Software ersetzt Mitarbeiter

Auch Manager werden überflüssig

06.07.2015 von Christoph Lixenfeld
Nach Verkäufern, Call-Agents und Personalern sollen zukünftig auch Führungskräfte durch Computer ersetzt werden. Technisch machbar ist das bereits.
  • Beim Projektmanagement könnten Maschinen bald die Menschen ersetzen, wie die Software iCEO eindrucksvoll zeigt
  • Virtual Management Systeme bewältigen auch komplexe Entscheidungen
  • Die Bedeutung des mittleren Managements wird sinken
  • Big Data war erst der Anfang, sagen Experten

In der New Economy-Ära - also der digitalen Steinzeit - waren die kleinen Fabelwesen in aller Munde: Stets charmant, gut gekleidet und freundlich, erklärten Avatare in ihrer unvergleichlich künstlichen Art Besuchern unzähliger Webeseiten, wie ein dort angebotenes Produkt funktioniert, sie beantworteten Rückfragen oder leiteten zu anderen spannenden Seiten eines Online-Shops über.

Die Vision lautete: Es dauert nicht mehr lange, dann ersetzen wir Avatare sämtliche Kundendienst-Menschen, oder jedenfalls alle, die die Kunden über eine Webseite oder eine Hotline ansprechen. Motto: Das geht alles auch automatisch. Und wird dadurch nicht nur billiger, sondern auch besser.

Studie "Die Roboter kommen"

Gefühlte 100 Jahre später kommt das Phänomen zurück. Die Research-Abteilung der Direktbank ING-DiBa hat unter Leitung ihres Chief Economist Carsten Brzeski eine Analyse mit dem Titel "Die Roboter kommen" vorgestellt. Die Bänker beschäftigen sich darin mit den Folgen einer bestimmten Form von Automatisierung für den deutschen Arbeitsmarkt.

Zentrales Ergebnis: 59 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Jobs in Deutschland sind direkt oder indirekt durch die "fortschreitende Technologisierung" bedroht.

Den Check-in erledigt ein Roboter

Projektmanagement: Wirkt komplex und kreativ, können aber bald auch Maschinen.
Foto: Rawpixel - Fotolia.com

Und diese Bedrohung betreffe keineswegs nur Hilfsarbeitskräfte und Dienstleistungsjobs, sondern fräse sich sozusagen durch die Qualifizierungspyramide nach oben und erreiche immer elaboriertere Tätigkeiten.

Roboter im Henn-na Hotel

Als Beleg dient der ING-DiBa das Personal des Japanischen "Henn-na Hotels". Wenn das Haus im Juli 2015 öffnet, sitzen am Empfang keine professionell-höflichen jungen Menschen, sondern noch jüngere Roboter, die nicht nur den Check-in dreisprachig erledigen, sondern auch das Gepäck aufs Zimmer bringen und selbiges reinigen können. Hardware-Avatare sozusagen.

Administrative Tätigkeiten wie der Job an der Hotelrezeption, so die Studie, sind tendenziell am meisten von der Roboterisierung bedroht, gefolgt von Ähnlichem wie Sekretariat oder Sachbearbeitung.

Chefs müssten sich dagegen weniger Sorgen machen: "Führungskräfte sowie Akademiker in wissenschaftlichen und kreativen Berufen unterliegen der geringsten Wahrscheinlichkeit einer Automatisierung", so ING-DiBa-Economist Carsten Brzeski und seine Kollegin Inga Burk. Und: "Berufe, die eine Spezialisierung oder Expertenwissen erfordern, sind demnach mit lediglich elf beziehungsweise zwölf Prozent betroffen."

Watson ist schlauer als (manche) Menschen

Glaubt man Rüdiger Spies, dann sollte sich die genannte Gruppe allerdings nicht zu sicher fühlen. Der Software-Analyst beim Beratungshaus PAC hat sich ebenfalls mit der Frage beschäftigt, wie und wie schnell bestimmte Jobs von Maschinen übernommen werden können.

Glaubt man den Thesen von PAC-Analyst Rüdiger Spies, dann sollten sich auch gut ausgebildete Menschen nicht für unersetzlich halten.
Foto: IDC

Sprengkraft sieht er im sogenannten Cognitive Computing, in der Möglichkeit, komplexe Probleme durch Computer lösen zu lassen. Konkret traut Spies besonders den "Watson"-Systemen viel zu.

Dabei handelt es sich um eine Software aus dem Hause IBM. Sie kann Antworten auf Fragen geben, die in natürlicher Sprache eingegeben wurden. Seine Leistungsfähigkeit hatte Watson bereits 2011 in der US-Quiz-Show "Jeopardy" mit einem Sieg über humanoide Konkurrenten eindrucksvoll unter Beweis gestellt.

Der entscheidende Unterschied zu damals, sagt Rüdiger Spies, ist, dass solche Systeme heute in einigen Pizzaschachteln Platz finden und zudem etwa 200 Mal leistungsfähiger geworden sind.

IBM nutzt die Technik zum Beispiel der Krebsforschung und -therapie. Also in Bereichen, in denen anhand großer Datenmengen (vergleichsweise) komplexe Entscheidungen getroffen werden.

Software statt Manager

"Überall dort, wo eine gewisse Gewichtung oder Auswahl aus einer größeren Menge von Tatsachen erforderlich ist, könnten Watson-Systeme zum Einsatz kommen", schreibt Spies. "Insofern ist das Marketing-Phänomen Big Data nur ein blasser Abglanz dessen, was auf uns zukommt."

Und mit "uns" meint Spies vor allem, dass "die Bedeutung des mittleren Managements weiter sinken", komplexe Entscheidungsprozesse, die bisher viel Bauchgefühl erforderten, rationalisiert werden könnten.

iCEO übernimmt das Projektmanagement

Dass dabei schon bald nicht mehr nur "einfache Entscheidungen" an Kognitive Systeme übertragen werden, wie Spies vermutet, darauf weisen die bemerkenswerten Fähigkeiten des "Virtual Management Systems" iCEO hin.

Getestet haben die Software, die noch nicht auf dem Markt ist, Redakteure der US-Amerikanischen Harvard Business Review. Der Artikel darüber trägt den bezeichnenden Titel "Hier sehen Sie, wie Manager durch Software ersetzt werden können." Und das ist keineswegs übertrieben.

Die Maschine koordiniert 23 Projektbeteiligte

Die Aufgabe für den virtuellen Teamleader bestand darin, eine 124-Seitige wissenschaftliche Analyse der Herstellung eines Kohlenstoffs für einen großen Konzern anzufertigen.

Zunächst verbrachten die HBR-Redakteure einige Stunden damit, Rahmendaten einzugeben und den Workflow zu definieren, dann drückten sie auf Start.

iCEO ließ daraufhin eine Reihe von Experten, die das System über Amazons Co-Working-Plattform Mechanical Turk angeworben hatte, Artikel zum Thema heraussuchen und zusammenfassen und warf anschließend die im Ergebnis enthaltenen Duplikate raus.

Einen logisch schrittweise aufgebauten Prozess abzuarbeiten, dazu braucht es nicht unbedingt Menschen.
Foto: Brian A. Jackson - shutterstock.com

Dann erfolgten - ebenso selbstständig - die Koordination von Autoren, das Briefing technischer Analysten und die Steuerung von Korrektoren und Dokumentaren, die die Fakten nachprüften.

Der automatische Projektmanager engagierte insgesamt 23 Personen. Er ließ von ihnen aber nicht nur Texte und Analysen anfertigen, sondern auch 60 Bilder und Grafiken. Verträge und Abrechnungen mit den involvierten Freiberuflern bewältigte das System ebenfalls selbsttätig.

Auch das Fließband setzte sich durch

Insgesamt griffen die Redakteure der Harvard Business Review nur "an ganz wenigen Stellen" in den Prozess ein. Und waren am Ende hoch erfreut über die Qualität des Ergebnisses - und erst recht über die Geschwindigkeit, mit der zustande gekommen war.

iCEO hatte bewiesen, dass ein Job wie der hier beispielhaft beschriebene von einem Computer ohne die Hilfe eines Projektmanagers ausgeführt werden kann. Und dieses Beispiel lässt auf fast jede Art von Projekt und auf jede Abteilung eines Unternehmens übertragen.

Das Gegenargument, wenn es knifflig werde oder der Prozess stocke, ginge es keinesfalls ohne menschliche Kreativität, lässt die Harvard Business Review dabei nicht gelten. Schließlich sei in ähnlicher Weise bereits vor fast hundert Jahren gegen die Verbreitung des Fließbandes argumentiert worden.

Führungskräfte sind ersetzbar

"Wir glauben, dass das Management heute vor einem ähnlichen Umbruch steht wie damals die Warenproduktion", so die HBR-Redakteure.

Bisher gehen Führungskräfte grundsätzlich davon aus, dass diejenigen, die Entscheidungen treffen - also sie selbst - keinesfalls ersetzbar sind. Das iCEO-Beispiel hat gezeigt, dass das ein Irrtum ist.

Projektmanager sind teuer. Welcher Aktionär oder Bankanalyst könnte etwas dagegen haben, sie durch deutlich billigere Computerprogramme zu ersetzen?