Die Touristik-Träume von Lufthansa und Karstadt-Quelle sind geplatzt." So begann das "Manager Magazin" eine Story über Andreas Dietrichs Arbeitgeber. "Jetzt soll ein eigenwilliger Altmanager retten, was zu retten ist - und die Zerschlagung vorbereiten." Wenig schmeichelhaft und überhaupt nicht rücksichtsvoll ging auch jene Geschichte weiter, die Ende Februar unter dem Titel "Einmal Cook und zurück" erschienen war. Wenn die Ereignisse und das drumherum Kolportierte für Aufregung in der Oberurseler Thomas-Cook-Zentrale gesorgt hatten, dann war diese Aufregung vielleicht noch nicht bis zur IT-Abteilung durchgedrungen. Oder jedenfalls nicht bis zu Andreas Dietrich, 40, Konzern-CIO. Ein Interview? "Kein Problem, gerne, wann möchten Sie vorbeikommen?".
Vielleicht hängt diese Entspanntheit auch ein wenig damit zusammen, dass der CIO und seine Mitarbeiter nicht im Hauptgebäude, sondern auf der gegenüberliegenden Straßenseite untergebracht sind. Im IT-Pavillon, wie Dietrichs Sekretärin die vielen übereinander gestapelten, knallblau lackierten Container am Telefon liebevoll genannt hat. In der Mitte des Ensembles gibt es einen gläsernen Eingang und dahinter eine kleine Empfangshalle. Von der Würfelbauweise merkt man jetzt nichts mehr; außer dass alles nüchtern und arbeitsam anmutet wie ein Behördengebäude.
In "seinem Bau" arbeiten heute etwa 270 Menschen, vor einem Jahr waren es noch 400. Das hängt mit der Sourcing-Strategie des CIO zusammen. Dietrich holt ein Schaubild aus dem Schrank, in das er jetzt mit dem Kugelschreiber hineinmalt. Ganz unten auf dem Papier steht "IT-Infrastruktur", weiter oben stehen Worte wie "Innovationsmanagement" oder "Softwareentwicklung". Ganz unten liege der Outsourcing-Grad bei 100, ganz oben bei null Prozent.
Die Auslagerung der gesamten Infrastruktur war das wichtigste Projekt in den etwa zweieinhalb Jahren, die Dietrich jetzt für Thomas Cook als CIO Gesamtkonzern und Konzerndirektor IT tätig ist.
Der Prozess dauerte etwa fünf Monate, und dabei seien "kommunikative Fähigkeiten weitaus wichtiger gewesen als Fachkenntnisse," erzählt der gelernte Betriebswirt und Informatiker. "Ich musste in dieser Zeit vor allem dafür sorgen, dass die Mitarbeiter konstruktiv mitziehen, obwohl sie um ihren Arbeitsplatz bangten und während der gesamten Projektdauer mit dieser Unsicherheit leben mussten. Motivieren kann in der Situation aber nur, wer nicht heimlich arbeitet, sondern alle Beteiligten regelmäßig und umfassend über den Stand der Dinge informiert."
Am Ende wurde allen 125 Betroffenen ein sicherer Arbeitsplatz beim externen Dienstleister Lufthansa Systems angeboten, der heute die Infrastruktur für Thomas Cook betreibt. Dennoch spart das Unternehmen durch "On-Demand-Pricing-Verträge" mindestens 20 Prozent im Vergleich zu den früheren Kosten. Er kaufe heute eben nicht mehr "irgendwelches Blech oder pauschal irgendwelche Gigabytes, sondern nur noch genau das, was ich wirklich brauche", so der CIO.
Abgesehen von diesem Projekt ist der Cook-Manager beim Sourcing auf keinen Fall Anhänger des um sich greifenden "Alles-muss-raus"-Gedankens. Zum Beispiel gab es die Überlegung, die Softwareentwicklung nach Polen zu verlagern, abgesehen von einigen internen Kräften zur Steuerung des Ganzen. "Wir haben uns dann dagegen entschieden, schließlich möchten wir nicht, dass es extern eine Gruppe von Leuten gibt, die irgendwann mehr über meine Prozesse wissen als ich selber. Außerdem kann die eigene Softwareentwicklung auch Wettbewerbsvorteile bringen."
Das gilt vor allem für die in der Reisebranche geschäftskritischen Bereiche Reservation, Kalkulation und Einkauf. Alle Wettbewerber hätten hier selbst entwickelte Systeme, erzählt Dietrich, schließlich sei der Markt zu klein für einen Standard. So hat die IT-Abteilung von Thomas Cook auf der Grundlage von Lotus-Notes und Java eine Anwendung entwickelt, mit deren Hilfe Hotel-Einkäufer die Ergebnisse ihrer Verhandlungen vor Ort im Laptop erfassen und anschließend mittels Datentunnelung, einem VPN, in die Zentrale senden können. Die Perfektionierung solcher Systeme bringe echte Wettbewerbsvorteile, deshalb sollte ihre Entwicklung und Steuerung in jedem Fall inhouse erledigt werden.
Bei einer anderen Schlüsselanwendung steht dem CIO noch viel Arbeit bevor. Denn Thomas Cook hat mit Lufthansa und Karstadt-Quelle nicht nur zwei Mütter, sondern in der Zwischenzeit auch eine Reihe von Töchtern. Wegen dieser Historie ist im Konzern etwa ein Dutzend unterschiedlicher Reservierungssysteme im Einsatz, oder besser gesagt: Reservationssysteme, wie sie der gebürtige Schweizer Dietrich in eidgenössischer Diktion nennt. "Für jeden Vorgang sollte es allerdings nur einen Prozess geben. Aus diesem Grund ist es langfristig strategisch wichtig, diese Systeme zu vereinheitlichen. Innovationen müssen dann nur einmal entwickelt werden, und wir können sie schnell überall gleichzeitig umsetzen. Das sorgt für Speed."
Allerdings räumt Dietrich ein, dass sich hier die Einspareffekte nicht kurzfristig vorrechnen lassen, deshalb steht das Projekt nicht an erster Stelle auf der Prioritätenliste. Überhaupt dürfte alles, was nicht unter der Bottomline unmittelbar etwas bringt, angesichts der hohen Verluste des vorigen Jahres und des Vorstandswechsels gerade schwer durchzusetzen sein.
Fragen nach den aktuellen Ereignissen im Konzern bringen den CIO keineswegs aus der Ruhe, nur zweimal zeigt er abwehrend beide Handflächen. "Da fragen Sie den Falschen", soll das wohl einmal heißen, "ersparen Sie mir die Antwort" beim zweiten Mal. Der Konzern werde nicht zerschlagen, da sei er sich jedenfalls sicher. Auch die Kombination aus Veranstalter und Airline solle erhalten bleiben. "Die Frage ist allerdings", so Dietrich, "wie müssen wir das Zusammenspiel gestalten, damit die Kooperation besser funktioniert." Konkret hieße das: Die Airline muss dem eigenen Veranstalter Benchmark-fähige Preise liefern und zugleich den Einzelplatzverkauf vorantreiben. Deshalb setzt die IT-Abteilung gerade ein System auf, mit dem sich dieses Geschäft effizienter abwickeln lässt. Und der Veranstalter auf der anderen Seite benötigt nach Ansicht des CIO ein neues Revenue-ManagementSystem, das ihn nicht mehr ganz so eng an die eigene Airline bindet. Andere Projekte hat Dietrich nach dem Wechsel an der Spitze erst mal zurückgestellt. "Es gab zum Beispiel Überlegungen, alle ERP-Systeme zu vereinheitlichen. Damit will ich dem Vorstand jetzt gar nicht kommen, weil diese Projekte eher eine mittelfristige Wirkung haben."
Noch ist die Krise nicht überstanden. Deshalb kann Dietrich nicht ausschließen, dass er seine Abteilung noch weiter verkleinern muss. Klar ist, dass er erneut ehrlich damit umgehen und die Mitarbeiter rechtzeitig darauf vorbereiten will. Das sei nicht nur besser für die Betroffenen, es entspreche auch seiner Mentalität: "Wir Schweizer sind generell sehr offen und meistens gerade heraus." Nach dem Geschmack einiger Kollegen vielleicht ein wenig zu sehr. Nach Schweizer Vorbild hatte Dietrich vor längerer Zeit angeregt, dass sich sämtliche Mitarbeiter in seinem "IT-Pavillon" doch duzen könnten. "Da wurde mir dann aber aus der Organisation vermittelt, dass man das gar nicht so gerne möchte. Die Deutschen denken schon sehr stark in Hierarchien." Immerhin im Verhältnis zu den eigenen Abteilungsleitern hat er sich durchgesetzt. "Da will ich doch nicht immer sagen müssen 'Herr Doktor sowieso, wir haben da ein Problem', sondern 'Uwe, kannst du mir mal eben helfen.' " Um diesen Umgangsstil zu fördern, steht auch die Tür des CIO immer offen. Ob die Mitarbeiter denn das Angebot auch nutzen und einfach reinmarschieren? "Eher nicht. Die rufen bei meiner Sekretärin an und fragen, wann sie einen Termin bekommen können."