In schwierigen Zeiten hat Arvind Krishna am 6. April sein Amt als Chief Executive Officer (CEO) von IBM angetreten. Der Wechsel war bereits Ende Januar dieses Jahres angekündigt worden. Der 57-jährige Manager löste die langjährige IBM-Chefin Virginia (Ginni) Rometty ab, die sich in den Ruhestand verabschiedet. Die Managerin, die Ende Juli 63 Jahre alt wird, hatte seit Anfang 2012 als CEO, Chairman und President die Zügel beim IT-Pionier in der Hand. Rometty war die erste Frau an der Spitze des Konzerns. Sie hatte Samuel Palmisano abgelöst, der IBM von 2002 bis 2011 geleitet hatte.
Krishna, der bis dato als Senior Vice President für das Cloud-Geschäft und die Cognitive-Lösungen verantwortlich war, arbeitet seit 1990 bei IBM und ist der zehnte CEO der Konzerngeschichte. An seinem ersten Tag wandte er sich in einer offenen Botschaft an die rund 350.000 Beschäftigten des 1911 gegründeten Unternehmens. Dabei sprach er als erstes die aktuelle Krise rund um die weltweite Ausbreitung des Coronavirus an. "Wir stecken in einer globalen Krise, wie wir sie noch nie erlebt haben", sagte der neue IBM-Chef. "Diese globale Pandemie betrifft jeden von uns und hat den Rhythmus unseres täglichen Lebens unterbrochen."
Die körperliche Gesundheit und das geistige Wohlbefinden der IBM-Mitarbeiter hätten für ihn die höchste Priorität, beteuerte Krishna. Man sei sich auch der Auswirkungen von COVID-19 auf die Familien, Freunde und Kunden von IBM bewusst. "In dieser herausfordernden Zeit brauchen wir alle Einfühlungsvermögen, Solidarität und Verständnis füreinander", forderte Krishna.
IBM als Rückgrat für kritische Systeme
Er betonte auch die wichtige Rolle von IBM als Infrastrukturbetreiber in der aktuellen Krise. "Wir sind das Rückgrat einiger der kritischsten Systeme der Welt", sagte er und verwies auf die Abwicklung von Finanztransaktionen, die Steuerung von Lieferketten und die Unterstützung von Gesundheitsdienstleistern. Der CEO gab sich trotz aller Turbulenzen zuversichtlich. "Ich glaube, dass wir IBM zum vertrauenswürdigsten Technologiepartner des 21. Jahrhunderts machen können." Dafür sei entscheidend, dass der IT-Pionier seine Kunden auf ihrer Reise durch die digitale Transformation begleite und an die Hand nehme.
Als die treibenden Kräfte des digitalen Wandels in vielen Betrieben bezeichnete Krishna die Hybrid-Cloud sowie künstliche Intelligenz (KI). "Das sind zwei dominante Kräfte, die unsere Kunden stark verändern." IBM habe in seiner Geschichte Plattformen in den Bereichen Mainframe, Services und Middleware aufgebaut. Jetzt sei es an der Zeit, eine vierte Plattform in der Hybrid-Cloud aufzubauen, kündigte der IBM-Chef an. Er bekräftigte, dass IBM weiterhin ein Innovationsmotor sein wolle. Krishna sprach von tektonischen Kräften, die derzeit die künftigen Technologielandschaften formten. Dazu zählt IBMs Neuer die Cloud, KI, Blockchain und Quantum Computing.
Neuer IBM CEO: Wettbewerbsvorteile nutzen
Krishna kündigte eine Reihe von konkreten Maßnahmen an. Der IBM-Chef sprach von zwei "strategischen Schlachten", die zu schlagen seien und bezog sich dabei auf Hybrid-Cloud-Infrastrukturen und KI. Es gehe jetzt darum, Wettbewerbsvorteile zu erkennen und zu nutzen. Als Beispiele nannte er IBMs Know-how in den Bereichen Open Source und Security sowie das Vertrauen, das der Konzern bei seinen Kunden besitze.
"Darüber hinaus müssen wir den Architekturkrieg in der Cloud gewinnen", gab sich Krishna kämpferisch. Für IBM und Red Hat biete sich die Gelegenheit, Linux, Container und Kubernetes als neuen Standard zu etablieren. "Wir können Red Hat OpenShift zum Standard für die Hybrid Cloud machen, genauso wie Red Hat Enterprise Linux als Betriebssystem gesetzt ist."
In einem Interview mit dem US-Sender "CNBC" gab sich der CEO zuversichtlich, IBM gut durch die aktuellen Turbulenzen steuern zu können. Die Hinwendung der Unternehmen zu neuen Technologien wie KI und Blockchain werde sich in der Krise beschleunigen. Davon könne IBM profitieren. Allerdings musste Krishna einräumen, dass sich die weitere Entwicklung nur schwer vorhersagen lasse. Auch IBM musste in der Corona-Krise Federn lassen.
Nachdem der Aktienkurs mit der Ablösung Romettys Schwung aufgenommen hatte und Anfang Februar 2020 bis auf knapp 157 Dollar geklettert war - der höchste Stand seit März 2018 -, brach das Papier im Zuge der sich ausbreitenden Pandemie bis Ende März auf 95 Dollar ein. In der Folge erholte sich die IBM-Aktie wieder ein wenig und pendelte kurz vor Ostern bei etwa 115 Dollar. In welche Richtung es weitergeht, dürfte an der Entwicklung der Corona-Krise und an der Bilanz des ersten Quartals 2020 hängen, die am 20. April veröffentlicht wird.
Krishna versuchte, Zuversicht zu verbreiten. Auf die Konkurrenzsituation angesprochen, sagte der IBM-Chef im CNBC-Interview, die für ihn wichtigen Märkte seien noch lange nicht aufgeteilt. Der Cloud-Bereich habe erst ein Fünftel seines Potenzials entfaltet. In Sachen KI stehe man erst ganz am Anfang. Hier seien erst gerade erst vier Prozent eines Billionen Dollar schweren Geschäfts erschlossen.
IBM Führungsmannschaft mit neuer Aufstellung
Um seine Ziele zu erreichen, stellt Krishna seine Führungsmannschaft neu auf. Jim Whitehurst, Ex-CEO von Red Hat, soll als President die Strategie von IBM vorantreiben und künftig auch die Bereiche Cloud und Cognitive Software verantworten. Dies seien die grundlegenden Technologien für den digitalen Wandel der Kunden.
Paul Cormier wird neuer President und Chief Executive Officer von Red Hat. Der Manager, zuvor President of Products and Technologies bei Red Hat, wird damit Nachfolger von Whitehurst, der neben seiner Rolle als IBM-President künftig auch als Chairman von Red Hat fungieren soll. Cormier arbeitet seit 2001 bei Red Hat. Ihm werden eine Führungsrolle bei wichtigen strategischen Veränderungen und der Erweiterung des Produkt- und Serviceportfolios zugeschrieben. So soll er maßgeblich an der Entwicklung des Subskriptionsmodells beteiligt gewesen sein.
Cormier sei auch ein wichtiger Kopf bei der Übernahme von Red Hat durch IBM gewesen, hieß es. Im August vergangenen Jahres war die mit rund 34 Milliarden Dollar teuerste Übernahme in der Firmengeschichte von IBM abgeschlossen worden. Viel wird davon abhängen, wie dem Traditionskonzern die Integration des Linux-Spezialisten gelingt. Mit dem Deal will sich IBM einen neuen Spin geben. Der Open-Source-Spirit soll IBM agiler und flexibler machen. Viele Experten befürchteten, dass es nach der Übernahme zu einem Kulturkampf zwischen den beiden Lagern kommen könnte - der traditionellen IBM-Ecke und der jungen Red-Hat-Fraktion. Bis dato läuft die Integration jedoch weitgehend geräuschlos.
IBM-intern übernimmt Bridget van Kralingen als Senior Vice President die Verantwortung für das weltweite Geschäft. Ihr Vorgänger Martin Schröter tritt in die zweite Reihe zurück und soll sich künftig um einzelne Industrien kümmern. Van Kralingen bekommt von Krishna die Aufgabe, die Kundenzentrierung zu schärfen sowie die Markt- und Kundenansprache zu vereinfachen. Anfang Mai stößt noch Howard Boville zu IBM. Der Manager der Bank of America soll als Senior Vice President IBMs Cloud-Plattform verantworten.
Big Blue - positive Signale im Server-Geschäft
Ob Krishnas Strategie aufgeht, ist derzeit nicht abzusehen. Tatsächlich gibt es aber erste positive Signale. Im weltweiten Server-Markt konnte IBM im vierten Quartal 2019 laut Gartner beim Umsatz im Vergleich zum Vorjahresquartal um 30 Prozent von knapp 1,8 auf fast 2,3 Milliarden Dollar zulegen. Die beiden vor IBM platzierten Marktführer Dell EMC und HPE verloren dagegen knapp zehn beziehungsweise 8,6 Prozent. Der globale Servermarkt wuchs Ende vergangenen Jahres um gut fünf Prozent von 21,9 auf rund 23 Milliarden Dollar.
Im Cloud-Geschäft läuft IBM allerdings hinterher. In der letzten Marktanalyse Gartners des weltweiten Infrastructure-as-a-Service-Geschäfts aus dem Sommer vergangenen Jahres lag IBM mit einem Umsatz von 577 Millionen Dollar und einem Marktanteil von 1,8 Prozent abgeschlagen auf Platz fünf. Den Markt teilen andere Anbieter unter sich auf. Amazon kam mit seiner Tochter AWS 2018 auf IaaS-Einnahmen von fast 15,5 Milliarden Dollar und einen Marktanteil von fast 48 Prozent. Auf den Plätzen folgten Microsoft (fünf Milliarden Dollar und 15,5 Prozent Marktanteil), Alibaba (2,5 Milliarden Dollar, 7,7 Prozent) und Google (1,3 Milliarden, vier Prozent).
Auch im Bereich KI zeichnet sich ein Wettbewerb unter den vier Großen ab. Immerhin scheint IBM hier Anschluss halten zu können. Im Anfang März 2020 von Gartner publizierten Magic Quadrant liegt IBM knapp hinter AWS, Microsoft und Google im Leader-Quadranten. In Sachen KI war IBM mit Watson früh gestartet und hatte viele Vorschusslorbeeren geerntet. Allerdings gab es hier auch immer wieder Rückschläge, weil viele Anwender die Technik als zu komplex empfanden und darin keinen Mehrwert für ihr Business sahen. Mittlerweile scheinen sich die Investitionen IBMs in die Watson-Plattform und Cognitive Services jedoch auszuzahlen, schrieben die Gartner-Analysten in ihrem jüngsten Bericht.
Neuer IBM-Chef - Unternehmergeist fördern
Krishna zeigte sich in seiner ersten Ansprache bemüht, eine eigene Handschrift in der Führung von IBM zu zeigen. "Eine meiner Hauptprioritäten wird es sein, unternehmerische Denkweise in unserem Unternehmen zu fördern", kündigte der IBM-CEO an. Es gehe darum, flink und pragmatisch zu sein - "Geschwindigkeit vor Eleganz". Von seiner Mannschaft verlangt Krishna, sich schnell an veränderte Umstände anpassen zu können. Darüber hinaus fordert er einen Fokus auf Wachstum und die Bereitschaft kontinuierlich zu lernen.
Für seine Amtszeit hat sich Krishna zum Ziel gesetzt, IBM als den "Goldstandard für gute Technologie" zu etablieren. Dabei sei der Charakter von größter Bedeutung. Das gelte insbesondere in neuartigen, globalen Krisen wie der, die wir gerade erleben, sagte der Manager und versprach den Mitarbeitern: "Als Ihr neuer CEO möchte ich transparent und offen bleiben. Ich möchte sowohl das Gute als auch das Schlechte hören. Ich werde auch weiterhin mein Bestes tun, um zuzuhören und von allen zu lernen."