Ich bin mit Erscheinen dieses Jahrbuchs 40 Jahre jung - oder alt? Erste kniffelige Frage in diesem Kontext. Einigen wir uns - Sie können es ohnehin in gedruckter Form nicht mehr verändern - auf lebenserfahrene vier Jahrzehnte. Ich freue mich, dass ich meinen Blick auf die Gegenwart und die nahe Zukunft in diesem CIO-Jahrbuch formulieren darf und meine Thesen und Ideen mit Ihnen teilen darf. Sie können mich hier nicht wegklicken - maximal weglegen oder umblättern.
Schon ein genialer Schachzug von diesem Gutenberg seinerzeit. Die Erfindung des Buchdrucks liegt übrigens schon mehr als 500 Jahre zurück. Fünf Jahrhunderte, ein halbes Jahrtausend - ein halbes Gigabyte-Jahr. In der digitalen Welt eine schier unfassbare Zeit und der Beweis, dass analoge Technologien immer ihre Daseinsberechtigung haben und manchmal auch die überlegene Form darstellen können.
Vor diesem Hintergrund finde ich es ebenso richtig wie spannend, dass wir als gestandene IT-Manager in einem gebundenen und haptisch erlebbaren Buch über Digitalisierung sprechen, unsere Wetten abgeben und Thesen aufstellen. Ist das Buch doch so etwas wie der "Antichrist" in einer digitalen Welt. Aber wer weiß: Vielleicht sind diese Seiten 500 Jahre weiter das Werk "damaliger Propheten", und unsere Meriten werden wir erst posthum in vollem Umfang verdienen, wenn wir nicht mal mehr analoge Biomasse mehr sein werden.
Kinder weisen die Zukunft
Bleiben wir aber in der Gegenwart und dem Morgen. Vom aktuellen Alter und von Berufswegen her zähle ich mich durchaus zur Generation, der Digitalisierung nicht ganz fremd ist. Wenn ich aber meiner eigenen Zukunft begegne - das meint insbesondere meine vier Kinder -, dann ist das immer wieder ein spannendes Erlebnis. Mein jüngster von vier Söhnen ist erst in diesem Jahr zur Welt gekommen. Er wird ein Arbeiten, so wie ich es erlebe, vermutlich nicht mehr kennenlernen. Damit meine ich nicht, dass man in Zukunft nicht mehr fleißig und zielorientiert sein muss, um voranzukommen. Aber wenn er seine Ausbildung anfängt, dann ist selbst dieses Buch hier nur noch eine Randnotiz der Geschichte und vielleicht schon überholte "Spinnerei" des Autors.
"Mal was von Skype gehört?"
Das klingt vielleicht überspitzt, ist aber nicht ganz abwegig, wie mir mein 13-jähriger Sohn beim Schreiben dieses Artikels drastisch vor Augen führte. Zur Erinnerung: Meinen Sohn und mich trennen gerade einmal zweieinhalb Jahrzehnte. Und doch könnten die Ausgangsvoraussetzungen zwischen Gegenwart und Zukunft kaum unterschiedlicher sein.
"Auf das, was du da machst, auf deine Arbeit, hätte ich überhaupt keine Lust" - das mag für einen 13-Jährigen eine nicht allzu ungewöhnliche Beurteilung des elterlichen Berufs sein. Aus seiner Sicht wirkt Arbeit vorgestanzt und langweilig. Aber seine Antwort auf meine Nachfrage "Warum genau?", macht mich dann doch etwas stutzig. Sollte mein eineinhalb Jahrzehnte alter Filius tatsächlich bereits erkannt haben, wie ungemein wertvoll in einer digitalen, internationalen und vor allem rastlosen Welt die Ressource Zeit ist? Offensichtlich. Denn er antwortet nahezu entgeistert: "Na, Papa - allein, dass du jeden Tag erst so weit fahren musst, bis du im Büro bist, ist doch Wahnsinn. Hast du schon mal was von Skype gehört?"
Ungeachtet dessen, dass ich mich in meiner
Intelligenz und beruflichen Erfahrung ein wenig verletzt gefühlt habe, war doch die Überraschung und Klarheit seiner Antwort für mich das perfekte Trostpflaster. Denn was ist hier passiert? Mein Sohn begegnet mit seiner geballten Lebenserfahrung einer der zentralsten Herausforderungen unserer Arbeitswelt ebenso differenziert wie pragmatisch: der (Frei-)Zeit. Und er liefert eine so simple Lösung, dass man sich wundert, nicht selber intensiver darüber nachgedacht zu haben.
Zufallstreffer? Mitnichten. Denn als ich ihn frage, wie er sich denn sein berufliches Leben nach der Schule und möglicherweise einem Studium vorstellt, spielt die Zeit wieder eine elementare Rolle. "Ich möchte irgendwann mal was Unstressiges machen. Was Gechilltes. Etwas, das man von zu Hause oder überall machen kann. Ich will mal selbst entscheiden, wann ich arbeite. Um fünf Uhr aufstehen und um 22 Uhr nach Hause kommen - das macht keiner mehr!"
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Technologien sind elementar
Autsch, Treffer, versenkt. An der Kritik des Sohnes ist viel Wahres dran. Oder ist es nur jugendliche Bequemlichkeit, irgendetwas "Gechilltes" anzustreben? Vielleicht ist es aber auch genau das, was den Arbeitsplatz der Zukunft attraktiv macht? Wo aber wird dieser Arbeitsplatz der Zukunft sein? Und - wesentlich zentraler: Welche Technologien sind nötig, damit es ihn geben wird?
Inspiriert von meinem Sohn, habe ich daher als Vater und IT-Manager die These aufgestellt: Technologien sind die elementare Voraussetzung für einen agilen und mobilen Arbeitsplatz der Zukunft. Raketenwissenschaft? Nicht wirklich. Eher kombinierte Logik - inspired by Teen Spirit!
"Irgendwas Gechilltes, irgendwas von zu Hause aus" - geht das denn? Klar. Passiert heute schon. Ob im privaten Umfeld oder auch im Büro. Das "Flex Office" oder das "Home Office" waren vielleicht vor fünf bis zehn Jahren noch Zukunftsmusik. Wir loggen uns über die Cloud ein, haben Zugriff auf alle Daten - egal ob ich im Büro, im Stau oder in der Karibik meinen Laptop oder das Tablet hochfahre. Das ist vielleicht noch nicht in jedem Unternehmen kulturell anerkannt, wird aber ein immer wichtigeres Differenzierungsmerkmal moderner, flexibler, agiler und familienorientierter Arbeitgeber werden.
Ohne Cloud gehts nicht
Schauen wir auf meinen Arbeitgeber, die Fressnapf-Gruppe, dann lässt sich heute vielleicht noch schwer einschätzen, wie sich der Arbeitsplatz der Zukunft mit technischer Unterstützung entwickeln wird. Aber ich glaube, ohne Cloud-basierte virtuelle Technologie können wir nicht die Voraussetzungen für eine agile und mobile Arbeitswelt schaffen, in der Teamarbeit einfach und schnell ermöglicht wird. Und genau darauf wird es ankommen: auf Agilität, Mobilität - letztlich auch auf Flexibilität. Auf eine Lösung, die dann vielleicht auch eine echte "Work-Life-Balance" schafft.
Blicken wir einmal auf bereits bestehende Technologien und wie diese die nächste Evolutionsstufe erreichen können:
Die Funktion des heute schon von allen Mitarbeitern verwendeten KABA-Chips (basierend auf RFID-Technologie) kann durchaus in der Form erweitert werden, dass man sich im Büro an Druckern, Scannern und Faxgeräten künftig mit Hilfe des Chips statt einer manuellen PIN-Eingabe authentifizieren kann. Eine deutliche Verschlankung und Beschleunigung des bisherigen Prozesses.
Gehen wir einen Schritt weiter, dann stellt eine noch zu realisierende und zentralisierte Fressnapf-Mitarbeiter-App auf Smartphones, Tablets oder wahlweise sogar auf Smartwatches ebenfalls eine wesentliche Erleichterung dar. Damit sind beispielsweise Raumbuchungen, die Nutzung vom Terminkalendern, von E-Mail-Diensten, Lync, Microsoft Teams und vielem mehr möglich, ebenso eine Einsicht in den Gebäudeplan, die Speisekarte der Kantine, den Urlaubsplan und vielleicht auch die Steuerung der Klimaanlage.
Diese App kann des Weiteren verwendet werden, um ein automatisiertes Software-Antragssystem zu nutzen und so Programme für die eigene Cloud-Umgebung auszuwählen. Dieses automatisierte Software-Antragssystem kann in Zusammenarbeit mit verschiedenen Dienstleistern entwickelt werden. Auch ein automatisches Lizenzsystem für verwendete Programme und die Deinstallation von längere Zeit ungenutzten Programmen kann hierüber realisiert werden.
Zugang von überall
Auch das Konzept "Bring your own Device" (ByoD) ist nicht nur wirtschaftlich attraktiv, sondern kann durchaus gut mit der sich bereits im Einsatz befindenden Citrix-Lösung bei Fressnapf kombiniert werden. Die eigenen Geräte brauchen dazu einen gesicherten Zugang zum internen Firmennetz und einen Citrix-Client. Dann ist das Mitarbeitergerät ebenso einsatzbereit wie die aktuellen Thin Clients.
Auch außerhalb der Büros sind in Zukunft in den Fressnapf-Märkten immer mehr unterstützende bis vollautomatisierende Maßnahmen für die Mitarbeiter auf der Fläche möglich. Denken wir zum Beispiel an den vollautomatisierten Bestellnachzug in den Filialen. Dieser dient nicht nur der schnellen und genauen Bestellung selbst, sondern er bietet auch die Grundlage für einen optimalen Inventurprozess. Ganz nebenbei hat er eine Auswirkung auf unsere Kunden, da diese durch einen exakten Forecast immer das gesuchte Produkt im Markt vorfinden.
Mit Vernetzung und KI
Genauso wie wir für unsere Kunden in Zukunft immer mehr unterstützende bis vollautomatisierende Maßnahmen umsetzen, werden wir bei Fressnapf die neuen Technologien dazu nutzen, unsere klassischen Arbeitsplätze entscheidend zu verändern und an diese Parameter anzupassen. Dabei werden in erster Linie Vernetzung und künstliche Intelligenz die Arbeitswelt prägen. Das bedeutet konkret, dass es einer Verschmelzung von (technischer) Infrastruktur, Anwendungen und Prozessen bedarf. Dieses Zusammenspiel generiert den Service, der ein uneingeschränktes Arbeiten außerhalb des eigentlichen Büros ermöglicht.
Beispielsweise versorgt künstliche Intelligenz uns über maschinelle Auswertung und anschließende autonome Bewertung mit den notwendigen Informationen. So können komplexe Arbeitsprozesse unterstützt und automatisiert werden. Um dies auch auf unsere Fläche erlebbar zu machen, werden wir unsere Kunden zukünftig in der Filiale mit Tablets oder Smartphones über unser erweitertes Online-Sortiment bestens beraten können.
IoT für den Arbeitsalltag
Auch das Internet of Things (IoT) spielt dabei eine zentrale Rolle, denn es vernetzt physische und virtuelle Gegenstände miteinander. Ein Beispiel: Ebenso wie wir künftig unsere Kunden und im besten Fall sogar ihr Haustier bereits beim Betreten eines Marktes kennen, wird beim Betreten von Meeting-Räumen die Infrastruktur automatisch in die entsprechenden Voreinstellungen gesetzt. Bedeutet praktisch und etwas salopp formuliert: Ich setze mich direkt ins gemachte Nest.
Wireless verändert die Arbeit
Ein weiterer, ganz wesentlicher Punkt, der das Arbeiten verändern wird, ist in Büros wie in den Märkten das Thema Wireless. Denn es ist sub-
stanziell wichtig, die richtige Schlüsseltechnik anzubieten, um für die Mitarbeiter einen greifbaren Vorteil zu schaffen. Das neue Arbeitsumfeld muss nicht nur als maximal komfortabel, sondern auch als gewinnbringend empfunden werden.
Zudem, damit wird es auch für den Arbeitgeber spannend und wirtschaftlich attraktiv, lassen sich durch solche Ansätze Kosten einsparen. Wo heute noch Hardware notwendig ist, kann diese durchaus entfallen, wenn Wireless-Technologien zum Einsatz kommen. Dies spart erhebliche Mittel in der Beschaffung und Wartung - zum Beispiel durch ByoD. Das würde in Summe wohl auch meinem ältesten Sohn, aber auch dem Jüngsten irgendwann gut gefallen.
Für mich ist diese neue Welt heute (!) allerdings noch nicht das Nonplusultra. Für mich besteht ein elementarer Grund, warum ich (noch) lieber im Büro arbeite als von zu Hause: dass ich dort ein besseres Arbeitsempfinden habe: Ich treffe Kollegen und Mitarbeiter persönlich, bin im direkten Austausch und bekomme zwischen den Zeilen auch etwas vom berühmten Flurfunk mit.
Einen Königsweg gibt es nicht
Es wird keinen Königsweg geben, ob jemand im Büro, Home Office oder abwechselnd mal hier und mal dort arbeitet. Deswegen wird es in den kommenden fünf Jahren immer wichtiger werden, dass zukunftsorientierte Unternehmen ihren Mitarbeitern vielfältige Technologien zum flexiblen Arbeiten an jedem Ort zur Verfügung stellen.
Wichtig ist, dass mit der richtigen Arbeitsplatztechnologie das Arbeiten so angenehm wie möglich gestaltet wird. Darin liegt ein wirklicher Wettbewerbsvorteil im Kampf um Talente, wie sie eines Tages vielleicht auch meine Söhne sein werden. Aber auch schon heute wollen wir bei Fressnapf junge, motivierte und digital offene Mitarbeiter für Fressnapf begeistern. Wollen wir diese Talente anwerben, dann können wir das unter anderem ganz stark über eine flexible Arbeitsplatzgestaltung erreichen. Und damit hört es noch nicht auf: Denn ein ebenso wichtiger Punkt ist eine ausgewogene Work-Life-Balance. Beim flexiblen Arbeiten könnten aber auch die Grenzen verschwimmen, vor allem beim mobilen Arbeiten.
Zusammengefasst lässt sich sagen: Entscheidend für das Gelingen sind technische, prozessuale und infrastrukturelle Maßnahmen zur Verbesserung der Kommunikation.
Nearshoring entlastet
Dabei wird IT-Offshoring/Nearshoring auch für Fressnapf eine immer größere Bedeutung bekommen. Es ist auch heute schon egal, wie groß die eigene interne IT ist. Die Auftragsbücher der IT mit den Tätigkeiten, die elementar für das Business sind, füllen sich immer wieder viel zu schnell. Damit wir aber auch in Zukunft weiterhin agil auf neue Ideen und Anforderungen unserer Mitarbeiter und sich verändernde Marktbedingungen reagieren können, müssen wir einen Weg finden, diese Bedürfnisse trotz voller interner Auftragsbücher zu erfüllen. Dies werden wir zukünftig weiterhin verstärkt durch Nearshoring-Ansätze versuchen.
Da wir auch mit unserem Business-Modell heute schon in elf Ländern Europas aktiv sind, ist ein Nearshore-Ansatz eine gute und hilfreiche Stütze im Kampf gegen zu lange Reaktions- und Umsetzungszeiten.
Und Dienstreisen? So wichtig der ganz analoge Austausch auch ist, in Zukunft können technische Maßnahmen diese wenigstens teilweise ersetzen. So können beispielsweise Videokonferenzen zum Einsatz kommen, bei denen eine zeitgemäße Voice-over-IP-Technik die Kommunikation ebenso preiswert wie auch schnell gestaltet.
Wozu noch einen Chef?
Wenn ich dann also vor meiner imaginären Glaskugel sitze und mir überlege, wo mein Sohn im Jahr 2024 seine Ausbildung oder ein Praktikum absolviert, dann glaube ich, er wird das tatsächlich noch physisch und "vor Ort" tun.
Aber sicher deutlich flexibler, mobiler und nicht mehr ständig auf feste Zeiten oder Orte festgelegt. Sollte er sich aber eher für den handwerklichen Bereich entscheiden, dann hilft ihm Skype auch nicht weiter, wenn er mit dem Hammer in der Hand auf dem Dach steht.
Aber auch hier wird er digital sein und im Zweifel das richtige Tutorial auf seinem Smartphone finden.
Die Frage, auf die ich allerdings noch keine Antwort gefunden habe, muss ich mit meinem Sohn mal intensiver beleuchten: "Wozu braucht man eigentlich noch einen Chef? Man weiß doch auch so, was man machen soll, oder?" Vielleicht schreibe ich die nächste These dann aber in einem Jahrbuch für Human Resources.
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