Es tobt heftig in der IT von Linde - was eigentlich gar nicht dem gängigen Bild vom verschwiegenen Konzern entspricht, der aus den Bereichen Gas und Engineering (Anlagenbau), Material-Handling (Gabelstapler, Förderfahrzeuge) und Kältetechnik besteht. Außer Quartalsberichten und gelegentlichen, meist unspektakulären Mitteilungen dringt wenig aus dem Wiesbadener Unternehmen an die Öffentlichkeit. Auch intern tauschten sich die IT-Manager aufgrund der dezentralen Organisationsstruktur lange Zeit nur selten aus: Jede der 150 operativen Konzerneinheiten machte ihre eigene IT - ohne Synergien.
Grundsolide - und langweilig. Zumindest letzteres gehört seit der Ernennung von Peter Wroblowski zum ersten Konzern-CIO der Vergangenheit an. Unmittelbar nach der Vertragsunterzeichnung im Dezember 2000 begann er mit seiner Arbeit, fast drei Monate vor dem offiziellen Start im März 2001. So konnte Wroblowski von Anfang an seine Vorschläge für Projekte und Strategien einbringen, denn die Mitarbeiter hatten bereits damit begonnen, Ideen zu sammeln. "Im Juli 2001 standen acht Projekte fest, die schnelle Erfolge versprachen. Sie folgten keiner durchgängigen Strategie; die haben wir später entwickelt", erzählt Wroblowski, der an den Vorstandsvorsitzenden Wolfgang Reitzle berichtet.
Um unternehmensweite Projekte und Strategien planen zu können, baute der CIO eine IT-Organisation auf. Zum einen schuf er im Wiesbadener Corporate Center ein zentrales Team mit 20 Mitarbeitern; zum anderen setzte er auf die aktive Mitarbeit der dezentralen IT-Einheiten in den Konzernprojekten. Die zentrale Abteilung ist für "Prozesse und Anwendungen" und die "Technische Infrastruktur" zuständig. "Außerdem soll noch im ersten Halbjahr 2003 ein IT-Controller in die Unternehmenszentrale kommen, der den Nutzen von Projekten prüft", kündigt Wroblowski an.
Die IT-Chefs der beiden zentralen Bereiche und der CIO bilden zusammen mit zwölf IT-Managern aus den drei Unternehmensbereichen sowie den zwei Leitern des Rechenzentrums in München und des Linde Notes Centers das 17-köpfige IT-Board. Das entscheidet über die Strategie, setzt Standards und bringt Konzernprojekte in Gang. "Manche Mitglieder hatten sich vor dem ersten Treffen noch nie gesehen, obwohl sie seit vielen Jahren für denselben Konzern arbeiten", erzählt Wroblowski.
Geld ist kein Druckmittel
Wie alle Mitglieder hat auch er nur eine Stimme im Gremium, sodass nur im Einvernehmen entschieden werden kann. Auch das Druckmittel Geld fehlt dem CIO. "Alle Gesellschaften zusammen kommen auf einen IT-Etat von 350 Millionen Euro; davon verfüge ich über keine 10 Millionen", sagt Wroblowski. "Dezentral entscheiden IT-Manager besser. Ein zentraler Etat ist ein mächtiges Instrument. Ich würde mich scheuen, es zu nutzen, weil es schwierig ist, verantwortungsvoll damit umzugehen."
In seinen Etat fallen nur Projekte, die mindestens zwei Konzerngesellschaften betreffen, etwa die Konsolidierung des Netzwerks. In den Zeiten ohne CIO arbeiteten die einzelnen Gesellschaften mit mehr als 50 Providern zusammen; jede Einheit hatte eigene Leitungen gemietet, sodass mehrere Länderverbindungen parallel bestanden. "Heute binden wir alle 400 großen Standorte weltweit ins Linde Corporate Network ein. Damit senken wir die Kosten und erhöhen gleichzeitig die Kommunikationsleistung", betont Wroblowski.
In einem zweiten großen Projekt begann das Board, die Rechenzentren zu konsolidieren. Hätte Linde an allen 25 festgehalten, wären die laufenden Kosten für die 13 europäischen Zentren wegen der Sicherheitsanforderungen an die SAP-Software (12000 Anwender) um 2,1 Millionen Euro im Jahr gestiegen. Aus technischer Sicht hätten ein Rechenzentrum in Europa und eins in den USA gereicht; Wroblowski votierte für vier Standorte. Letztlich einigte sich das Board unter Berücksichtigung der verschiedenen Interessen auf sechs. Wroblowski ist dennoch zufrieden mit dem Ergebnis und der Zusammenarbeit allgemein: "Für mich gibt es hier wenig 'interne Politik'."
Wroblowski hat da durchaus Vergleichsmöglichkeiten. Erste Erfahrungen sammelte der gebürtige Halberstädter 1985 nach dem Informatikstudium bei VEB Automatisierungsanlagen in Cottbus - bis das Werk wenige Wochen nach dem Mauerfall 1989 von ABB gekauft wurde. Dort stieg er zum IT-Chef auf und ging 1993 zur ABB Gebäudetechnik nach Mannheim, wo er auf die Business-Seite wechselte. Ab 1995 leitete er die IT und später die ausgegründete IT-Tochter des Dachbaustoffherstellers Braas in Oberursel. "Manche Mitarbeiter glauben mir das nicht, aber die Entscheidungsstruktur liegt bei Linde auf der einfacheren Seite des Durchschnitts, den ich bisher kenne."
Sparziel: drei Millionen Euro jährlich
Insgesamt will Linde bis 2006 allein bei den Rechenzentren 6,5 Millionen Euro oder durchschnittlich 1,3 Millionen jährlich sparen; im "eingeschwungenen Zustand", so Wroblowski, sollen die jährlichen Kosten um durchschnittlich zwei Millionen unter denen von 2001 liegen. "Zugleich haben wir ein deutlich höheres Sicherheitsniveau erreicht."
Linde behandelt Datensicherheit mit höchster Priorität, denn Produkt-, Herstellungs- und Vertragsdaten sind das wichtigste Kapital des Ingenieurkonzerns. Nach langer Diskussion einigten sich alle Beteiligten auf eine schriftliche Sicherheits-Policy, die auch vom Vorstand abgesegnet wurde. "Bei der Präsentation habe ich ein Preisschild an die Policy gehängt. Der Vorstand hat akzeptiert, dass wir diesen Preis zahlen müssen", sagt Wroblowski.
Ein weiteres Projekt: die Gründung des Lotus Notes Centers in Stockholm, das den Konzern mit einem globalen Kommunikations-Tool unterstützen soll. Noch in diesem Jahr können mehr als 25000 der insgesamt 46500 Mitarbeiter online kommunizieren; zuvor gab es konzernweit 15 Notes-Systeme, die nicht miteinander verbunden waren. Darüber hinaus entwickelt Linde einen gemeinsamen, Web-basierten Produktkonfigurator für die drei Material-Handling-Marken (Linde, Still, Om Pimespo) sowie E-Business-Plattformen für diese Bereiche. Bis 2005 soll auch das vergangenen Sommer vom Board erstellte und vom Vorstand verabschiedete 86-seitige Strategiepapier umgesetzt sein. Letztlich dienen alle Schritte einem Ziel: dem "operativen Geschäft der Sparten", so Wroblowski.
Bislang hat er ein Drittel der Projekte implementiert. "Obwohl viele davon hinter dem Zeitplan liegen, sind die Ergebnisse fast durchgängig besser als unsere Erwartungen", betont Wroblowski. Beim Netzwerk sei die für 2004 geplante Sparsumme von zwei Millionen Euro jährlich sogar schon jetzt erreicht; neues Ziel: eine weitere Million. "2003 und 2004 wird es hier heftig toben, aber Ende 2005 kommen wir wieder in ruhigeres Fahrwasser", verspricht Wroblowski. Dann könnte es tatsächlich langweilig werden - weiter auf solidem Niveau, aber zu geringeren Kosten.