Business Intelligence

Aufruhr in der Info-Destille

04.03.2005 von Holger Eriksdotter
Zahlreiche Übernahmen haben in den vergangenen zwei Jahren die Käufer von Business-Intelligence (BI)-Lösungen verunsichert. Vom Datenbank- und ERP-Anbieter über ETL-, OLAP- und Data-Mining-Spezialisten bis zur kompletten BI- Suite aus einer Hand reicht das Angebot. Trotzdem: Wer einige Grundregeln beachtet, kann beim Kauf die schlimmsten Fehler vermeiden.

Standards, das weiß Patrick Keller vom Würzburger Marktforschungshaus BARC, sind des CIOs liebstes Kind. Bei der Entscheidung für eine BI-Lösung seien sie aber keineswegs immer die beste Wahl: "Während sich beispielsweise bei ERP-Systemen der Funktionsumfang der Anbieter in weiten Teilen überschneidet, liegen die verschiedenen Komponenten von BI-Systemen so weit auseinander, dass sie kaum vergleichbar sind." Auf etwa 200 bis 300 schätzt Keller die Zahl der Produkte, die sich weltweit in die Kategorie "Business Intelligence" - mit allen ihren Schattierungen - einordnen lassen. Trotz merklicher Marktkonsolidierung durch Aufkäufe und Übernahmen in den vergangenen Jahren kommen im deutschen Markt immer noch neue Anbieter hinzu.

Auf der Anwenderseite führt die Vielfalt des Angebots keineswegs zu ungeteilter Freude: Unterschiedliche Einsatzbereiche und Möglichkeiten der Softwarelösungen, versteckte oder unterschiedliche Lösungsansätze und Technologien erfordern vom BI-Einsteiger sehr klare Vorstellungen darüber, welche Aufgaben er lösen will, was das BI-System leisten und in welche Hard- und Softwarelandschaft es eingepasst werden soll. Eine Aufgabe, die schon im Vorfeld einer genauen Abstimmung zwischen IT- und Fachabteilung bedarf. "Denn weder der Fachmann noch der IT-Experte sind allein in der Lage, das passende BI-System auszuwählen", schreibt Nigel Pendse in "How not to buy an OLAP product" auf www.olapreport.com. Der unabhängige Experte und intime Kenner des BI-Marktes ist bekannt dafür, dass er kein Blatt vor den Mund nimmt, wenn es darum geht, auf Schwächen der Anbieter hinzuweisen (siehe auch CIO, Dezember 2004: "SAP-BW ist geschenkt noch zu teuer").

Besser nichts vom Vertrieb erklären lassen

Die fehlende Koordination zwischen Fach- und IT-Abteilung ist dabei nur einer auf der langen Liste von Fehlern, die Anwender immer wieder bei der Planung von BI-Systemen machen. Auf keinem Fall solle man, so Pendse, sich die eigenen Bedürfnisse von den Vertriebsleuten des BI-Anbieters erklären lassen. Denn wer sich nicht schon vor dem ersten Kontakt mit dem Vertrieb über seine speziellen Anforderungen im Klaren ist, falle allzu leicht in die Hände gut geschulter Vertriebsmannschaften und ende nicht selten bei der Einschätzung, dass genau deren Produkt optimal auf seine Bedürfnisse passe. Nach seiner Erfahrung hängen die meisten Käufe eher von den Fähigkeiten der Vertriebsmannschaft ab als von der Qualität der Software oder davon, ob und in welchem Maße diese auf die Anforderungen passt.

Deshalb, so Pendse, müssen schon vor dem ersten Treffen mit einem Vertriebsmann alle wichtigen Eckdaten feststehen. Dazu gehört vor allem Folgendes:

- Versuchen Sie möglichst genau abzusehen, was die Anwender wirklich brauchen - und nicht das, was sie gerne haben wollen. Das heißt, Sie müssen genau verstehen, welche Aufgaben sie erledigen, welche Fähigkeiten sie haben und welche Informationen und Analysen ihnen helfen, produktiver zu arbeiten.

- Binden Sie die Endanwender in jeder Phase in das Projekt ein - von der Definition über Produktauswahl bis zur Implementation.

- Erwarten Sie von den Endanwendern nicht, dass sie exakt ihre Ansprüche beschreiben können - und zwingen Sie sie nicht, alle denkbaren Aufgaben vorherzusagen. (Daraus würde ein Liste entstehen, die unmöglich zu erfüllen ist.)

- Legen Sie nicht die Hardware- oder Storage-Architektur fest, bevor alle Business-Anforderungen vollkommen klar sind.

- Setzen Sie auf keinen Fall "Shelfware" ein, die aus vorangegangenen Projekten liegen geblieben ist.

Wachstum um sechs Prozent in 2005

Der deutsche Markt für BI, nach England der zweitgrößte in Europa, wird auch in Zukunft von Wachstum geprägt sein. Getrieben sind die BI-Investitionen auf der einen Seite von gesetzlichen Auflagen wie Sarbanes-Oxley, KonTraG oder Basel II. Auf der anderen Seite versuchen Unternehmen gerade in schwierigen Zeiten, mehr Transparenz zu erhalten, um sich damit verlässliche Planungsgrundlagen zu verschaffen. Nach einer Gartner-Umfrage unter 1300 CIOs in mehr als 30 Ländern wollen sie die Ausgaben für BI-Systeme dieses Jahr um sechs Prozent steigern. Die Meta Group ging in ihrer letztjährigen Studie sogar von einem durchschnittlichen Wachstum des deutschen BI-Markts von 16 Prozent über die nächsten Jahre aus, von 1,1 Milliarden Euro in 2004 auf 1,7 Milliarden in 2007.

Nach der Gartner-Untersuchung sehen die CIOs in dem strategischen BI-Einsatz, kombiniert mit dem Fokus auf Business-Prozess-Optimierung, den entscheidenden Beitrag der IT zum Unternehmenswachstum in den kommenden Jahren. "Wenn man Unternehmen fragt, welche Ziele sie mit Business Intelligence erreichen wollen, dann ist die häufigste Antwort: bessere Entscheidungen treffen", sagt Frank Buytendijk, Analyst bei Gartner. Allerdings merkt er kritisch an: "Die meisten Unternehmen treffen keine besseren Entscheidungen als vor fünf Jahren. Einsparungen und Compliance-Anforderungen haben zwar BI in den Fokus gerückt - die wenigsten Unternehmen setzen es aber strategisch ein."

Kein Anbieter über 25 Prozent Marktanteil

Bisher ist der Markt zersplittert in viele kleine und mehrere mittelgroße bis große Softwareanbieter. Es gibt keinen Marktführer mit einem Umsatzanteil von mehr als 25 Prozent. Viele Anbieter sind auf einzelne Teilkomponenten von Business-Intelligence-Systemen beschränkt. Die Kunden hingegen neigen zu Lösungen aus einer Hand und ziehen die großen Softwareanbieter vor: "Das ist aber nicht immer der beste Weg - es gibt gut funktionierende Schnittstellen im BI-Bereich, sodass auch ein Best-of-Breed-Ansatz durchaus die beste Variante sein kann", sagt Barc-Experte Keller. Die Grundregel lautet: Funktionsvielfalt und Funktionstiefe der BI-Anbieter sind meist ausgefeilter als die der Generalisten - dafür ist der Integrationsaufwand in der Regel höher. "Best-of-Breed, also die Kombination verschiedener, gut geeigneter Softwarekomponenten zum Aufbau eines Systems, muss im Vergleich zum Komplettangebot eines Herstellers ausführlicher begründet werden. Die Kunden nehmen teilweise sogar Defizite der Komplettlösungen in Kauf, um eine Ein-Anbieter-Strategie umzusetzen", hat Business-Intelligence-Berater Keller beobachtet.

Obwohl von der IT-Strategie her verständlich, ist das selten die beste Lösung - weder von der Funktionstiefe noch von den Kosten her, sagt Pendse. Zwar sei die Produktauswahl langwierig und teuer und deswegen die Versuchung groß, über das aktuelle Projekt hinaus auch gleich die Basis für einen künftigen Standard zu legen. "Aber das funktioniert fast nie und kann gefährliche Auswirkungen haben", sagt der BI-Experte. Denn obwohl sich die Produkte an der Oberfläche stark ähneln, basieren sie oft auf unterschiedlichen Architekturen. "Kein Produkt kann alles - die meisten haben einen begrenzten Funktionsumfang."

So könnten einige besonders gut mit sehr großen Datenmengen umgehen, seien aber für kleine Datenbanken komplett ungeeignet. Hier zeigten sie sich langsamer, schwerfälliger und ärmer an Funktionen als schlankere Produkte, die speziell für kleinere Anwendungen konzipiert sind. Andere seien sehr gut geeignet für eine große Zahl gleichzeitiger User, aber nicht ideal für kleinere Benutzergruppen. Wieder andere eigneten sich gut für Speicherung und Update von Multi-User-Daten für Planungssysteme, hätten aber Schwächen, wenn es ums Reporting geht.

Anwender nutzen meist Standardberichte

Hinzu komme, dass nicht alle Benutzer dieselben Ansprüche und Bedürfnisse haben. Die meisten Anwender nutzen kaum mehr als vordefinierte Berichte, möglicherweise mit wenigen Zusatzinformationen und Links. Andere nutzen vordefinierte Berichte als Ausgangspunkt, modifizieren sie regelmäßig und machen eventuell eigene Daten-Auswertungen, die sie mit Kollegen teilen. Einige Power-User schließlich entwickeln eigene Modelle und benutzen fortgeschrittene statistische Methoden - sie kommen mit einem einfachen Browser-Interface nicht aus. Daneben gibt es noch die große Gruppe der passiver Anwender, die nur gelegentlich Berichte oder Nachrichten erhalten, sonst das System aber kaum nutzen. "Die unterschiedlichen Bedürfnisse von vielen Nutzern sind nur schwer mit einem einzigen OLAP-Produkt zu befriedigen", sagt Pendse, "und wer es trotzdem versucht und ein OLAP-Produkt zum Unternehmens-Standard macht, erweist den Anwendern einen schlechten Dienst. Denn sie müssen dann mit einem System arbeiten, das nicht ihren Anforderungen entspricht, das zu langsam, zu unhandlich oder zu kompliziert ist."

Integration nur auf Benutzeroberfläche

Zudem gehen die Anwender meist davon aus, dass die verschiedenen Produkte eines Anbieters weitgehend integriert und aufeinander abgestimmt sind. Aber gerade im BI-Markt liegen sie mit dieser Einschätzung in den meisten Fällen daneben. Denn die Anbieter kompletter BI-Lösungen haben keineswegs alle ihre Programme selbst entwickelt, sondern viele durch Merger und Akquisitionen hinzugewonnen. "Die Integration geht selten über die Benutzeroberfläche hinaus", sagt Pendse. Deshalb sei es oft ein Irrglaube anzunehmen, dass die Produkte eines Anbieters wirklich integriert und kompatibel seien oder auch nur die Bedienerlogik übereinstimme.

Sein Rat: Besser als ein einziges Produkt als Standard durchzusetzen sei es, eine kleine Anzahl von OLAP-Tools auszuwählen und zu supporten, die gemeinsam ein großes Spektrum an Anwendungen abdecken. Aber selbst damit dürfe nicht ausgeschlossen sein, dass sich Anwender mit ganz speziellen Anforderungen trotzdem für ein anderes Produkt entscheiden können, wenn das einen zusätzlichen Geschäftsnutzen bringt.

Die Anbieter versuchen zwar, eine funktional komplette Angebotspalette zu erreichen. Weil die eigene Entwicklungskapazität dafür häufig nicht ausreicht, oder aber auch, weil ein fertiges Produkt samt dessen Kundenbasis interessant erscheint, schließen die Anwender Lücken im eigenen Lösungsportfolio durch den Aufkauf von Herstellern mit anderen Schwerpunkten.

Für ERP-Anbieter sind zusätzliche Funktionen zur Planung, Überwachung und Analyse operativer Daten eine sinnvolle Ergänzung ihres Angebotes. Neben Eigenentwicklungen ( wie etwa SAP) hat es hier auch immer wieder Übernahmen existierender BusinessIntelligence-Anbieter gegeben - zum Beispiel MIS AG durch Systems Union oder Comshare durch Geac.

Spezialanbieter weiten ihre Lösungen aus

Im Falle von spezialisierten Business-Intelligence-Anbietern geht es um den Ausbau der eigenen Business-Intelligence-Lösung zu einer integrierten Suite mit allen dazugehörigen Komponenten und Funktionen. Die funktionale Komplettierung von Lösungen beginnt dabei bereits im Backend-Bereich. Werkzeuge und Methoden zur Datenintegration (ETL, Batch, RealTime), unterschiedliche Datenbanktechnologien (relational, multidimensional) und verschiedene Aspekten der Datenqualitätssicherung (Data Profiling, Data Cleansing) fließen so in die Produktportfolios ein. Im Frontend-Bereich reicht die Palette an Funktionen von Entwicklungswerkzeugen für Portale und Management-Informationssysteme über standardisiertes und dynamisches Berichtswesen, Ad-hoc-Datenanalyse, Data Mining und Planung bis hin zur legalen Konsolidierung. Beispiele sind der Kauf von Adaytum und Frango durch Cognos, das sich so in den Bereichen Planung und legale Konsolidierung verstärkt. Hyperion dagegen ergänzt seine Produktpalette mit ausgereiften Produkten für Reporting und Datenanalyse von Brio.

Venture-Capital verzerrt den Markt

Viele Softwareanbieter sind nach wie vor durch Venture-Kapital finanziert, um die erheblichen Investitionen in die Softwareentwicklung leisten zu können. Die Venture-Kapital-Investoren steigen meist nach wenigen Jahren wieder aus. Als Optionen bleiben Börsengang oder Verkauf. Insofern dürfte sich die Konsolidierung auch in Zukunft fortsetzen.

Aber welches System ist für welche Branche geeignet? Welches Paket für welche Unternehmensgröße? "Das kann man leider pauschal nicht beantworten", sagt BI-Berater Keller. "Anders als etwa im ERPBereich differenzieren sich die Produkte nicht über Branchenausprägung, sondern über die Funktionsausprägung und -tiefe." Und auch zur Unternehmensgröße gibt es keine Faustregel: "In großen Unternehmen wird man mit nur einem BI-Produkt in der Regel nicht auskommen", sagt Keller. Deshalb bleibt wohl nur eine Regel, die es zu befolgen gilt: Vor jedem Projekt erneut vergleichen und evaluieren.