Im England des späten 19. Jahrhunderts schuf Sir Arthur Conan Doyle den Idealtypus des Meisterdetektivs: Sherlock Holmes. In jener Epoche lebte auch der Schriftsteller Oscar Wilde. Von ihm stammt ein Bonmot, das seltsam perfekt in die heutige Zeit passt: „Es ist sehr traurig, dass es heute so wenig nutzlose Information gibt."
Dieses Wilde-Zitat und die Figur des Sherlock Holmes dienten kürzlich einem Blogeintrag auf www.nonexecutivedirectors.com als Aufhänger, um die Bedeutung von Chief Digital Officers (CDOs) zu illustrieren. Der Tenor in Kürze: Wie von Wilde süffisant beschrieben, kann heute jedes Daten-Fitzelchen einen geschäftlichen Nutzwert haben; und deshalb braucht es im Top-Management findige Spürnasen, die wie Sherlock Holmes diesen Informationswert dingfest machen können. Eben die CDOs.
Analog zum Chief Digital Officer
Über die jungeRolle des CDOs ist in CIO-Kreisen aus guten Gründen zuletzt viel diskutiert worden. Aufschlussreich am Wilde- und Sherlock-Blog ist, dass die Diskussion darüber offenbar auch in Medien geführt wird, die an Aufsichtsräte gerichtet ist. Die viel beschworene digitale Revolution macht – abgesehen von Managern mit CDO-Profil – digitales Know-how sogar noch eine Ebene darüber erforderlich: eben in den Aufsichtsräten selbst.
Das Korn/Ferry Institute thematisiert diesen Bedarf in einer aktuellen Studie, die insbesondere britische Firmen im Blick hat. Die Diagnose dürfte aber auf hiesige Verhältnisse übertragbar sein. Und demnach dürfen sich Spezialisten für Digitales ganz gute Chancen ausrechnen, künftig Mandate in den Kontrollgremien zu bekleiden.
„Wenn sich der Aufsichtsrat nicht um Digitales kümmert, würde ich meine Anteile an einem Unternehmen verkaufen wollen", schreibt im Vorwort Brian McBride, Chairman der britischen Bekleidungskette ASOS und bis 2011 Managing Director bei Amazon UK. Es sei unbedingt geboten, dass sogar die Mehrzahl der Mitglieder über ein Mindestmaß an digitalem Wissen verfüge. „Der digitale Talent-Pool ist aber klein", so McBride weiter. Darum müssten sich die Räte aktiv auf die Suche nach geeigneten Externen machen, um die vorhandene Lücke zu schließen.
Doppelbödiges Anforderungsprofil
Wie Korn/Ferry feststellt, sind Non-Executive Directors (NEDs) mit digitalem Hintergrund in britischen Firmen aktuell noch Nadeln im Heuhaufen. So habe es 2012 in den Boards der 350 größten Firmen mit Listung an der London Stock Exchange nur acht digitale NEDs gegeben. Das Institut sieht da ein krasses Missverhältnis zur Prognose, dass 2016 die Internet-Ökonomie auf ein Marktvolumen von über 4 Billionen US-Dollar gewachsen sein soll.
„Es herrscht ein Mangel an Personen, die digitale Expertise mit tiefgreifender Führungserfahrung im Allgemeinen kombinieren", heißt es in der Studie. Und die wenigen, die beide Eigenschaften vereinen, seien nicht immer erpicht darauf, sich in die Aufsichtsräte zu setzen. Deshalb müsse möglichst breit gefächert gesucht werden: nicht nur in genuinen Internet- und E-Commerce-Firmen, sondern bei Providern und Beratern, in Mobile-, Hardware- und Software-Firmen sowie in Handelsfirmen mit starker E-Commerce-Plattform. Auch unter Mitarbeitern von Neuen Medien und Forschungseinrichtungen tummelten sich möglicherweise die gesuchten Kandidaten. Die Räte sollten auch darüber nachdenken, eine Hierarchie-Ebene tiefer als üblich zu suchen, so Korn/Ferry.
Akut herrsche bereits in endverbraucher-lastigen Branchen wie Retail ein hoher Druck, digitale Experten in den Aufsichtsrat zu holen, beobachten die Studienautoren. Angesichts der digitalen Transformation werde sich dieser Druck schnell auf andere Branchen ausweiten. „Wahrscheinlich sind Firmen, deren Wachstum von digitalen Trends als Treiber abhängt, ziemlich heiß darauf, digitale NEDs für sich zu gewinnen", so Korn/Ferry.
Innerhalb eines Kontrollgremiums ist laut Studie der digitale NED womöglich der einzige, der Risiken für die Datensicherheit erkennt, wenn seine Kollegen nur Chancen auf Effizienzgewinne wahrnehmen. Derartiges Spezialwissen ist es demnach, dass diese Rolle künftig unverzichtbar machen kann. Um die notwendigen internen Debatten anzustoßen, empfiehlt Korn/Ferry sogar, mehr als einen Digital-Spezialisten an Bord zu holen.
Experten mit Mehrwert für die Karriere locken
Damit das überhaupt gelingen kann, muss um die oftmals ziemlich jungen und insbesondere aus hochdynamischen Firmen stammenden NEDs besonders stark geworben werden. Nach Einschätzung von Korn/Ferry ist es unumgänglich, wirklichen Einfluss zu garantieren. Angeboten werden müssten überdies vielversprechende Karriere-Expertise – zum Beispiel in Gestalt von Einblicken in Themenfelder wie Governance, Finance, Regulation, neue Märkte sowie Fusionen und Übernahmen. Mit anderen Worten: Die digitalen Experten müssen einen besonderen Mehrwert für die eigene Karriere erkennen, um sie überhaupt ins Boot holen zu können.
Ferner bedarf es nach den Erkenntnissen des Instituts Vorkehrungen, um Diskussionen über digitale Fragen tatsächlich auf strategischer Ebene zu halten. Notwendig sei überdies, die digitalen NEDs auch in Themenfelder wie Finance, Risk oder Strategie einzubinden und nicht auf eine technologische Rolle zu beschränken.
Die Studie „The Digital Board" ist bei Korn/Ferry erhältlich.