"Auf Einzelprojektebene gut, in der Priorisierung Nachholbedarf, ebenso wie im Umgang mit niederwertigen Projekten“: Der individuelle Benchmark-Bericht der Technischen Universität Berlin zeigt Martin Hörbe schwarz auf weiß,wo er mit seinen mehr als 70 Projekten steht. Der Leiter des zentralen Projektbüros bei Novartis Pharma Deutschland notiert sich, wo die Bewertung sich dem Wert der Low-Performer nähert oder ihn gar unterschreitet. Oder, wofür der gelernte Wirtschaftsinformatiker zusammen mit Novartis-International- CIO Matthias Trabandt bereits Lösungen gefunden hat – etwa für die Priorisierung von Projekten, die heute als verschieden große und bunte Blasen auf einem Diagramm zu sehen sind.
Die CIOs und Entscheider der von der TU Berlin für die Studie „Multiprojektmanagement 2005“ befragten 199 deutschen Unternehmen fühlen sich in der Regel zwar gut über die Einzelprojekte informiert. Doch fehlt es ihnen an den Mechanismen, daraus die geeigneten Schlüsse für das Gesamtportfolio zu ziehen, geschweige denn, über Projektgrenzen hinweg zusammenzuarbeiten.
Besonders schlecht urteilten die Befragten über den Mut oder die Fähigkeit, schlecht laufende Projekte zu beenden. Zudem sei die Software für die Entscheidungsunterstützung eher mäßig. „Die IT-Verantwortlichen haben Checklisten ohne Ende – Szenarien über drei bis vier Jahre gibt es jedoch nicht“, erläutert Studienleiter Henning Dammer vom Institut für Technologie und Management der TU Berlin das Manko der Chefs. Einmal durchgewunken, schauen CIOs nur noch mit einem Auge hin.
Szenarien für Projektabbruch nötig
Deshalb seien Szenarien etwa in Hinsicht auf den Abbruch von Projekten dringend nötig: „Für das Management ist unklar,wie es weitergeht und wo die Mitarbeiter weiter beschäftigt werden können“, so Dammer. Unternehmen setzen für Szenarios derzeit meist selbstgestrickte Lösungen ein – oft auf Excel-Basis: „Es gibt nichts out-of-the-box“, bemerkt Dammer. Microsoft und SAP arbeiten derzeit an „Ad-Ons“, um die Entwicklung der Projekte während der Umsetzung gezielt beobachten zu können.
Novartis Pharma hat für die Auswahl von wertschöpfenden Projekten seit Juni vergangenen Jahres ein standardisiertes Vorgehen entwickelt – die so genannte Bubble-Technik. „Die Klassifikationen und die Bewertung machen wir in Excel, für die Darstellung und die Analyse setzen wir ein Tool ein, das auch zu Simulationen fähig ist – vom US-Spezialisten für visuelle Analyse Spotfire“, erläutert IT-Projekt-Office-Mann Hörbe. So lässt sich beispielsweise simulieren, was passiert, wenn es keine Muss-Projekte gäbe oder Projekte, die eine geringe Wertschöpfung für das Unternehmen versprechen.
Derzeit dient Spotfire jedoch ausschließlich der Auswahl von Projekten. „Wir starten nur Projekte, die voraussichtlich den höchsten Business-Value für das Unternehmen schaffen und die voraussichtlich höchste Umsetzungswahrscheinlichkeit haben“, sagt Matthias Trabandt, der als CIO von Novartis Pharma Deutschland das Konzept angestoßen hat. Derzeit exportiert der IT-Manager die Bubble-Technik in die Schweiz: Seit Anfang 2006 ist er in der Holding in Basel CIO bei Novartis International. Ein wichtiges Thema dort: Projekt-Management. Nicht zuletzt wegen der Bubble- Technik wurde der gebürtige Hamburger geholt. Die Vorarbeit hat er in Nürnberg geleistet.
Jonglieren zwischen x- und y-Achse
Für seinen Kollegen und Projekt-Office-Leiter Hörbe ist jedes Projekt nicht mehr als eine Blase – und zwar in einem Diagramm mit der x-Achse für die Wertschöpfung und der y-Achse für die Machbarkeit. Diese Blasen sind keine kurzlebigen Seifenblasen, sondern gewissermaßen Informationspillen jener Projekte, die das Pharmaunternehmen mehr als 10000 Euro kosten.
Jedes Projekt, das die Chefs im monatlichen Executive-Meeting im Diagramm rechts oben einstufen, wird gemacht, die anderen (noch) nicht. Im Executive Meeting sitzen die Verantwortlichen der einzelnen Abteilungen von Verkauf über Marketing, Finanzen und Key Accounts bis hin zur IT und erörtern neue Projekte, besprechen den Status bestehender Projekte. „Wir schauen uns Probleme einzelner Projekte an und können Alternativen direkt simulieren“, ergänzt Hörbe.
Je größer die Blase ist, umso mehr Geld haben das IT-Management und die Fachbereiche dafür kalkuliert. Farben kennzeichnen, um welche Projekte es sich handelt: Muss-Projekte sind rot, Cost-Leadership-Projekte gelb und Projekte zur Wertschöpfung blau. Compliance- Anforderungen im Rahmen des Sarbane Oxley Act oder das konzernweite PC-Standardisierungsprogramm Engine gehören etwa zu den roten Projekten, bei denen im Executive-Meeting geschlossene „Einigkeit darüber besteht, dass diese Projekte auf jeden Fall gemacht werden müssen“, bestätigt Trabandt.
Business und IT verstehen Auswahl
Im Executive-Meeting besprechen die Abteilungsleiter die Kriterien der beiden Diagrammachsen. Die Machbarkeit hängt von technischen Voraussetzungen, erforderlichem Change-Management, davon, inwieweit Standards beachtet werden müssen, von taktischen und politischen Einflüssen und von der Zeit ab. „Die meisten Projekte sollten innerhalb eines Jahres abzuschließen sein“, erläutert Hörbe. Wie weit die Blase in der Achse nach rechts „fliegt“, hängt von der erwarteten Wertschöpfung ab. Wesentliche Kriterien hier: Inwieweit verbessert oder vereinfacht das Projekt Prozesse, oder trägt es zur Umsatzsteigerung, -sicherung, Kostensenkung und auch zum Wachstum an Marktanteilen bei? „Wichtig ist, dass im Anschluss sowohl Business als auch IT verstehen, warum manche Projekte gemacht werden und andere nicht“, erläutert Trabandt.
Jetzt keine isolierten Teamleiter mehr
Das war in der Vergangenheit nicht immer der Fall: Vor dem Start des zentralen Projektbüros vor vier Jahren haben Teamleiter ihre Projekte weitgehend isoliert betreut, Budgets noch einzeln mit ihren Vorgesetzten verhandelt. „Es fehlte die Management-Sicht“, sagt Hörbe. „Es gab keine Transparenz, und die Kunden wunderten sich zudem, dass einzelne Projekte immer unterschiedlich und nicht nach einem einheitlichen Vorgehensmodell abgewickelt wurden.“
Der Wissenschaftler der TU Berlin Dammer kennt diese Krankheitssymptome: „Projekte dümpeln vor sich hin, ohne dass irgendjemand aus dem Top-Management einschreitet, Mitarbeiter werden ständig von einem Brandherd zum nächsten verschoben.“ Dammer nennt das „Feuerwehrmentalität“.
Doch auch dann, wenn die Projekt-Management-Infrastruktur steht, so weiß TU-Wissenschaftler Dammer, sei noch nicht gewährleistet, dass alles mit rechten Dingen zugeht. U-Boot-Projekte nennt er jene Vorhaben, die gemacht werden, auch wenn sie vorher abgelehnt wurden. Und das geht so: Will ein Antragsteller ein Projekt von 200000 Euro bewilligt bekommen, und liegt er damit über der Grenze für die Genehmigung eines Projektes von beispielsweise 100000 Euro, stückelt der Antragsteller dieses Projekt einfach in vier Pakete – und plötzlich ist der Linienmanager für die Budgets zuständig, der das Projektpaket genehmigt.
Weiche Faktoren kriegsentscheidend
Diese Konflikte lassen sich nie komplett abstellen, sofern das Top-Management das Projekt-Management nicht mit ausreichender Autorität versieht: „Die Projektmitarbeiter müssen wissen, dass sie sich selbst schaden, sofern sie falsche Zahlen weitergeben“, sagt Dammer. „Weiche Faktoren sind hier kriegsentscheidend.“
Die aktuelle TU-Studie hat gezeigt, dass die Befragten gerade in der Überwindung „verhaltensorientierter Schnittstellen“ eine wichtige Aufgabe sehen – eine Projekt- Management-Kultur fehlt oft. Sowohl das Top- Management als oberste, die Koordinatoren als mittlere als auch die Linien-Manager auf der unteren Projektebene müssen öfter an einen Tisch und sich abstimmen. „Der Koordinator weiß oft nicht, was die da oben wollen“, sagt Dammer, gibt aber zu bedenken: „Sich als CIO ins Tagesgeschäft einzumischen ist allerdings auch ein Kardinalfehler.“
Der CIO von Novartis International Trabandt hat für die Überwindung der drei Ebenen zum einen das Project- Office an der strategischen Planung angedockt und den Project-Officer Hörbe mit den entsprechenden Kompetenzen versehen. „Ich rede auf Augenhöhe mit den Team- und Projektleitern, spreche jedoch auch Empfehlungen aus“, meint IT-Manager Hörbe. Und setzt die Mitarbeiter, sofern nötig, über die Projekt- Management-Methodik des Novartis-Konzerns, schwerpunktmäßig auf dem CSC-Tool Catalyst basierend und Crystal genannt, ins Bild und coacht sie bei Bedarf. Auf dessen Basis sollen sich sämtliche parallelen Projekte im Portfolio der Novartis Pharma Deutschland aktiver steuern lassen als bisher. Zeit, Budget, Reporting, Scope und Quality sind die wichtigsten Kennzahlen, die Hörbe ständig im Auge behält.
Project-Officer rechte Hand des CIO
Der Project-Office-Verantwortliche ist in einer Schlüsselposition für den Erfolg des Projekt-Managements. „Er ist Anwalt der Projektleiter, macht mit ihnen Coachings und moderiert in kritischen Projekten“, erläutert der Geschäftsführer von Campana und Schott, Eric Schott. „Darüber hinaus muss er den IT-Chef unterstützen, ihm geeignete Kennzahlen an die Hand geben, über die Projekte reporten und – ganz wichtig – ihn mit Trends über die Entwicklung von Risiken in strategischen Projekten versorgen.“ Zu solchen Frühwarnungen gehört auch der Hinweis auf plötzliche Budgetnachträge oder unvorhergesehene Terminverzögerungen. „Der Project-Officer ist der Vertrauensmann der IT-Verantwortlichen“, meint der Unternehmensberater.
Kein Wunder also, dass auch der Project-Officer von Novartis Pharma Deutschland, Hörbe, nun seinem Chef nach Basel folgt – in die Holding. Gut für Hörbe, dass es bei Novartis eine Art Projekt-Community gibt, in der sich Projekt-Management-Kenner regelmäßig über neue Ideen und Tipps und Tricks austauschen. Sonst wären die Bubbles aus Nürnberg möglicherweise nicht so schnell in die Schweiz aufgebrochen.