"Analytics ist der Motor des Wandels und Daten sind sein Benzin", sagte James "Jim" Goodnight jüngst in einem Interview. Der Godfather von Datenanalyse und KI gründete 1976 zusammen mit drei Kollegen SAS, jenes Unternehmen, dessen gleichnamiges Kernprodukt bis heute ähnlich synonym für statistische Analysen verwendet wird wie Uhu für Klebstoff.
Und jener Motor des Wandels, von dem Goodnight sprach, die Datenanalyse, ist zuletzt in rasendem Tempo perfektioniert worden. Er kann - um im Bild zu bleiben - in immer mehr Geräten und Zusammenhängen eingesetzt werden, auch dort, wo ihn selbst Experten noch bis vor kurzem für überfordert hielten.
Dass der Motor so gut läuft, liegt auch daran, dass sein Benzin, die Daten, in ihrer Qualität immer besser werden. Und sie werden in explosionsartigem Tempo mehr.
8,4 Milliarden Sensoren liefern heute Daten
Im Jahre 2016 entstanden weltweit etwa 16,1 Zettabyte (Milliarden Terabyte) digitaler Daten, 2025 sollen es nach Schätzungen 163 Zettybyte - also zehn Mal so viel - sein. Verantwortlich für diesen Wahnsinn sind natürlich Internet und Soziale Medien - aber nicht nur.
Ebenfalls extrem fleißig bei der Datenproduktion sind das Internet of Things und die dafür notwendigen Sensoren. Schätzungen zufolge gibt es davon aktuell etwa 8,4 Milliarden auf unserem Planeten.
Fragt sich, wer diese Datengebirge noch überblicken und sich ihre Schätze konstruktiv zunutze machen kann. Antwort: Die meisten Unternehmen eher nicht.
Das ergab eine Befragung unter 100 Firmen aus ganz Europa, deren Ergebnisse SAS anlässlich der Konferenz "Analytics Experience" veröffentlichte, die in diesem Jahre vom 16. bis 18. Oktober in Amsterdam stattfand.
Zweifel am praktischen Nutzen von KI
Demnach haben die meisten Unternehmen zwar bereits damit begonnen, die Potenziale von Datenanalyse und Künstlicher Intelligenz für ihr Geschäft zu diskutieren oder erste Projekte anzuschieben.
Allerdings zeigten sich längst nicht alle Befragten davon überzeugt, dass ihr Unternehmen dabei auch Erfolg haben wird. Wobei die Probleme keineswegs in der Technologie selbst lägen, denn für die meisten Branchen seien passende Lösungen verfügbar.
Dass deren praktische Nutzung vielerorts noch nicht gelingt, liegt an mangelnder sozialer Akzeptanz: 55 Prozent der Befragten tun sich nach eigener Auskunft schwer damit, die mit KI verbundenen Veränderungen der Arbeitswelt zu kommunizieren und zu managen. Mühselig sei vor allem, die Angst vor Jobverlusten zu lindern, indem man der Belegschaft auch die Chancen durch neu entstehende Tätigkeitsfelder vor Augen führt.
Für viele ist Analytics eine Black Box
Problematisch auch das Fehlen geeigneter interner Strukturen und von ausreichendem Data-Science-Know-how: Nur 20 Prozent der Unternehmen gaben an, mit entsprechenden Teams gut für KI aufgestellt zu sein, während 19 Prozent noch gar keine solchen haben.
Um das zu ändern, planen 28 Prozent entsprechende Recruitings oder organisatorische Veränderungen, während 32 Prozent den Aufbau von KI-Wissen über Weiterbildungsmaßnahmen in Angriff nehmen wollen.
Diese Zahlen bedeuten aber auch, dass viele Unternehmen bisher gar keine entsprechenden Kapazitäten aufbauen wollen. Vermutlich liegt das daran, dass sie im Grunde gar nicht an den Daten-Voodoo glauben: Jedem zweiten Befragten (49 Prozent) fehlt grundsätzlich die Überzeugung, dass KI wertvolle und - vor allem - für sie nutzbare Ergebnisse liefert.
Laut dem Software-Unternehmen SAS - den Machern der Studie - ist solches Misstrauen typisch für neue und gepriesene, aber schwer zu durchschauende Technologien, weil diese für die meisten Anwender im Grunde eine "Black Box" darstellten.
Keine Angst vor der Raketenwissenschaft
Um die übertriebene Ehrfurcht zu überwinden und die ständig auftauchende Frage zu beantworten, wo man am besten Anfängt mit den Analysen, raten Experten vor allem davon ab, sofort steil gehen zu wollen gehen.
"Pick the low hanging fruit", das empfahl zum Beispiel auf der bereits erwähnten Konferenz in Amsterdam Mitte Oktober Thomas H. Davenport, Professor für IT und Management am Babson College in Massachusetts.
Was Davenport mit dem Rat, immer zuerst die tief hängenden Früchte zu ernten, genau meint, und was er generell Unternehmen im Umgang mit Analytics nahelegt, das hat er gerade in dem Buch "Wettbewerbsfähiger mit Analytics" (zusammen mit Jeanne G. Harris) konkretisiert.
Demnach sollten sich die Verantwortlichen zunächst ganz unabhängig von irgendwelchen Daten klarmachen, wo sie besser sind als andere, was sie besonders gut können. Und wie diese Fähigkeiten durch Analytics unterstützt werden können.
Die Denke will nicht in die Köpfe
Ein Beispiel liefert der Onlinehändler Otto, der ein KI-basiertes Feature zur Analyse von Produktbewertungen in seinem Webshop eingeführt hat (CIO.de berichtete). Ein Algorithmus durchforstet die Produktbewertungen der Kunden und erkennt ihre Interessen, eine Deep-Learning-Anwendung analysiert darüber hinaus die Stimmungen in Kommentaren.
Für CIO Michael Müller-Wünsch ist die ganze Analytics keine Raketenwissenschaft. Am Ende gehe es um Software-Entwicklung, und dabei mache nun mal der Algorithmus den Unterschied.
Nun ist Otto zwar nicht Google, aber doch auch ein ziemlich datengetriebenes Unternehmen. Das sind viele andere noch nicht, und deshalb tun sie sich schwer damit, eine entsprechende Kultur zu entwickeln. In einer Umfrage von Juventus Partners unter 50 großen Unternehmen weltweit sagten die meisten vor ihnen, dass sie zwar bereits Datenprojekte vorangetrieben hätten, aber Probleme damit hätten, eine entsprechende Denke in den Köpfen ihrer Mitarbeiter zu verankern.
Beliefert werden ohne bestellt zu haben
Und das geschieht idealerweise zunächst dadurch, dass man ihnen die Angst vor dem Thema nimmt und seine Bedeutung nicht überhöht. Das empfahl in Amsterdam jedenfalls auch Ajaj Agrawal, Professor für Entrepreneurchip und Künstliche Intelligenz an der Universität von Toronto: "Analytics verändert die Grundregeln der des Wirtschaftens genauso wenig, wie es das Internet getan hat. Datenanalyse senkte lediglich die Kosten für Vorhersagen."
Und dadurch könnten unter Umständen ganz neue Geschäftsmodelle und Services entstehen.
Als Beispiel nennt Agrawal Amazon: Mit Hilfe von Analytics wird es für das Unternehmen vielleicht irgendwann möglich und sinnvoll, uns Dinge zu senden, ohne dass wir sie bestellt haben. Weil uns die Maschine so gut kennt, dass sie zuverlässig voraussagen kann, wann wir was vermutlich kaufen wollen.
Das würde bedeuten, dass wir gerade erst über drei oder vier Wünsche nachgedacht haben, und schon ist das Ersehnte bei uns. Wir behalten, was wir auch nach genauer Prüfung bezahlen wollen, und senden den Rest zurück.
Parallel dazu lässt Amazon eine Flotte von LKW durch die Siedlungen kreisen, um das Unerwünschte wieder mitzunehmen.
Die Maschine spielt besser als jeder Mensch
Möglich wird das und vieles andere auch den rasanten Fortschritt auf der Hardwareseite. Rechner brauchen immer weniger Zeit, um die wachsenden Datenberge zu verarbeiten. Und das bedeutet, dass Maschinen immer schneller auch komplexeste Dinge lernen können.
Zum Beispiel hat ein Algorithmus vor kurzem den besten Go-Spieler der Welt geschlagen. "Und wir hatten immer gedacht, das Spiel sei nicht per Computer abzubilden - zumindest nicht durch menschliche Programmierer," so Oliver Schabenberger, CTO des Softwareriesen SAS. Nachdem die Maschine einmal die Regeln verstanden hatte, lernte sie zu spielen - besser, als es der beste menschliche Spieler kann.
"Im Grunde nur eine Frage der Rechenleistung"
Und das ist erst der Anfang. Als SAS-Gründer Jim Goodnight im Eingang erwähnten Interview gefragt wurde, ob er glaube, dass es mit Hilfe von Analytics irgendwann möglich wird, dass Roboter menschliche Emotionen und Stimmungen erkennen und interpretieren können, antwortete er ohne zu zögern: "Natürlich, das ist im Grunde nur eine Frage der Rechenleistung".