services (AWS), Google oder Microsoft, stellte die DSAG fest. Algorithmen und KI-Modelle könnten von den Partnern kommen, während SAP weiterhin die unternehmensspezifischen Geschäftsdaten beisteuere.
Ob es sich SAP auf lange Sicht leisten kann, die Anforderungen seiner Klientel zu ignorieren, bleibt abzuwarten. Neben Transparenz hinsichtlich KI-Einsatz und Datengrundlage sowie den zugrundeliegenden Preismodellen verlangen die Kunden, dass sich KI-Lösungen in bestehende Systeme einbetten lassen. Das halten 85 Prozent der Anwender für wichtig oder sehr wichtig, hat eine gemeinsam mit der Americas SAP User Group (ASUG) initiierte Umfrage ergeben. Die Möglichkeit, KI unabhängig vom SAP-Betriebsmodell vor Ort einsetzen zu können, besitzt für rund zwei Drittel der befragten User eine hohe Priorität.
Hungershausen erinnerte SAP an ihre in der Vergangenheit gemachten Zusagen. "Unabhängig vom SAP-Betriebsmodell agieren zu können, ist vor dem Hintergrund essenziell, dass SAP mit der Wartungsverlängerung bis 2040 zugesichert hatte, Innovationen für S/4HANA konsequent und langfristig bereitzustellen", kommentierte der DSAG-Chef die aktuellen Diskussionen. Was für die S/4HANA Private Cloud gelte, müsse auch für S/4HANA On-Premises mit identischem Leistungsumfang verfügbar sein.
Der Forderungskatalog der DSAG an SAP umfasst entsprechend sechs Punkte:
Die Unternehmen benötigen eindeutige Antworten, zum Beispiel wie sie den Mehrwert von Cloud-Lösungen nutzen können und zur Flexibilität des Betriebsmodells.
Es braucht klare Perspektiven, vor allem für Produkte, die bis 2027 auslaufen. Neue Lösungen, auf die dann gegebenenfalls migriert werden soll, müssen dann entsprechend ausgereift sein.
Was für die S/4HANA Private Cloud gilt, muss auch für S/4HANA On-Premises mit identischem Leistungsumfang verfügbar sein. On-Premises-Kunden dürfen durch Innovationen exklusiv für die Cloud-Produkte nicht benachteiligt werden.
Bereits vorhandene als auch geplante Möglichkeiten, KI zu nutzen, müssen noch transparenter vermittelt werden.
Angemessene und transparente Preismodelle, die sich am Reifegrad und Umfang einer KI-Funktionalität orientieren, sind ebenso notwendig, wie die Bereitstellung von KI-Innovationen für alle S/4HANA-Kunden, unabhängig vom Betriebsmodell.
Referenzarchitekturen, Best-Practices-Guides und Standards für Integrationsszenarien und -technologien, inklusive einheitlicher Regelungen zur Integration von KI-Modellen in SAP-Applikationen und der Datennutzung müssen entwickelt und verfügbar gemacht werden.