Eine der Ideen hinter der Europäischen Union war die Schaffung eines einheitlichen, grenzübergreifenden, europäischen Wirtschaftsraums und der Abbau von Handelsschranken zwischen den Mitgliedsstaaten. Während man dem Ziel in vielen Wirtschaftsbereichen schon näher gekommen ist, steckt die Umsetzung eines digitalen Binnenmarkts noch in den Kinderschuhen.
"Die im Vergleich zu den USA oder China sehr kleinteilige Struktur des digitalen europäischen Wirtschaftsraums ist für europäische Unternehmen ein Wettbewerbsnachteil", sagt Heiko Meyer, Vorsitzender der Geschäftsführung der Hewlett-Packard GmbH und Mitglied im Board of Directors der American Chamber of Commerce in Germany, die sich für schrankenlose Handels- und Investitionsbeziehungen zwischen Deutschland und den USA einsetzt. Beim Datenschutz, Speicherung digitaler Unterlagen und Datensicherheit muss ein europäisches Unternehmen sein digitales Angebot nach wie vor an bis zu 28 unterschiedliche Rahmenbedingungen anpassen.
Europa: Digitalmarkt mit 500 Millionen Nutzern
Im Zuge der Diskussion um die NSA- und GCHQ-Überwachung sind Initiativen entstanden, die auf die Schaffung nationaler Clouds abzielen. Solche Bemühungen widersprechen aber einerseits der Idee eines gemeinsamen europäischen Wirtschaftsraums und können andererseits die Wettbewerbsnachteile europäischer Anbieter nicht abbauen. "Mit einer einheitlichen europäischen Lösung würde ein riesiger Digitalmarkt mit über 500 Millionen Einwohnern entstehen. Sie bietet zudem den Vorteil, dass die europäische Datenschutz- und Sicherheitskultur politische, und ökonomische Macht entfalten könnte", erklärt Meyer.
Zentralismus, Protektionismus und dem freien Spiel des Marktes, die zu einer Dominanz der großen Anbieter führten, macht der HP-Manager eine klare Absage. Vielmehr verfolgt er bei der Schaffung eines einheitlichen europäischen Digitalmarkts eine föderale Strategie. "Subsidiarität und Wettbewerb müssen Grundprinzipien unseres Weges in die Digitalisierung sein. Die Macht der Vielen sollte zum Kennzeichen eines europäischen Weges werden", sagt Meyer.
Fairer Wettbewerb der Cloud-Anwendungen
Die Vorlage für HPs Konzept eines europäischen Cloud-Marktes liefern die digitalen App-Marktplätze. Sie nutzen eine zentrale Betriebsplattform, die von einem Betreiber gemanagt wird. Auf diesem Marktplatz erreichen alle Unternehmen - von der Kleinstfirma bis hin zum IT-Konzern - eine große Zahl potenzieller Kunden. Somit herrscht anstatt einem Wettbewerb zwischen großen und kleinen Anbietern ein Wettbewerb der Anwendungen. Der zentrale Marktplatz sorgt für einheitliche Rahmenbedingungen bei Qualität, Geschäftsbedingungen und Sicherheit.
"Das Prinzip der App-Stores beruht auf der Kombination aus zentral kontrollierter Handelsplattform und dezentraler Entwicklung von Cloud-Diensten sowie deren Betrieb bei lokalen IT-Dienstleistern entsprechend der lokalen Gesetzgebung und den individuellen Anforderungen an Leistung, Verfügbarkeit und Sicherheit", erläutert Meyer.
Quelloffenheit und Standards für europäische Cloud
Das HP-Konzept sieht einen zentralen EU-Marktplatz für Cloud-Dienste vor, der von einer Non-Profit-Organisation betrieben wird. Sie stellt sicher, dass die Qualität der Standards und die Kontrolle ihrer Einhaltung nicht Opfer zu hoher Renditevorgaben werden. Die benötigten Standards sind derzeit Gegenstand von EU-finanzierten Entwicklungsprojekten. An ihnen sind europäische Forschungseinrichtungen, IT-Firmen und Anwender-Organisationen beteiligt.
Das Cloud Accountability Project, kurz A4Cloud, entwickelt Methoden und Werkzeuge, die es erlauben die Privatsphäre und die Informationsvertraulichkeit in der Cloud zu bewahren. Das Vertrauen in die Betreiber und in die Einhaltung der Datenschutzrichtlinien zählt zu den entscheidenden Grundlagen für Cloud-Dienste; unabhängig davon, ob sie sich an geschäftliche Kunden oder Privatanwender richten. Die untersuchten Methoden kombinieren Risikoanalyse, rechtliche, sozio-ökonomische und unternehmerische Regeldurchsetzung, Monitoring und Auditierung, um transparente Cloud-Dienste zu schaffen.
Das Projekt Confidential und Compliant Cloud, abgekürzt CoCo-Cloud, befasst sich ebenfalls mit der Datensicherheit und Compliance. Es soll eine sichere, durchgängige Lösung für Verbindungen zwischen zentralen Cloud-Datenspeichern und mobilen oder stationären Endgeräten konzipieren. Damit können Endanwender Daten sicher und vertraulich in die Cloud verlagern.
OpenStack als einheitliches Cloud-Betriebssystem
"Das Projekt wird dabei helfen, rechtliche Unterschiede zwischen EU-Ländern zu überbrücken und Regulierungsprobleme zu lösen. Es wird sicherstellen, dass sensible Daten künftig jederzeit sorgfältig durch Kontext-adaptive Lösungen kontrolliert und geschützt werden", sagt Jakub Boratynski, Head of Trust and Security Unit bei der DG Connect, der Generaldirektion für Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologien bei der Europäischen Kommission. Coco-Cloud wird gemäß dem Projektvorschlag auf einer sicheren, offenen und flexiblen Plattform gehostet, die auf OpenStack basiert.
Hier schließt sich wiederum der Kreis zum Vorschlag für die Schaffung einer europäischen Cloud. Auch das HP-Konzept setzt auf das quelloffene OpenStack als Betriebssystem. "Nur ein einheitliches Betriebssystem kann sicherstellen, dass ein zentral gehandelter Cloud-Dienst auf den IT-Lösungen aller Marktteilnehmer läuft", sagt HP-Manager Meyer. "OpenStack passt ideal in den dezentralen, Anbieter-übergreifenden Ansatz der europäischen Cloud. Zumal OpenStack auf bestem Weg ist, sich zum Standard für das Cloud Computing zu entwickeln."
René Büst, Senior Analyst und Cloud Practice Lead beim Marktforschungsunternehmen Crisp Research, bekräftigt Meyers Aussage: "OpenStack hat das Potential, der kommende de-facto Standard für komplexe IaaS-Umgebungen zu werden und wird für immer mehr CIOs und Cloud-Service-Provider zur Schlüsseltechnologie für barrierefreie Multi-Cloud-Infrastrukturen." Er stützt sich dabei auf eine Studie, die Crisp Research jüngst in Kooperation mit HP Deutschland erstellte. Ihr zufolge beschäftigen sich derzeit schon 29 Prozent aller Cloud-Anwender aktiv mit OpenStack.